Herbert Grönemeyer soll kürzlich wie ein Redner im Dritten Reich gesprochen haben. So jedenfalls lautete der Vorwurf nach einer eigentlich gegen rechts gehaltenen Ansprache vor seinem Wiener Konzertpublikum.

Sprechen wie ein Nazi

Sprechen wie ein Nazi: Das geschieht im Alltag tatsächlich öfter, als man denkt. Und umgekehrt: Viele Begriffe, von denen wir glauben, sie seien historisch belastet, sind in Wahrheit völlig unbedenklich. Oder hätten Sie gedacht, dass die Redewendung vom „inneren Reichsparteitag“ keineswegs auf die Nazis zurückgeht, sondern im Gegenteil von ihren Kritikern als ironische Spitze gegen den Kitsch und Bombast der NS-Veranstaltungen gedacht war? Es ist gerade diese kritischen Intention, die ihr eine Karriere bis ins 21. Jahrhundert hinein ermöglichte. Dort allerdings war Schluss. Und zwar genau am 13. Juni 2010.

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Damals sprach ZDF-Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein davon, das Tor müsse doch für Stürmerstar Miroslav Klose einen „inneren Reichsparteitag“ bedeutet haben. „Skandal!“, tippten empörte Zuschauer hastig in diverse Internetforen: „Nazi-Jargon!“

Keine Antenne für Ironie

Die empörungsbereite Generation Twitter hat keine Antennen mehr für kritische Intentionen und ironische Feinheiten. Deshalb traut sich seit dem 13. Juni 2010 niemand mehr, einen Fall von persönlicher Genugtuung mit „innerem Reichsparteitag“ zu umschreiben. Mit fatalen Folgen: Der Redewendung, die einst so wunderbar allen Nazi-Kitsch ins Lächerliche zog, sollen sich inzwischen tatsächlich rechtsradikale Kreise bedienen.

„Betreuen“ ist Nazi-Jargon

Gleichzeitig haben wir aber keinerlei Bedenken, nach „Betreuungseinrichtungen“ für unsere Kinder Ausschau zu halten. Wo doch die Vokabel „betreuen“ tatsächlich Nazi-Jargon übelster Sorte bedeutet. In der vor 1933 erschienen Literatur ist sie kaum zu finden: Die Nazis führten das Wort ein, um mit ihm Zwangsmaßnahmen aller Art zu verharmlosen.

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Der Journalist und Sprachexperte Matthias Heine hat unseren Wortschatz auf Rückstände aus dem Dritten Reich untersucht. Dabei zeigt sich: Viele Wörter, die wir für unbedenklich halten, sind aus historischer Sicht hoch problematisch. Umgekehrt glauben viele schon Reichspropagandaminister Joseph Goebbels reden zu hören, wo sich gar nichts Besonderes finden lässt. Ein paar Beispiele.

Europa, eine Festung? Auf diese Gleichsetzung kamen schon die Nazis. Heutige Politiker sollten sich deshalb hüten, diesen Begriff zu ...
Europa, eine Festung? Auf diese Gleichsetzung kamen schon die Nazis. Heutige Politiker sollten sich deshalb hüten, diesen Begriff zu übernehmen. Bilder: dpa | Bild: Manuel Meyer
  • Festung Europa: Es ist bedenklich genug, dass eine im Deutschen Bundestag vertretene Partei diesen Begriff mit positiver Konnotation ganz offen im Munde führt. Man werde „eine Festung Europa bilden müssen“, erklärte AfD-Chef Jörg Meuthen unlängst. Selbst wenn sich über die dahinter stehenden Absichten im Detail diskutieren ließe: Die Wortwahl zeugt von Geschichtsvergessenheit. Denn zur NS-Zeit war „Festung Europa“ ein gängiger Propagandabegriff. Europa als eine Burg gegen die Horden des Bolschewismus – selbstverständlich unter deutscher Führung: So sollte die Metapher verstanden werden.
„Gesundes Volksempfinden“ sollte in der Rechtsprechung besser keine Rolle spielen. Im Dritten Reich entsprach es dem ...
„Gesundes Volksempfinden“ sollte in der Rechtsprechung besser keine Rolle spielen. Im Dritten Reich entsprach es dem Führerwillen. | Bild: Peter Steffen
  • Gesundes Volksempfinden: Auch dieser Begriff ist belastet, und die heute gebräuchliche Abwandlung in den „gesunden Menschenverstand“ macht die Sache nicht besser. Mit Verweis auf ein vermeintlich „gesundes“ Empfinden wurde Gerichten ermöglicht, Urteile auch unabhängig von der Gesetzeslage zu fällen. Maßstab für den Grad der „Gesundheit“ war selbstverständlich der Führerwille. Die Abschaffung dieser vagen und damit missbrauchsanfälligen Definition von Recht zählte zu den ersten Maßnahmen der Besatzungsmächte nach dem Krieg. „Bestrafung von Taten unter Anwendung von angeblichem ‚gesunden Volksempfinden‘ ist verboten“, hieß es im Kontrollratsgesetz von 1945.
Das ist aber mal wieder ein „Bombenwetter“? Keine Sorge: Dürfen Sie sagen! Denn mit dem Nationalsozialismus hat dieser ...
Das ist aber mal wieder ein „Bombenwetter“? Keine Sorge: Dürfen Sie sagen! Denn mit dem Nationalsozialismus hat dieser Begriff entgegen verbreiteter Auffassung nichts zu tun. | Bild: Martin Gerten
  • Bombenwetter: Wer hört hier nicht schon die Flugsirenen heulen und Kampfflieger über feindliches Terrain dröhnen? Der Schauspieler Mario Adorf hatte von seiner Mutter als Kind verboten bekommen, dieses Wort zu gebrauchen. Wegen der schlimmen Zeiten im Luftschutzkeller. Dabei war es schon im Gebrauch, lange bevor Bomben überhaupt aus Flugzeugen fallen konnten: etwa in einem Gedicht von Aloys Blumauer von 1784. In Zeitungen zwischen 1933 und 1945 dagegen tauchte es kein einziges Mal auf. Wer glaubt, die Nazis seien Schöpfer dieses Wortes, liegt falsch. Im Gegenteil: Wegen der fatalen Assoziation zu den Angriffen der Alliierten achteten sie ab 1939 darauf, es nicht zu benutzen.
Die Legende von der „Umvolkung“ zählt zu den hartnäckigsten Verschwörungstheorien in rechten Kreisen: Dabei weist die ...
Die Legende von der „Umvolkung“ zählt zu den hartnäckigsten Verschwörungstheorien in rechten Kreisen: Dabei weist die Wortgeschichte weist makabere Bedeutungsverschiebung auf. | Bild: Swen Pförtner
  • Umvolkung: Überraschend ist hier nicht, dass das Wort dem Nazi-Jargon entstammt. Vielmehr mutet sein heutiger Gebrauch angesichts seiner ursprünglichen Intention geradezu absurd an. Umvolkung nämlich war für die NS-Herrscher kein Bedrohungsszenario. Es handelte sich vielmehr um ein bewusst angesetztes Programm zur Eindeutschung osteuropäischer Bevölkerungsgruppen. Damit etwa die besetzte Tschechoslowakei möglichst bald deutsch werden möge, schlug der dortige Reichsprotektor die „Aussiedlung von rassisch unverdaulichen Tschechen“ bei gleichzeitiger „Umvolkung der rassisch geeigneten Tschechen“ vor. Und im „Generalplan Ost“ hieß es: „Die rassisch wertvollen Sippen sollte man möglichst bald umvolken und einzudeutschen versuchen.“ Wenn also heute ausgerechnet in rechten Kreisen die Sorge kursiert, wir Deutschen könnten von einer „Umvolkung“ bedroht sein, so mutet das aus historischer Perspektive zutiefst makaber an.
Sie sehen: ein „Mädel“. Und nein, es ist nicht bedenklich, diesen Begriff zu verwenden. Denn von Mädeln war schon bei Goethe ...
Sie sehen: ein „Mädel“. Und nein, es ist nicht bedenklich, diesen Begriff zu verwenden. Denn von Mädeln war schon bei Goethe und Schiller die Rede. | Bild: Patrick Pleul
  • Mädel: Keine Angst, es spricht nicht das Geringste dagegen, dieses Wort zu verwenden. Dass die Nazis den „Bund deutscher Mädel“ gründeten: Dafür können weder Lessing, Goethe noch Schiller etwas. All diese Dichter sprachen gerne von Mädeln, aus dem schönen Grund, dass es umgangssprachlicher, volksnäher klang als „Mädchen“ oder „Magd“. Selbst die sittenstrengsten Linguisten unserer Zeit wie etwa der Gendersternchen-Befürworter Anatol Stefanowitsch finden: Das Mädel sollten wir uns von den Nazis nicht madelig machen lassen.
Vielleicht ist der „Eintopf“ ja nicht zufällig braun: Seine Herkunft jedenfalls weist ganz klar ins Dritte Reich.
Vielleicht ist der „Eintopf“ ja nicht zufällig braun: Seine Herkunft jedenfalls weist ganz klar ins Dritte Reich. | Bild: Andrea Warnecke
  • Eintopf: Sogar der Eintopf ist ein klassischer Begriff der NS-Zeit. Hintergrund: Seit 1933 hatte die Partei die sogenannten „Eintopfsonntage“ propagiert. Von März bis Oktober sollten Hausfrauen am ersten und zweiten Sonntag des Monats nur ein einfaches Gericht zubereiten. Ab 1936 wurde diese Praxis sogar zur Bürgerpflicht. Was die Familie auf diese Weise einsparte, sollte sie an das Winterhilfswerk spenden. Die Nazis sind Geschichte, der Eintopf ist geblieben. Sollte man auf ihn wegen seiner Vergangenheit heute verzichten? Keineswegs, sagt Buchautor Matthias Heine: Sogar Nazis dürften beim Eintopf wohl kaum noch an Hitler denken – „jedenfalls nicht mehr als bei jedem anderen Essen“.

Matthias Heine: „Verbrannte Wörter – Wo wir noch reden wie die Nazis und wo nicht“, Dudenverlag: Berlin 2019; 224 Seiten, 18 Euro.