Arbeitsplatzverlust, Rezession, Exporteinbruch, die Sorgen waren groß, als die Schweizer Nationalbank (SNB) vor genau einem Jahrzehnt, am 15. Januar 2015, ihre Entscheidung bekannt gab. Von heute auf morgen war es vorbei mit dem Mindestwechselkurs. Es kam zum sogenannten Frankenschock. In den vier vorangegangenen Jahren hatte die SNB immer wieder Devisen an den internationalen Märkten aufgekauft, um den Wert des Franken künstlich auf 1,20 Franken pro Euro zu drücken.

Doch dann ging der SNB das Pulver aus. Noch am Abend des Donnerstags, an dem SNB-Präsident Thomas Jordan um 10.30 Uhr verkündet hatte, diese Maßnahme zu beenden, wertete der Franken bereits um 20 Prozent auf. Aus den 1,20 Franken waren 95 Rappen für einen Euro geworden.

Große Sorgen bei der Schweizer Wirtschaft

Die Kinnläden der Schweizer Wirtschaft fielen auf Kniehöhe. Die Wertsteigerung der Landeswährung werde zu Preisanstiegen von eidgenössischen Exportgütern führen, so die große Angst. Auch die SNB wusste um die Risiken. Um Anlegern den rasant steigenden Franken unattraktiv zu machen und einer weiteren Aufwertung entgegenzusteuern, lockerte die Nationalbank die Geldpolitik und brachte den Leitzins auf Talfahrt.

Damit wollte sie verhindern, dass eine Investorenwelle den Schweizer Markt überschwemmt. Gleichzeitig hielt sich die Notenbank alle Optionen offen – auch die, weiter am Devisenmarkt mit Milliarden einzugreifen.

Die damalige Hektik stand im Kontrast zur Ruhe, die die Notenbank in den Tagen zuvor ausgestrahlt hatte. Noch eine Woche zuvor hatte der damalige SNB-Präsident Thomas Jordan im Schweizer Fernsehen erklärt, die SNB werde eine Aufwertung des Franken nicht zulassen. Durch den Entschluss, den Mindestwechselkurs doch fallen zu lassen, verloren viele Schweizer das Vertrauen in die Nationalbank.

Medien bezeichneten Jordan als „Job-Killer“ und es herrschte allgemeines Kopfschütteln über die folgenschwere Maßnahme. Besonders die grenznahen Unternehmen fürchteten den Verlust von Kunden an die deutschen Grenzgebiete. Umfragen der ETH Zürich im Oktober 2015 ergaben, dass die Schweizer Unternehmen über das ganze Jahr hinweg eher Stellenstreichungen statt Neueinstellungen planten.

Die Tourismusregionen mussten zusehen, wie die Zahl der Übernachtungen in den Folgemonaten um sieben Prozent sanken. Patrick Erny, damaliger Stellvertreter des Gewerbeverbands Basel, verglich das Ende des Mindestwechselkurses mit einem Erdbeben. Der Einkaufstourismus wurde zum Schreckgespenst für das Schweizer Unternehmertum. Welche Auswirkungen das Ende des Mindestwechselkurses langfristig haben würde, konnte damals niemand vorhersehen.

Zur Effizienz gezwungen

Der damalige Chef und heutige Vorsitzende des Schaffhauser Industrieunternehmens Georg Fischer AG sprach bereits gut ein Jahr später vom starken Franken als Fitnessprogramm für die Wirtschaft. Die Beobachtung, dass die höheren Preise die schweizerische Produktion zu mehr Effizienz zwinge, äußerten vor allem Unternehmer in den Folgejahren immer häufiger.

Nicht zu leugnen ist, dass infolge der Aufwertung Arbeitsplätze verloren gingen. Jean-Philippe Kohl, Leiter Wirtschaftspolitik beim schweizerischen Industrieverband Swissmem sprach gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung von 5000 Industriestellen in der gesamten Schweiz.

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Er betonte jedoch gleichzeitig, dass die Beschäftigungszahlen in den Folgejahren wieder gestiegen seien. Einige Unternehmen erhöhten ihre Arbeitszeiten, wie beispielsweise die Georg Fischer AG, die in Reaktion auf den Wertanstieg des Franken die Arbeitszeit bei gleichem Lohn von 40 auf 44 Wochenstunden aufstockte. Einzelne Unternehmen mussten aber auch schließen.

Dabei ist es jedoch schwierig zu beurteilen, welchen Schaden tatsächlich der „Frankenschock“ angerichtet hat, da in den Folgejahren auch allgemeine Wirtschaftsschwankungen einige Branchen auf die Probe stellten. Zu einer Rezession kam es jedenfalls nicht.

Die Exporte zogen dennoch an

Mit dem Schweizer Exportmarkt ging es nach 2015 tatsächlich sogar bergauf. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen einen Anstieg von knapp 280 Milliarden Franken im Jahre des Frankenschocks auf fast 300 Milliarden im Folgejahr. 2023 lagen die Schweizer Ausfuhren sogar zum zweiten Mal in Folge über 375 Milliarden Franken. Nach den USA stellt Deutschland das wichtigste Exportziel dar. Über 15 Prozent der exportierten Güter gehen in die Bundesrepublik.

Schweiz profitierte auch

Die Hauptgeschäftsführerin der IHK Hochrhein-Bodensee, Katrin Klodt-Bußmann, sieht die Aufhebung des Euro-Mindestkurses als zweischneidiges Schwert. Einerseits beobachtete sie die Verteuerung der Schweizer Produkte als Herausforderungen für die eidgenössischen Unternehmen.

Hauptgeschäftsführerin der IHK Hochrhein-Bodensee in Konstanz, Katrin Klodt Bußmann
Hauptgeschäftsführerin der IHK Hochrhein-Bodensee in Konstanz, Katrin Klodt Bußmann | Bild: Hanser, Oliver

Vor allem der Tourismus sei für Gäste aus dem EU-Ausland unattraktiver geworden. Andererseits habe die Schweizer Wirtschaft auch von den Entwicklungen profitiert. „Vorprodukte, Maschinen und Rohstoffe aus dem Euroraum konnten preiswerter bezogen werden, was in einigen Sektoren die Wettbewerbsfähigkeit erhöhte“, meint Klodt-Bußmann.

Die Schweizer Bevölkerung hatte im Ausland zudem mehr Kaufkraft, weil es für einen Franken mehr Euro gab. Das habe tatsächlich den von der Schweizer Wirtschaft befürchteten Einkaufstourismus begünstigt. Diese Entwicklung begrüßten natürlich deutsche Branchen, wie zum Beispiel der Einzelhandel.

Diese These stützt Beat Rudolf, Präsident des Gewerbevereins Rheintal-Studenland: „Wenn ich für das gleiche Geld in Deutschland das doppelte bekomme, gehe ich als Kunde natürlich irgendwann über die Grenze.“ Der Inhaber eines Schreinerbetriebs in Bad Zurzach beobachtet jedoch, dass sich die Schweizer Unternehmer mit den Umständen ihrer starken Währung arrangiert hätten.

Mehr Einkaufstourismus

„In den ersten fünf Jahren nach der Aufhebung des Mindestkurses nahm der Einkaufstourismus aus der Schweiz in unserer Region deutlich zu“, bestätigt IHK-Geschäftsführerin Klodt-Bußmann: „Mit der Coronapandemie kehrte sich dieser Trend jedoch um.“ Bis heute sei das Niveau von 2019 auf dem deutschen Markt unerreicht. Einer der Gründe ist die im Vergleich zu Deutschland geringe Inflation der Schweiz, die auch mit dem stabilen Franken zusammenhängt.

Allgemein habe sich nach der Aufhebung des Mindestwechselkurses die enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen der Schweiz und Deutschland gezeigt, so Klodt-Bußmann. So schlimm wie anfangs befürchtet kann es zumindest langfristig dann doch nicht. Stark ist der Franken zwar immer noch, aber man hat sich angepasst. Für einen Euro gibt es aktuell 94 Rappen.