Wer verstehen will, warum US-Präsident Donald Trump ausgerechnet aus den Schichten der armen Bevölkerung so viel Zustimmung erfährt, muss Ayn Rand lesen. Die 1982 gestorbene Autorin gilt als Ikone eines Turbokapitalismus, der die Sozialromantiker dieser Welt als Verursacher allen Übels versteht.

Wenn die Elite streikt

In ihrem 1957 erschienenen Roman „Atlas wirft die Welt ab“ lässt sie die Elite einer Gesellschaft aus purem Trotz spurlos verschwinden. Banker, Unternehmer, Chefärzte, Spitzenkünstler: Einer nach dem anderen hat die Nase voll von den ewigen Schmarotzern und ihrem Sozialneid – ein Streik von oben. Zurück bleiben Arbeiter ohne Führung, Dienstleister ohne betuchte Kunden, Linke ohne Feindbild. Das haben sie jetzt davon!

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Während das Volk ratlos nach neuen Führungskräften sucht, finden sich die eben noch schändlich Verschmähten in einem verborgenen Tal namens Atlantis wieder. Dort können sie endlich erfolgreich wirtschaften: ganz unter ihresgleichen und nach den strengen Regeln des radikalen Egoismus.

Kann man so etwas ernst nehmen? Oh ja! „Atlas wirft die Welt ab“ zählte zur Lieblingslektüre von US-Präsident Ronald Reagan, Apple-Gründer Steve Jobs, Amazon-Chef Jeff Bezos und: Donald Trump. Ayn Rands Denken hat in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft also tiefe Spuren hinterlassen. Die tiefsten finden sich in der amerikanischen Unterschicht.

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Auf welche Weise sie sich zeigen, ist jetzt in Zürich zu erleben. Dort hat Nicolas Stemann, Leiter des Schauspielhauses, die unverhohlene Eliten-Propaganda unter dem Titel „Der Streik“ in ein Musical gegossen. Dabei zeigt sich schon bald: Ayn Rands Utopie mag herzlos und absurd sein (woher bekommen die glücklichen Egoisten jetzt einfache Dienstleistungen?), die Wirklichkeit ist aber auf ebenso kuriose Weise widersprüchlich. Und es sind diese Widersprüche, die Arme dazu bringen, ihren eigenen Ausbeuter zu wählen.

Hank Rearden (Sebastian Rudolph) studiert die Auftragseingänge.
Hank Rearden (Sebastian Rudolph) studiert die Auftragseingänge. | Bild: Gina Folly

Da ist die Vizepräsidentin der Eisenbahngesellschaft Dagny Taggart (Alicia Aumüller), die eine Bahnlinie zu unerschlossenen Ölfeldern bauen will. Sie macht dabei gemeinsame Sache mit dem Stahlproduzenten Hank Rearden (Sebastian Rudolph), den die Bürger wie folgt beschreiben: „Hank Rearden ist ein widerlicher schlimmer Egoist, dem für seine Gewinne wirklich gar nichts heilig ist.“ Na, das kann ja heiter werden.

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Schon bald müssen die beiden Vorzeigekapitalisten erleben, wie ihnen Staat und Gesellschaft Knüppel zwischen die Beine werfen. Umweltschädlich sei das Projekt, heißt es. Die Arbeiterschutz ist nicht gewahrt! Die Ausschreibung war nicht fair!

Lohn für Wagemut

Die schlimmsten Bedenkenträger finden sich in der eigenen Familie. Hank Reardens Bruder Philipp (Daniel Lommatzsch) zum Beispiel ist Theaterintendant. Und als solcher protestiert er gegen diese Machenschaften, will den Ausgebeuteten und Geknechteten auf seiner Bühne eine Stimme geben. Doch die haben darauf gar keine Lust. Sie lesen nämlich Zeitung. Und dort steht: Die Jungfernfahrt der neuen Eisenbahn ist geglückt, Hank Rearden wurde für seinen Wagemut belohnt.

In der Zeitung gilt der Skrupellose als Held: beim einfachen Volk kommt diese Botschaft an.
In der Zeitung gilt der Skrupellose als Held: beim einfachen Volk kommt diese Botschaft an. | Bild: John Raoux

Gegen einen wagemutigen, in den Medien gefeierten Geschäftsmann wirkt so ein dahergelaufener Theaterdirektor eher mickrig. Ja, wir sind halt dumpf und stumpf, murmeln die armen Leute, während sie mit ihren dümmlichen Masken über die Bühne tapsen. Umso mehr Bewunderung verdient doch einer, der es zu was gebracht hat!

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Und so muss Philipp hilflos ansehen, wie das Prinzip Donald Trump verfängt: Skrupelloser Kapitalist erntet von den Opfern seines Handelns Ehrfurcht statt Verachtung. Würde sich alles nach diesem Prinzip unterordnen, kritisiert der Theatermann, dann gäbe es bald auch keine kritische Hochkultur mehr, die sich für die Schwachen und Unterdrückten einsetzen kann, sondern nur noch kommerzielle Musicals. „Ja!“, rufen da die Unterdrückten begeistert: „Musicals! Wir mögen Musicals!“ Es ist zum Verzweifeln.

Schüsse auf die Schmarotzer

Schon bald erweist sich Philipp selbst als korrumpierbar, nimmt gierig Sponsorengelder entgegen und lässt sich – selbstverständlich aus Idealismus! – zu einer Karriere in der Politik überreden. Dort überziehen die Linken mit ihren Forderungen, erheben eine Steuer auf Reardens Metall, bloß damit „alle Menschen, die keine Metalle erfunden haben, nicht benachteiligt sind“. Am Ende siegt die Logik des skrupellosen Unternehmers auf ganzer Linie. Die armen Schmarotzer werden mal eben erschossen, es bleibt die Elite mit ihrer Kultstätte: ein Altar mit goldenem Dollar-Zeichen.

Endlich Ruhe vor den Sozialschmarotzern: In Atlantis ist für die Kapitalisten alles schön.
Endlich Ruhe vor den Sozialschmarotzern: In Atlantis ist für die Kapitalisten alles schön. | Bild: Gina Folly

Es ist ein etwas zu langer, insgesamt aber unterhaltsamer Abend geworden, der musikalisch mit seiner Mischung aus Jazz und Operette an die Blütezeit des Musicals zwischen den 30er- und 60er-Jahren erinnert. Stimmlich wird das ausschließlich aus Akteuren des reinen Sprechtheaters bestehende Ensemble zwar an seine Grenzen geführt. Das tut der wunderbar ironischen Wirkung aber keinen Abbruch.

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Im Zeichen des Dollar werden alle Menschen Brüder. Ob Mann oder Frau, schwarz oder weiß, homo- oder heterosexuell: Jegliche Diskriminierung hat sich erledigt. Oder fast jede. „Ihr seid alle Menschen“, singen sie selig: „jedenfalls, wenn ihr fleißig seid und Geld habt.“

Kommende Vorstellungen: heute sowie am 16., 18., 20., 22. und 23. Januar. Weitere Informationen: http://www.schauspielhaus.http://ch