Wenn die Konstanzer Gemüsegärtner aus dem Stadtteil Paradies frühmorgens zu ihren Feldern fahren, müssen sie eine Staatsgrenze überqueren. Und dennoch fahren sie zur Arbeit auf Konstanzer Land, versteuern ihre Einkünfte in Deutschland. Auch zahlreiche Konstanzer Kleingärtner haben dort ihre grünen Freizeitoasen.

Ein Staatsvertrag aus dem Jahr 1831 räumt der Konstanzer Stadtregierung bis heute besondere Hoheitsrechte auf dem exterritorialen Grünland ein. So unterhält die Stadt eine eigene Landstraße und zahlreiche Feldwege in diesem Gebiet, pflegt Gräben und Bäume.

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Die Paradieser Gemüsegärtner bezahlen keine kommunalen Abgaben an die zuständige Schweizer Gemeinde Tägerwilen. Staatsrechtlich gesehen ist das Tägermoos eine eigenständige Schweizer Gemeinde, die von der deutschen Stadt Konstanz „regiert“ wird: Ein deutsches Stück Schweiz sozusagen.

Schweizer Richtlinien, Schweizer Boden, aber deutsche Betriebe

Die deutschen Familienbetriebe produzieren teils nach den Richtlinien von „Bio Suisse“, dem Verband der Schweizer Biolandbau-Organisationen. Erzeugt wird eine breite Palette von Gemüsen. Die Ernte geht an den Gemüsesafthersteller Biotta AG, an Schweizer Genossenschaften und Großhändler. Ein Teil der Erträge wird in Hofläden, auf der Reichenau und auf dem Konstanzer Wochenmarkt abgesetzt.

Richard Hörenberg, einer der Konstanzer Gemüsegärtner, am Arbeitsplatz auf Schweizer Hoheitsgebiet.
Richard Hörenberg, einer der Konstanzer Gemüsegärtner, am Arbeitsplatz auf Schweizer Hoheitsgebiet. | Bild: Archiv Tobias Engelsing / Siegert Stiftung / Wolff-Seybold

Die kuriosen Rechtsverhältnisse erschweren den Alltag, zum Beispiel wenn es um die Anwerbung von Feldarbeitern aus Süd- und Osteuropa geht. Maßgebend ist hier das Schweizer Ausländerrecht und das begrenzt den Aufenthalt der “Saisoniers“ strikt auf neun Monate. Etliche Arbeiter kommen gleichwohl immer wieder, denn sie arbeiten gerne bei den Konstanzer Gemüsegärtnern.

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In den vergangenen fünf Jahrhunderten hat Konstanz seine besonderen Rechte am Tägermoos eisern verteidigt. Damals, im sogenannten „Schwaben- oder Schweizerkrieg“ von 1499, hatte die freie Reichs- und Bischofsstadt Konstanz ihr natürliches Hinterland verloren – bis auf das Tägermoos: Die kriegerischen Eidgenossen hatten den Thurgau ihrem Herrschaftsgebiet einverleibt. Damit rückten die Grenzen der Eidgenossenschaft bis an die Stadtmauern von Konstanz heran.

Ein Schweizer Grenzwächter, der um 1920 den Grenzübergang zum Tägermoos bewacht.
Ein Schweizer Grenzwächter, der um 1920 den Grenzübergang zum Tägermoos bewacht. | Bild: Archiv Tobias Engelsing / Siegert Stiftung / Wolff-Seybold

Nach dem Zweiten Weltkrieg drohte das Tägermoos für Konstanz verloren zu gehen, als die Schweiz von den Alliierten gezwungen wurde, deutsche Vermögenswerte im Land zu liquidieren beziehungsweise, wie im Fall von Konstanz, deutsche Verbindlichkeiten einzutreiben. Mit dem Erlös sollte die Schweiz eine Sühneleistung dafür erbringen, dass sie wirtschaftlich mit Nazi-Deutschland kooperiert hatte. Deutsche und Schweizer Verhandlungspartner verhinderten, dass das Tägermoos verkauft wurde.

Der Kanton Thurgau hätte eigentlich gern das Land zurück

Die Gegenwart ist nicht frei von Spannungen: Der Kanton Thurgau drängt darauf, den Vertrag von 1831 zu revidieren und das Tägermoos kommunalrechtlich Tägerwilen und Kreuzlingen zuzuschlagen. Konstanz verteidigt die historisch gewachsene Struktur, will vor allem verhindern, dass das grüne Tägermoos eines Tages zu Bauland gemacht werden könnte.

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