Als ein Schwabe vor 15 Jahren die Faszienrolle nach Deutschland brachte, traf er den Nerv eines gesundheitsbewussten, urbanen Publikums. Anders als viele andere Trend-Produkte verschwand sie nicht nach einer Weile wieder vom Markt. Die Blackroll von Jürgen Dürr etablierte sich – sogar als Gattungsbegriff.
Gründer von Blackroll kommen aus Schwaben
Bottighofen im Bahnweg. Raue Architektur für fortschrittliche Firmen, ein Ort, an dem Ideen entstehen. Dass gerade hier die Blackroll AG sitzt, ihr Lab und die Büros, fügt sich ins Narrativ. Überall hängt, steht, liegt die berühmte Rolle in weißen Regalen zwischen Sitznischen und Zimmerpflanzen. Im Hintergrund quietscht ein Baby.
Marius Keckeisen, 37, hat diesen Standort mitaufgebaut. Wie auch Jürgen Dürr kommt er aus Schwaben. In Konstanz hat er Betriebswirtschaftslehre studiert und später etwa für Holiday Check im Marketingbereich gearbeitet. So sei er in die Schweiz, nach Kreuzlingen und Bottighofen gekommen. Der Mann mit den braunen Haaren, Jeans, Windsurfer, Utility-Hemd, ist Verwaltungsratspräsident des Unternehmens.

Die Rolle und das Konzept der Selbstmassage seien alt, sagt er. Jedenfalls hätte sie Blackroll nicht erfunden. Schon zuvor haben Physiotherapeuten und Leistungssportler in den USA mit Schaumstoffnudeln gearbeitet. Nach drei bis vier Anwendungen aber sei diese Pool-Nudel kaputt gegangen. „Es gab kein kompaktes Format, das langlebig oder nachhaltig war.“
Konzept der Faszienrolle stammt aus den USA
Auf den Tipp eines Bekannten hin importierte Jürgen Dürr das Konzept und machte es ab 2007 für den deutschen Markt zugänglich. Aus Expandiertem Polyproylen, kurz EPP – ein Material, das als strukturfest, aber leicht gilt. Vollständig recyclebar. Ab 2010 widmete er sich Vollzeit seinen Rollen, verkaufte schon nach wenigen Jahren 20.000 Stück pro Jahr.
Keckeisen stieß später dazu, 2013. Gemeinsam gründeten sie die Aktiengesellschaft, wie sie heute existiert und bauten die Marke aus. Dabei sei es zunächst darum gegangen, erklärt der Verwaltungsratspräsident, die Markenidentität zu schärfen. Vertriebsstrategien mussten entworfen werden, Personal aufgebaut. Die Buchhaltung. Und Verpackung.
„Am Anfang wurden die Rollen unverpackt verschickt“, erinnert sich Marius Keckeisen. Aus Nachhaltigkeit. Davon aber mussten sich die beiden Gründer bald distanzieren. Der Markt nämlich hatte andere Ansprüche. Inzwischen verwendet das Unternehmen recyceltes Papier, um zumindest klimaneutral zu bleiben.

Ein Ideal, das sich ins Unternehmensbild passt: An zwei bis drei Tagen kommt jemand und bekocht die Belegschaft, damit alle zusammen essen können. Meistens vegetarisch. Kaum Hierarchien, dafür eine Person, die Fragen stellt: Was macht unsere Mitarbeiter glücklich?
Blackroll produziert vor allem in Deutschland
Dürr und Keckeisen, zwei Schwaben in der Schweiz. Dass die beiden in ein anderes Land übersiedelten, hatte allerdings keinen strategischen Grund. Es lag ihren Angaben nach an der Lebensqualität. Die sei hier wesentlich höher als in Stuttgart, sagt der 37-Jährige. „Wir lieben beide Outdoor. Wir lieben die Berge, den Bodensee.“ Also wuchs das Unternehmen hier, im blauen Haus an der Hauptstraße.
Obwohl die AG in Bottighofen sitzt, produziert das Unternehmen überwiegend auf deutschem Boden. Mehr als 95 Prozent, sagt der Verwaltungsratspräsident. Die Trainingsbänder zum Beispiel kommen von der Schwäbischen Alb, die Rollen aus der Nähe von Chemnitz, auch das Lager befindet sich in Deutschland.
In Zeiten der Pandemie kristallisierte sich das als Wettbewerbsvorteil heraus: „Wir konnten weiter entwickeln und waren anders als andere nicht aufs Ausland angewiesen.“
Nicht der einzige Bereich, in dem sich die Pandemie abzeichnete. Auch am Umsatz von Blackroll war Corona beteiligt – wie das Virus in Wellen, für Blackroll in positiver Form. Die erste habe sich gezeigt, als die Fitnessstudios zugemacht hätten, erläutert Keckeisen. Die zweite Welle kam Mitte 2020 und dauerte etwa ein Jahr. „Da wollten die Leute zuhause den Wellnessfaktor haben.“ Besser liegen, besser schlafen. Ein Bereich, den das Unternehmen ebenfalls abdeckt.
Denn Blackroll ist zwar aus einem Produkt heraus entstanden, hat sich und sein Sortiment aber ausdifferenziert. Es gibt unter anderem Trainingsbälle, eine Stehschreibtisch-Unterlage, eine Massagepistole und Massage-Werkzeuge. Das umsatzstärkste Produkt ist ein Kissen, das sogenannte Recovery Pillow.
Umsatzstärker sogar als die Rolle, die wesentlich bekannter ist. Als Blackroll. Ein Name, der fast stellvertretend für die Gattung der Faszienrollen in Deutschland steht. Ähnlich dem Tempo zum Taschentuch. Das aber sei nicht nur positiv, wie Marius Keckeisen betont. „Leute verbinden nur die Faszienrolle mit dem Unternehmen und sind dann erstaunt, dass es mehrere Produkte gibt.“
Blackroll in Bottighofen beschäftigt 64 Mitarbeiter
Das Produkt soll sich jeder leisten können. Gleichzeitig soll es dem Anspruch eines Profiathleten gerecht werden. Ein Widerspruch? „Mit unserem Material ist das möglich.“ Auch wenn es weitaus billigere Alternativen im Discount zu kaufen gibt. „Außerdem bieten wir den wissenschaftlichen Hintergrund.“

Tatsächlich beruht ein großer Teil des Erfolgs von Blackroll auf der Erkundung von Faszien, muskulärem Bindegewebe, was nach und nach wissenschaftlich belegbar wurde. Demnach hatte bereits der flämische Anatom und Chirurg Andreas Vesalius im 16. Jahrhundert eine große, wie man heute weiß, sensorisch ausgestattete Gewebsstruktur gefunden.
Aber es dauerte, bis die Medizin die Faszien wirklich beachtete. Erst 2015, fast ein halbes Jahrtausend nach ihrem Vorgänger, hat Bewegungswissenschaftlerin Carla Stecco von der Universität Padua den ersten Atlas für dieses System veröffentlicht.
Faszien galten als Esoterik
Früher seien Faszien höchstens von Osteopathen thematisiert worden, die damit vielleicht Energieblockaden gelöst haben, resümiert Marius Keckeisen. Das mute esoterisch an und verschränke den Zugang zu einer Zielgruppe, wie der Betriebswirtschaftler erläutert. „Durch die Forschung hat das Faszienthema dann die Masse erreicht.“
So konnte aus einer Unternehmung ein Unternehmen mit 64 Mitarbeitern werden, das laut seinem Gründer rund eine Million Produkte im Jahr verkauft und damit einen Umsatz im zweistelligen Millionenbereich erzielt.
Angewiesen ist Blackroll bei seiner Vermarktung aber auch auf andere, auf Multiplikatoren. „Gerade am Anfang hatten wir kein Marketingbudget, um groß einzukaufen“, sagt Keckeisen. Als dann aber Fotos von Basketballer Dirk Nowitzki und Profi-Fußballern mit der Kunststoffrolle auftauchten, gekoppelt mit den Erkenntnisse der Faszienforschung – das hatte Multiplikatoreneffekt.
Blackroll will digitale Angebote und Produkte ausbauen
Heute ist das Unternehmen aus Bottighofen vor allem im Netz aktiv. Wesentlich ist zudem die Empfehlung von Ärzten und Therapeuten. Darauf liegt das Augenmerk, sagt Marius Keckeisen, hier sei die Glaubwürdigkeit am größten.

Zudem feilen bei Blackroll mehr als 15 Entwickler an digitalen Strategien und Lösungen. So ist das Unternehmen mit Übungen, Challenges und Kursen online gegangen. Einige sollen sogar komplett über die Krankenkasse abgerechnet werden können. Faszienübungen zuhause vorm PC, angeleitet und fundiert. Die für sich schon Absatz bringen. Und entsprechende Produkte notwendig machen.