Es gibt Menschen, denen kann man stundenlang zuhören, wenn sie erzählen, denn sie erzählen mit Leidenschaft. Aus Leidenschaft.
Als das erste Paar ein Nest baut
Urs Wullschleger (78) ist genau so ein Mensch. Seine große Leidenschaft sind die Störche. Storchenvater nennen ihn viele in Kaiseraugst, denn Wullschleger sorgt sich um die Vögel, seit das erste Paar 1991 auf dem Kirchturm einen Horst errichtet hat.
Mehr und mehr Störche nisten sich ein
Er war schon damals Mitglied im Natur- und Vogelschutzverein, „weil mich Vögel seit meiner Kindheit faszinieren“, und als jemand gesucht wurde, der ein Auge auf die Störche hat, sagte Wullschleger: „Klar, das mache ich.“ Er lacht, wie wir an diesem Nachmittag auf der Terrasse seiner Wohnung sitzen. „Denn schließlich habe ich von der Wohnung aus ja freien Blick auf den Horst.“

Nicht nur auf diesen, sondern auch auf zwei weitere. Denn längst brütet in Kaiseraugst nicht mehr nur ein Paar; heute sind es um die 20. „Damit hat sich natürlich auch mein Aufwand deutlich erhöht“, sagt Wullschleger mit einem Augenzwinkern. Denn Arbeit ist das für ihn nicht.
Und manchmal gelingt es ihm, ganz spezielle Momente fotografisch einzufangen, wie jenes Bild, auf dem in allen drei Horsten Störche sitzen.
Ein Jungstorch bei einer Flugübung
Im Horst nebenan tut sich etwas. Einer der drei Jungstörche macht erste Flugübungen. Knapp einen Meter hoch kommt er, dann sackt er zurück ins Nest. Wieder lacht Wullschleger. „Die Jungtiere sind zu schwer und müssen abnehmen“, sagt er. Deshalb würden die Eltern ihnen auch nur noch wenig Futter bringen. Er sieht meinen skeptischen Blick. „Kein Witz“, fügt er an.
Manchmal gibt er auch Hilfestellung
20 Jahre lang kam immer nur ein Paar. Dann tauchte plötzlich ein zweites auf, das versuchte, auf einer Esche ein Nest zu bauen. Das misslang, aber Wullschleger hatte eine Idee. Er fragte die Gemeinde an, ob man einen Ast für die Störche entfernen dürfe. Die Gemeinde stimmte zu und Wullschleger setzte eine Palette in den Baum. Und siehe da: Das Paar nahm es an und baute darauf den Horst.
Warum er sich stets auf den Februar freut
„Von da an ging es steil aufwärts“, sagt Wullschleger. Einigen in der Gemeinde etwas zu steil, wie der Storchenvater weiß. Er zuckt mit den Schultern. „Was soll ich machen?“, fragt er rhetorisch. „Ich habe die Störche nicht eingeladen.“ Sie fühlen sich aber offensichtlich eingeladen und kommen jedes Jahr wieder. Dieser Moment, wenn sie im Februar zurückkehren, gehört für Wullschleger zu den schönsten. „Es ist spannend zu beobachten, ob die gleichen Störche wie im Jahr zuvor kommen und sie im gleichen Horst brüten.“
Störche tun auch mal Unerwartetes
Er erlebt die Störche als stolze Tiere, die bisweilen auch unerwartet agieren. So wie die beiden Störche auf Pappel 3 beim Camping. „Sie turteln und kopulieren, aber haben keine Anstalten gemacht, ein Nest zu bauen“, erzählt Wullschleger. „Aber sie haben sich offensichtlich gefunden.“
Es gibt auch traurige Momente
Gefunden hat Wullschleger, und das ist die Kehrseite, in diesem Jahr auch zwölf tote Jungtiere. Sie seien wohl beim Starkregen im Mai im Horst ertrunken, vermutet er und fügt an: „Das ist die Natur.“
Ein bis zwei Stunden gehören seinen Störchen
Mit 26 Jungtieren, die überlebt haben, ist die diesjährige Storchensaison „eher Mittelmaß“, bilanziert Wullschleger. Während der Storchensaison ist er jede Woche zwei Mal eine bis zwei Stunden im Dorf unterwegs, um zu seinen Störchen zu schauen. Wieder muss er schmunzeln. „Mir ist dann jeweils auch recht, wenn die Störche im August wegfliegen, denn dann habe ich wieder etwas Ruhe.“ Bis im Februar. Wenn er es kaum erwarten kann, dass sie zurückkehren.
Der Autor ist Redakteur der „Aargauer Zeitung“. Dort ist dieser Beitrag auch zuerst erschienen.