Alle paar Jahre erfindet sich der Mann musikalisch neu. Mit der Band Visage kreierte der britische Sänger und Multiinstrumentalist Midge Ure Ende der 1970er Jahre verführerischen, extrem tanzbaren Elektro-Pop, wechselte dann zu der stilistisch ähnlich gelagerten, aber ungleich erfolgreicheren Formation Ultravox und schuf in den 1980ern zahlreiche zeitlose Mega-Hits, die weltweit regelmäßig vorderste Charts-Ränge belegten.

In den 90ern tourte er dann mit einer schottischen Folktruppe durch die Lande und servierte seinen völlig überraschten Fans quasi entschlackte, von allem Synthie-Bombast befreite Versionen seiner Songs, stilgetreu mit Akkordeon und Fiddle interpretiert. Das Konzept der Reduzierung seiner Kompositionen trieb er dann in den Folgejahren auf die Spitze und trat auf mehreren Touren solo auf, nur mit akustischer Gitarre – und auch da ergaben sich verblüffende Wiederhör-Effekte.

Die gute alte E-Gitarre

Und nun? Hat Midge Ure auf seine alten Tage (die sechzig hat er schon deutlich überschritten) doch tatsächlich die gute alte E-Gitarre (wieder-)entdeckt. Folgerichtig begann er sein Konzert im mit rund 600 Fans gut gefüllten Ravensburger Konzerthaus mit einem Song (“Yellow Pearl“) von Phil Lynott, dem viel zu früh verstorbenen charismatischen Frontmann der in den Siebzigern ziemlich populären Hardrock-Truppe Thin Lizzy. Mit erstaunlicher Virtuosität (in erster Linie ist er ja als Sänger und Synthesizer-Spieler bekannt) ließ Ure es da richtig krachen, und das Publikum im Konzerthaus, das wohl schon im Vorfeld durch diverse Medienberichte auf diesen radikalen Stilwechsel eingestimmt worden war, goutierte dies durch stürmischen Beifall.

Wesentlich interessanter als diese Hommage an einen der ganz Großen im Stadionrock-Business der 70er waren jedoch die Neuinterpretationen der einschlägig bekannten und beliebten Ultravox-Klassiker, die – nach einer kurzen Werkschau über Ures Jahre bei Visage – an diesem bemerkenswerten Abend zu hören waren: „The Voice“, „Dancing With Tears In My Eyes“, „Hymn“ und und und. „The 1980 Tour“ hatte Midge Ure seine diesjährige Konzertreise betitelt, und die Jahreszahl bezieht sich natürlich auf das Erscheinungsdatum von „Vienna„ (vierter Longplayer von Ultravox und derjenige, mit dem die Gruppe seinerzeit global durchstartete). Das Versprechen, dieses Album komplett aufzuführen, hielt der damalige Frontmann der Band im Ravensburger Konzerthaus getreulich ein.

Verblüffender Breitwand-Pop-Charakter

Drei Keyboarder (Ure, Chris Cross und Billy Currie) prägten damals den Sound der Truppe, die E-Gitarre – die ebenfalls Ure bediente – spielte nur eine nachrangige Rolle. Die bei den aktuellen Versionen wesentlich prominenter eingesetzte Gitarre verleiht den Songs heute einen stellenweise richtig verblüffenden Breitwand-Pop-Charakter, der in Ravensburg umso spektakulärer wirkte, als die Darbietung des Öfteren mit einer effizienten Lightshow und diversen eingeblendeten Video-Sequenzen untermalt wurde.

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Überraschung folgte auf Überraschung: Zager & Evans‘ All-Time-Hit „In The Year 2525“, ursprünglich ein eher karg instrumentierter Folksong, wandelt sich in der Midge Ure-Version zu einer strahlenden Bombastpop-Mini-Oper, „Mr. X“ (vom „Vienna„-Album) klang so kraftwerkesk wie noch nie. Bei „Astradyne“, einem Instrumental, demonstrierte der Meister, dass er trotz der wieder entdeckten Liebe zur E-Gitarre seine Virtuosität auf dem Synthesizer keineswegs verlernt hat, und regelmäßig wechselte er von einem Instrument zum anderen. Seine Stimme ist immer noch faszinierend, und erstaunlich wenig hat der Zahn der Zeit an ihr genagt, bei „Dancing With Tears In My Eyes“ tönte sie fast so, als sei‘s grad gestern 1980 geworden.

Apropos Zahn der Zeit: Ein Held der Jugend ist Midge Ure natürlich heute nicht mehr, und so bildeten hauptsächlich die Fifty-Somethings die große Mehrheit im Publikum in Ravensburg – aber die war schwer begeistert. Gegen Ende des Sets drängten Dutzende nach vorne, vor die Bühne, und sangen aus voller Kehle die Refrains der Ultravox-Klassiker mit, allen voran den von „Hymn“ (1982 ein Mega-Hit der Band). Im altehrwürdigen Konzerthaus erlebt man so etwas wahrlich nicht so oft.