Nach der Ankündigung der neuen Bundesregierung, die Kontrollen an den Grenzen zu verschärfen, ist an den Konstanzer Übergängen am Donnerstag mehr Polizei präsent gewesen. Sowohl der Autobahnübergang als auch die kleineren Zollposten in Tägerwilen und Emmishofen wurden stichprobenartig kontrolliert, wie der SÜDKURIER vor Ort beobachten konnte.
An der Kontrollpraxis gab es aber keine sichtbaren Veränderungen: Vor allem Reisebusse und Transporter wurden angehalten, grüne Übergänge blieben frei. Der Verkehr war weitgehend flüssig. Dieser Eindruck bestätigte sich auch an sieben weiteren Grenzübergängen, die der SÜDKURIER zwischen Konstanz und Bad Säckingen im Laufe des Tages beobachtete – an keiner Stelle gab es zum Besuchszeitpunkt scharfe oder flächendeckende Kontrollen, meistens sogar gar keine sichtbaren.
Beeinträchtigungen in Kehl
Anders an der deutsch-französischen Grenze in Kehl. Dort hätten die bisherigen Kontrollen den Alltag bislang nur mäßig beeinträchtigt, heißt es von der Stadt. „Das hat sich mit dem heutigen Tag schlagartig geändert“, sagt nun aber der Kehler Oberbürgermeister Wolfram Britz: „Wir fühlen uns zurückgeworfen in Zeiten, die wir längst überwunden glaubten.“ Vor Ort kam es zu Stau, auch der Zugverkehr sei gestört worden.
Er wolle sowohl den neuen Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) als auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) anschreiben, so der parteilose Britz. Dass die Kontrollen während der Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs verschärft werden, sei „überhaupt nicht nachvollziehbar – wir hätten uns mehr Fingerspitzengefühl gewünscht“.
Mehr Kontrollen, Ausnahme für vulnerable Gruppen
Dobrindt hatte am Mittwochabend mit einiger Verspätung mehr Kontrollen und Zurückweisungen auch für Menschen angekündigt, die einen Asylantrag stellen. Davon ausgenommen seien vulnerable Personen, dazu zählen Hochschwangere, Frauen mit Kleinkindern oder Schwerkranke. Sie sollen weiterhin an die Erstaufnahmeeinrichtungen weitergeleitet werden können.
Für die Zurückweisung auch Asylsuchender beruft sich die neue Bundesregierung unter anderem auf den Ausnahmeartikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der es Mitgliedstaaten ausnahmsweise gestattet, von der EU-Asylgesetzgebung abzuweichen – um in Notsituationen die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ gewährleisten zu können.
Die Ausnahmeklausel wird schon lange diskutiert
Bereits seit 2016 wird in der EU über diese Option diskutiert, bislang wurde jede Verwendung vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) zurückgewiesen. Dieses Risiko besteht nun auch für die neue Bundesregierung, wie der Konstanzer Europarechtler und Asylexperte Daniel Thym dem SÜDKURIER bestätigt.
Zwar reduziere die Ausnahme vulnerabler Gruppen die juristischen Risiken, beseitige sie aber nicht, so Thym. Das gelte auch für die Abstimmung mit den Nachbarländern: „Ein wichtiger Faktor ist der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, weil der Gerichtshof abgestimmte Lösungen gegenüber nationalen Alleingängen vorzieht“, schrieb Thym bereits vor einiger Zeit in einem Rechtsgutachten.
Abstimmung mit den Nachbarn hatten CDU und CSU bereits vor der Kanzlerwahl angekündigt, Dobrindt wiederholte am Mittwoch, er habe „mit Teilen der Nachbarn“ bereits gesprochen, Bundeskanzler Merz ebenso.
Schweiz kritisiert fehlende Abstimmung
Zumindest die Schweiz war nicht darunter, wie das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) ebenfalls am Mittwoch verlautbarte. Bundesrat Beat Jans (SP) habe ein Treffen auf Ministerebene vorgeschlagen, hieß es.
Auf die Aussage der Schweiz angesprochen, erklärte der neue Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) dem SÜDKURIER: „Natürlich gibt es einen permanenten Dialog mit den Nachbarländern, da die Lage insgesamt im Blick behalten werden muss.“ Es sollte bei der Debatte aber nicht vergessen werden, dass sich die Betroffenen bereits in einem sicheren Staat befänden, so der gebürtige Säckinger.

Nachdem Merz bei seinem Amtsantrittsbesuch in Polen vor laufenden Kameras gesagt hatte, er habe seinen Innenminister Dobrindt um Abstimmung mit den Nachbarn gebeten, wurde am Donnerstag von einem Treffen seiner Staatssekretäre mit den Botschaftern der Nachbarländer berichtet. Ergebnisse dieser Gespräche sind bislang nicht bekannt, das EJPD ließ eine Anfrage des SÜDKURIER unbeantwortet.
Auch aus Polen kam Kritik. Die dortige Regierung ist zwar durchaus für einen harten Kurs in Migrationsfragen, aber gegen innereuropäische Grenzkontrollen. Ministerpräsident Donald Tusk sagte, sein Land werde nicht akzeptieren, dass andere Staaten Gruppen von Migranten schickten – woraufhin der neue Außenminister Johann Wadephul (CDU) versicherte, dass Deutschland keine Migrationspolitik gegen den Willen Polens durchsetzen werde.
Zahlen sind seit langem rückläufig
Welchen Effekt die verschärften Kontrollen letztlich haben, dürfte schwer zu bewerten sein: Die Asylzahlen sind seit längerem rückläufig, das österreichische Innenministerium berichtete kürzlich von gerade einmal 19 Aufgriffen in einer Woche an der eigentlich viel frequentierten ungarischen Grenze. In Baden-Württemberg wurden im ganzen April 888 Asylgesuche registriert, in den beiden Vorjahren waren es im April einmal knapp über und einmal knapp unter 2000.