Sogenannte Airdancer, auch als Sky­dancer oder Tubeman bekannt, hat jeder schon mal gesehen. Es handelt sich um diese meist riesengro­ßen, auf­­blas­ba­ren Figuren aus Kunst­stoff, die zap­pe­lnd Groß­er­eig­nisse wie Rock­fe­stivals oder Spiele der Fußball­bundes­li­ga be­gleiten. Ven­tila­to­ren ver­sorgen die windigen Ge­sel­len mit Luft und halten sie in Be­we­gung.

Laut Wiki­pedia schlug ihre Ge­burts­stun­de bei den Olympi­schen Spie­len von Atlanta 1996; dort hatten sie bei der Er­öffnungsfeier ihren Auf­tritt. Ver­gleichbare Krea­ti­onen kannte man unter der Bezei­chnung In­flatable Sculptures oder schlicht In­fla­tables indes schon davor – auch in der Kunst. Ein Pionier auf diesem Gebiet wurde Ot­to Pie­ne in den 1960er­-Jah­ren.

Seine ‚Aufblas­ba­ren‘ (dies die wörtliche Über­setzung des engli­schen Begriffs) wur­den zu einer Art Marken­zeichen des deut­schen Kün­st­­lers und zählten bald zu seinen be­kann­te­sten Schö­p­fungen. In ihren Dimen­sio­nen über­trafen manche bei Weitem die Skydancer von heute. Anstelle men­sch­licher Figu­ren stellten sie Lebe­wesen wie Blu­men, Pflan­zen und Mee­restiere dar – oder Fabelwesen gleich dem Mi­notaurus.

Mit seinen Inflatables stieß Piene, dieser Pi­o­nier der Ge­gen­warts­kunst und Be­grün­­­der der Sky Art, in andere Sphären vor. Neuartig, in­no­­va­tiv waren in den späten 1950er-Jahren auch schon seine Rauch- und Feu­er­bilder gewesen – oder die Environ­ments mit be­wegtem Licht in den frühen Sechziger­n. Seinen Platz in der Kun­st­ge­schi­chte hätte er wohl auch mit sei­nen frü­hen Rasterbildern gehabt: ori­gi­nellen Malereien, noch in den 1950er-Jahren entstan­den, in einer Phase, in der er in Düsseldorf ZERO gründete, eine der prä­genden Kün­st­ler­ver­einigungen der Nach­­kriegszeit.

460 Meter lange Schläuche: Otto Pienes Testinstallation „Olympischer Regenbogen“, St. Paul/USA, 1. August 1972.
460 Meter lange Schläuche: Otto Pienes Testinstallation „Olympischer Regenbogen“, St. Paul/USA, 1. August 1972. | Bild: Jean Nelson, Otto Piene Archiv

In der um­fassen­den Werkschau im Tinguely Museum in Basel – der ersten seit der großen Pie­ne­-Re­trospektive in der Neuen Nati­onal­ga­le­rie Berlin in Pie­nes Todesjahr 2014 – markieren die Raster­malereien jetzt den Beginn eines sich über elf Räume erstreckenden Par­cours. Die Schau ist Teil einer lockeren Folge von Aus­stel­lun­gen, die das Werk von Kün­stlerfreunden oder Weggefähr­ten Jean Tinguelys wie Yves Klein oder Daniel Spoerri beleuchten. Kennengelernt hatten sich Piene und Tin­guely, beide An­fang 30, wohl 1959 im Rheinland. Was sie verband, war die Suche nach einem Anschluss der Kunst an die Gesellschaft – und ihre Wirksam­keit über ein, so nannte es Piene, „Eli­te­publikum“ hi­naus.

ZERO, der Name der Künstlergruppe, spielt auf eine imaginäre Stunde Null an und steht für einen Neuanfang der Kunst. Eine Kunst der Reinheit sollte nach den Jah­ren der na­tionalsozi­alisti­schen Herr­schaft die Kunst der Zukunft sein. 1944 war Piene mit 15 Jahren als Flak­helfer eingezo­gen worden. Inmitten ei­nes Alltags perma­nen­ter Bedrohung durch feindli­che Flie­ger­angriffe schuf sich der Halb­wüch­sige in seinen Skiz­zenbüchern ei­nen schützenden Raum der Imagination. 73 dieser Bücher im DIN A3-Format füllte er während sei­nes langen Lebens mit Filzstift­zei­chnungen. Et­li­che davon sind jetzt – auch digital – in Basel zu sehen.

Otto Piene mit „Tent II“, Skyevent für „Lichtspur im Haus der Sonne“, WDR 3, 1974.
Otto Piene mit „Tent II“, Skyevent für „Lichtspur im Haus der Sonne“, WDR 3, 1974. | Bild: Otto Piene Archiv

Man könnte in Pienes Arbeit als Kün­stler ein Stück weit eine Auseinan­der­setzung mit dem Kriegstrau­ma seiner Jugend sehen. In der in schwach er­leuchtetes Dunkel getauchten raum­fül­lenden In­stallation „Fleurs du mal“ richten sich überdi­mensionale schwar­ze, florale For­men unter den Luftströmen der Venti­latoren auf, um schließlich wie­der in sich zusam­menzufallen. Die Ge­räusch­kulisse erinnert dabei an laute Sire­nen­töne. In seiner Sky Art ver­wandelte Piene den Him­mels­­raum, aus dem im Krieg Tod drohte, mit teils turmhohen Inflatables in eine friedliche Sphä­­re der Kon­tem­plation und des ästhetischen Genusses.

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Pienes zentrales Motiv ist der Regen­bo­gen. Sein „Olympi­scher Re­gen­bogen“, der sich 1972 bei der Ab­schluss­feier der Olympischen Spiele in Mün­chen in Gestalt von fünf 460 Meter langen farbigen Schläuchen über den Olympiasee spa­nn­te, sandte eine Frie­densbotschaft in die Welt. Als „biblisches Symbol des Friedens“ sollte er Ausdruck „völkerver­bindender Ener­gi­en“ sein – so Piene. Dass er 1968 mit seinen Inflatables die Instal­lation „Pneu­matic Garden of Ed­en“ schuf, weist in dieselbe Richtung. „We­ge zum Paradies“ (ein Piene-Zitat) ist auch die Basler Ausstellung über­schrie­ben.

In „Manned Helium Sculpture“ von 1969 hängt ein Mensch im Raum­anzug schwerelos schwebend wie ein Astro­naut an einem riesigen, floral geformten In­flatable. Und in „Sky Kiss“ lässt Piene die US-Avantgardecellistin Charlotte Moorman im Luftraum schwebend auf ihrem Instrument spie­len. Es sind utopische Bilder der schier un­begrenzten Möglichkeiten des Men­sch­seins.

Tinguely Museum, Paul Sacher-Anlage 1, Basel. Bis 12. Mai, täglich 11-18 Uhr, Do 11-21 Uhr. Informationen: www.tinguely.ch