Vor genau einem Jahr befand sich der Euro auf Talfahrt. Knapp 93 Schweizer Rappen gab es nur noch für einen Euro – so tief stand die europäische Gemeinschaftswährung das letzte Mal im Jahr 2015, nachdem der Euro-Mindestkurs durch die Schweizer Nationalbank (SNB) aufgehoben wurde. Der Wirtschaftswissenschaftler Jan-Egbert-Sturm, Direktor der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich, fand damals klare Worte: Franken top, Euro flop, sagte er dem SÜDKURIER.

Im Mai 2024 erholte sich der Kurs: Mit 99 Rappen war der Euro fast wieder einen Franken wert. Grund dafür war die Senkung des Leitzinses durch die SNB von 1,75 Prozent auf 1,5 Prozent. Doch der Euro-Aufschwung konnte sich nicht halten, aktuell liegt der Kurs bei rund 0,94 Schweizer Franken pro Euro.

Schon Anfang 2024 sah der Wirtschaftswissenschaftler Sturm den Grund für den Wechselkurs bei der Inflationsdifferenz von Deutschland und der Schweiz, auch jetzt sagt er, dass diese Differenz langfristig weiterhin eine wichtige Rolle spiele.

Jan-Egbert Sturm ist Wirtschaftswissenschaftler und Direktor der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich.
Jan-Egbert Sturm ist Wirtschaftswissenschaftler und Direktor der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich. | Bild: Neuhaus, Remo

Im Dezember 2024 lag die Inflation in Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt bei 2,6 Prozent, in der Schweiz lediglich bei 0,6 Prozent, wie das Schweizer Bundesamt für Statistik am 7. Januar herausgab. Und angesichts dieser anhaltenden Inflationsdifferenz geht die „KOF deshalb grundsätzlich von einer weiteren nominalen Aufwertung des Schweizer Franken aus“, sagt Sturm.

Euro-Rekordtiefs in regelmäßigen Abständen, so die Prognose

Laut Sturm sei es zwar „bekanntermaßen schwierig“, eine Wechselkursprognose zu treffen, da der Devisenmarkt sehr „liquide“ sei und sich Änderungen unmittelbar niederschlagen, jedoch warnt er davor, dass „wir in regelmäßigen Abständen solche Rekordtiefs erreichen werden.“

Eine konkretere Prognose wagt Elias Hafner, Anlagenexperte bei der Zürcher Kantonalbank. „Unsere Zwölf-Monats-Prognose liegt bei 0,91“, sagt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER.

Neuer US-Präsident sorgt für Verunsicherung

Man gehe davon aus, dass der „Abwärtsdruck auf den Euro-Franken-Kurs im neuen Jahr“ anhalte, der Euro also schwächer wird. Das liege vor allem an Deutschland und Frankreich, die rund die Hälfte der Wirtschaftskraft in der Eurozone ausmachen und beide ohne „handlungsfähige Regierung“ ins neue Jahr starten, sagt Hafner.

Elias Hafner ist Anlagenstratege an der Zürcher Kantonalbank und prognostiziert für 2025 einen Euro-Franken-Kurs von 0,91.
Elias Hafner ist Anlagenstratege an der Zürcher Kantonalbank und prognostiziert für 2025 einen Euro-Franken-Kurs von 0,91. | Bild: grund.photo

Zusätzlich bremse die Unsicherheit der neuen US-Regierung mit Donald Trump im Außenhandel das Wirtschaftswachstum in der Eurozone, welches nach Einschätzung von Elias Hafner „trotz leichter Erhohlung“ unterdurchschnittlich bleiben dürfe.

Laut Hafner habe sich die Lage bei der Inflation aber entspannt, was der Europäischen Zentralbank (EZB) erlauben werde, die restriktive Geldpolitik zunehmend zurückzufahren.

Die SNB werde versucht sein, eine weitere Frankenaufwertung mit Zinssenkungen und Währungsinvestitionen zu bremsen, so der Zürcher Anlagenstratege. Ein starker Franken schadet der Schweizer Exportwirtschaft, weil für ausländische Käufer der Preis in deren Währung umgerechnet steigt. Grenzgänger in die Schweiz profitieren von einem starken Franken, weil ihr Gehalt in Euro umgerechnet mehr wert wird.

Wert des Franken könnte steigen

Ähnlich wie Hafner schätzt es auch Jan-Egbert Sturm ein. „Aus heutiger Sicht läuft die Wirtschaft im Euroraum nicht rund, die EZB kann ihre Geldpolitik weiter lockern als andere Zentralbanken“, sagt er, was laut Sturm zumindest teilweise die aktuelle Schwäche des Euros erkläre. Der Aufwertungsdruck der Schweizer Währung bleibe bestehen, zumal die SNB zudem über weniger Zinsspielraum als die EZB verfüge.

Einen Schweizer Franken für einen Euro? Das gab es lange nicht mehr. Im Mai 2024 lag der Kurs zuletzt bei 0,99.
Einen Schweizer Franken für einen Euro? Das gab es lange nicht mehr. Im Mai 2024 lag der Kurs zuletzt bei 0,99. | Bild: imago stock&people

Und auch ein anderer Faktor könnte den Alltag in der Grenzregion beeinflussen, abgesehen vom Währungskurs: So bleibe es abzuwarten, wie sich die Änderung der Einfuhrfreigrenze von 300 auf 150 Franken pro Person auswirken wird.

Bis zum ersten Januar durften die Schweizer Einkaufstouristen bis zu einem Wert von 300 Franken pro Person und pro Tag steuerfrei in die Schweiz einführen. Diese Freigrenze hat sich mit dem Jahreswechsel halbiert.

Für Schweizer Einkaufstouristen, die von einem starken Franken eher profitieren, wird sich ansonsten aber wohl kaum etwas ändern. Wie Sturm erklärt, bleibt die Preisdifferenz wohl ähnlich wie bisher: Obwohl der Franken einerseits gegenüber dem Euro leicht zulegen könnte, verliert sich dieser Vorteil andererseits durch die höhere Inflation in Deutschland.