Es scheint eine Gewissheit, ist aber vielleicht doch nur ein Mythos: Die Schweiz, ein Land das Groß-Infrastruktur akribisch plant, konsequent durchzieht und dabei noch im Zeit- und Kostenrahmen bleibt. Erfolgreiche Mega-Projekte wie der Gotthard-Basistunnel, der im Rekordtempo durch den Alpenhauptkamm getrieben wurde, sind die Kronzeugen der These.
So ganz stimmt sie aber wohl nicht. Denn bei der Energiewende, einem der zentralen Projekte der Schweiz, sind die Eidgenossen Jahre im Hintertreffen. „Die Schweiz ist von ihren Voraussetzungen her eigentlich ein Paradies für Erneuerbare Energien“, sagt etwa Corina Gredig, Nationalrätin des Kantons Zürich für die Grünliberale Partei (GLP).
Wind- und Solarkraft nütze man aber viel zu wenig. „Wir haben die Herausforderung, schneller auf heimische Energiequellen umzustellen, sagt die Politikerin.
Im nationalen Energiemix der Eidgenossen spielt etwa Photovoltaik aktuell nur eine marginale Rolle. Lediglich die Wasserkraft ist in der Alpenrepublik traditionell stark ausgebaut. Besonders aber hakt es beim Thema Windenergie. Nicht mal ein Prozent der Energieproduktion geht auf sie zurück – und das liegt nicht nur an fehlenden Flächen.
20 Jahre für einen Windpark
„Einen Windpark in der Schweiz zu errichten, dauert rund 20 Jahre“, sagt Nationalrätin Gredig und blickt neidisch hinüber ins benachbarte Baden-Württemberg. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der gerade mit der Schweizer Grünen in Zürich über Probleme in der gemeinsamen Energiepolitik diskutiert, ist überrascht.
Er findet, die sieben Jahre Planungszeit für Windräder in Deutschland schon inakzeptabel. „Wir sind in Deutschland in einem erschreckenden Ausmaß überbürokratisiert“, schimpft Kretschmann. Gehe es in diesem Tempo weiter, schaffe man die Energiewende nicht.
Einig ist er sich mit seiner Schweizer Kollegin ist er sich aber, dass Bremsklötze in Energieangelegenheiten weg müssen. Der Vogelschutz gehört dazu. Der Zusammenhang zwischen Windkraft und Vogelsterben sei „künstlich und quantitativ nicht erheblich“, sagt er. Von den rund 290 Millionen Vögeln, die pro Jahr „gekillt“ würden, gingen nur 100.000 aufs Konto von Windrädern.
Lieber Katzen abschaffen als auf Windräder verzichten
Und Gredig sagt, in der Schweiz wäre dem Vogelschutz mehr gedient, Hauskatzen abzuschaffen, als auf Windstrom zu verzichten. Um ein Vielfaches seien die Vierbeiner tödlicher für Vögel.
Einig ist man sich, dass der Ukraine-Krieg dem in beiden Ländern schleppenden Ausbau Erneuerbarer Energien einen Schub verleihen könnte. Die durch den Energieboykott Russland im Raum stehenden Preisexplosionen würden dem Projekt einen „enormen Schub“ geben, sagt Kretschmann.
Damit schließt sich der Grüne der Meinung eines der wohl einflussreichsten Schweizer Finanzmanager, Philipp Hildebrand, an. Der Ex-Chef der Schweizer-Nationalbank und heutige Blackrock-Manager sagt, grüne Energie sei heute viel günstiger als fossile Quellen. Es sei jetzt Zeit zu handeln. Die Kosten des Klimawandels würden sonst umso stärker kommen.