In Kreuzlingen, nahe der Grenze, steht ein Gebäude, an dem wohl hunderte Konstanzer tagtäglich vorbeifahren. Doch was auf den ersten Blick aussieht wie ein gewöhnliches Wohnhaus ist etwas ganz anderes – ein Schutzbunker. Und er ist in der Schweizer Grenzstadt bei weitem nicht der einzige. Nur einen Steinwurf entfernt steht ein weiterer Bunker am Straßenrand, der als Haus getarnt ist.

Sehen sie einen Bunker oder ein Wohnhaus? Das ist in Kreuzlingen manchmal nicht einfach zu beantworten.
Sehen sie einen Bunker oder ein Wohnhaus? Das ist in Kreuzlingen manchmal nicht einfach zu beantworten. | Bild: Timm Lechler

Die Bunker sind Teil des Festungsgürtels Kreuzlingen, der auf einer etwa 11,5 Kilometer langen Frontlinie rund um die Schweizer Grenzstadt gebaut wurde. Mehr als 80 Bunker gehören zu diesem Bunkergürtel, der kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, ab 1937, aus Angst vor einer Bombadierung durch die deutschen Streitkräfte und als Grenzbefestigung entstanden ist.

In Kreuzlingen steht ein Bunker getarnt als ein Haus. Hansjörg Huber führt den SÜDKURIER hindurch.
In Kreuzlingen steht ein Bunker getarnt als ein Haus. Hansjörg Huber führt den SÜDKURIER hindurch. | Bild: Timm Lechler

Die Schweiz war umgeben von Feinden

Gleich zu mehreren dieser Bunkeranlagen gewährt der Verein Festungsgürtel Kreuzlingen, vertreten durch Präsident Hansjörg Huber und Mitglied Urs Ehrbar dem SÜDKURIER Einlass. Der Verein Festungsgürtel Kreuzlingen wurde 2003 geschaffen, hat 700 Mitglieder und kümmert sich seit fast 20 Jahren um die Instandhaltung und die Pflege.

Hansjörg Huber (links) und Urs Ehrbar vom Verein Festungsgürtel Kreuzlingen sind für die Pflege der Schutzräume verantwortlich.
Hansjörg Huber (links) und Urs Ehrbar vom Verein Festungsgürtel Kreuzlingen sind für die Pflege der Schutzräume verantwortlich. | Bild: Timm Lechler

„Die Schweizer befürchteten damals einen Angriff der Deutschen“, sagt Urs Ehrbar. „Die Wehrmacht hätte bereits vor Ausbruch eines Krieges Truppen südlich des Rheins bereitstellen können, um dann bei Kriegsausbruch unser Land überraschend anzugreifen.“ Diese Überlegung des Schweizerischen Generalstabes habe zum Bau des Festungsgürtels Kreuzlingen geführt.

Eine Karte an der Wand zeigt, wie die Bunkeranlagen rund um Kreuzlingen angeordnet sind.
Eine Karte an der Wand zeigt, wie die Bunkeranlagen rund um Kreuzlingen angeordnet sind. | Bild: Timm Lechler

Die Schweiz war damals militärisch und strategisch sehr relevant. Allerspätestens nach dem Fall Frankreichs im Jahr 1940 war die Schweiz von den faschistischen Mächten Deutschland und Italien umschlossen.

An beiden Fronten drohte dadurch große Gefahr des Krieges, weshalb riesige Festungsbunker im Landesinneren in den Bergen gebaut wurden. Nach dem Krieg wurden die Ausgaben für die Bunkermodernisierung aufgrund der ständig drohenden Gefahr durch den Kalten Krieg nochmals weiter intensiviert.

Viele wussten nichts von den Bunkern

Einer der grenznahen Bunker ist ein als Haus getarnter Betonklotz inmitten von Bottighofen. Gebaut wurde er in der Zeit des Kalten Krieges. In Benutzung war er laut Urs Ehrbar, der damals in der Infanterie gedient hatte, bis ins Jahr 1994. „Es gab viele Leute in Bottighofen die von 1994 bis 2005 nicht wussten, dass das ein Bunker war“, sagt der 73-Jährige lachend.

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Inzwischen wird das Gebäude als Museum genutzt. In dem Schutzbau, der von 2,5 Meter dicken Mauern umgeben ist, haben damals laut Hansjörg Huber 23 Menschen Platz gefunden. Er war mit mehreren Waffen ausgestattet, darunter ein 26 Kilogramm schweres Maschinengewehr, sowie Granatwerfern, Holzarbeiterwerkzeugen und Flammenwerfern.

Im Inneren des Bunkers befinden sich vor allem eines: viele verschiedene Waffen.
Im Inneren des Bunkers befinden sich vor allem eines: viele verschiedene Waffen. | Bild: Timm Lechler

Strom wurde durch ein Art Fahrrad erzeugt. Durch die Ausschussluken lässt sich der nächste Bunker, knapp 50 Meter entfernt, erkennen. Neben den Gucklöchern hängt eine Kunststoffapparatur mit der Aufschrift „Flammenwerferschutz“.

Kommandobunker in Weinfelden

Neben den Häuserbunkern und Schutzkellern unter Gärten und Häusern gab es außerdem in Weinfelden einen großen Kommandobunker, der Teil des Festungsgürtels war. An ihm wurde ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis ins Jahr 1989 immer wieder gebaut, er bot Platz für 80 Menschen.

Bild 6: Haus oder Schutzbunker? In der Schweiz oft schwer zu unterscheiden
Bild: Timm Lechler

Die zentnerschweren Druckschutztüren, die Entlüftungsanlage, die Gasschleuse und die fast drei Meter dicken Betonwände hätten sogar einem Atomschlag standgehalten.

Diese Druckschutztüren halten einem Atomschlag stand.
Diese Druckschutztüren halten einem Atomschlag stand. | Bild: Timm Lechler

Heute sind in dem Kommandobunker vor allem Waffen, Ausrüstung, alte Geräte und andere Gegenstände ausgestellt. Es befindet sich außerdem eine Kriegsbibliothek darin – und das alles 20 Meter unter der Erde.

Bild 8: Haus oder Schutzbunker? In der Schweiz oft schwer zu unterscheiden
Bild: Timm Lechler

„Die 30 Tonnen Diesel reichen für vier Wochen Autonomie“, sagt Urs Ehrbar außerdem. Eine Nutzung wäre also bis heute weiterhin möglich.

Bunkerpflicht in der Schweiz

Wie die Geschichte in der Schweiz nachhallt und sie beeinflusst merkt man bis heute. So herrscht aufgrund der Vergangenheit noch bis heute die Schutzraumpflicht für viele Neubauten. Wird dieser nicht gebaut, muss laut Urs Ehrbar Geld in den Topf der Gemeinde fließen, aus dem der Schutz der Bürger in Gemeinschaftsbunkern finanziert wird.

In Baden-Württemberg erscheint das alles geradezu hochgradig übertrieben, hier gibt es statt der Schutzraumpflicht eine Solarpflicht für Nicht-Wohngebäude.

Noch mehr Interesse? SÜDKURIER-Videoreporterin Julia Becker nimmt Sie in der neuen Folge unseres Videoformats „Aufgeschlossen“ mit auf eine spannende Erkundungstour durch die Bunker.

Anmerkung der Redaktion

Dieser Inhalt erschien erstmals im Januar 2022 auf SÜDKURIER Online.