Herr Schoner, Sie beziehen sich im Programm bewusst auf die Stuttgarter Tradition. Richard Strauss’ „Ariadne auf Naxos“ wurde hier uraufgeführt, mit Wagners „Lohengrin“ das Große Haus eingeweiht. Ist das so etwas wie eine Respektsbezeugung? Zumal ja das Verhältnis der Schwaben zu München nicht ganz unproblematisch ist …
Ich habe zwar die vergangenen zehn Jahre in München gelebt, als gebürtiger Unterfranke aber immer mit einer gewissen Distanz auf das oberbayerische Selbstbewusstsein geblickt. Als Aschaffenburger war ich da eher von der Frankfurter Opern-Tradition geprägt. Abgesehen davon interessiert mich Stuttgart mit seiner speziellen Tradition ganz besonders, und die ist natürlich eine andere als die der Münchner Oper. „Ariadne auf Naxos“ – da ist der Drei-Sparten-Gedanke von vornherein da. Es geht um Fragen nach dem, was Theater überhaupt ist, wie sie die Gesangs-Hochburg München in dieser Form vielleicht nie gestellt hat.
Ohnehin liest sich Ihr Einstand defensiv. Sie stellen im Programm Fragen, statt Antworten zu geben.
Ich würde eher suchend sagen. Der große Theatermagier Klaus Michael Grüber hat einmal gesagt: Wenn die Künstler aufhören zu suchen, ist es vorbei mit der Kunst.
Das Stuttgarter Haus war unter Jossi Wielers Leitung sehr erfolgreich. Auf der anderen Seite hörte man auch Kritik am sehr regietheaterlastigen Stil. Viele wünschen sich etwas von dem, was Oper ja auch ist und immer war: ein Fest.
Fest – das interessiert mich sehr. Man kann ja sowohl intellektuelle wie auch rauschhafte Feste feiern, und von den Premieren erhoffe ich mir durchaus festliche Abende. Der Littmann-Bau sollte dafür das Ambiente hergeben.
Mit Hans Werner Henzes „Der Prinz von Homburg“ und John Adams’ „Nixon in China“ sind zwei Werke der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter den Premieren. Wirken Sie der Tendenz der Oper zur Musealisierung entgegen?
„Der Prinz von Homburg“ wurde 1960 uraufgeführt, „Nixon in China“ Mitte der 1980er-Jahre. Das ist schon ganz schön lange her. Eigentlich ist das eine historische Sicht auf die Entwicklung damals in der BRD und den USA, eine Zeit, in der viele von uns geboren wurden und die für uns prägend war. Das sind keine zeitgenössischen Werke.
Ein Problem der Oper ist ja der Mangel an zeitgenössischen Werken, die vom Publikum wirklich angenommen werden. Meist läuft es so: Es gibt einen Kompositions-Auftrag, das Stück wird ein paar Mal vor halbvollem Haus gespielt und dann verschwindet es in der Schublade.
Das ist ein Riesenproblem. Sie dürfen dabei nicht vergessen, dass Opernhäuser in der Regel die größten Räume sind, in denen Theater gemacht wird. Hier sind es 1400, in München 2000 Plätze, und wenn man dann eine Serie von acht Vorstellungen macht, braucht man schon eine ganze Menge Leute, die sich dafür interessieren. Das andere Thema ist: Komponisten bekommen vielleicht ein Mal im Leben die Chance, für einen Theaterraum wie das Große Haus zu schreiben. Helmut Lachenmann etwa hat Jahrzehnte darauf hingearbeitet, heraus kam „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“. Ein Meisterwerk. Aber häufig können Komponisten, die brillante Kammermusik schreiben, den großen Apparat nicht bespielen. Selbst ein Werk von Salvatore Sciarrino, einer der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten, ist im Pariser Palais Garnier untergegangen. Der Raum war zu groß.
Unter welchen Aspekten haben Sie die Gast-Regisseure ausgesucht?
Wir wollten nicht nur einen Generationswechsel, sondern auch einen Wechsel der Spielweisen und möchten möglichst viele verschiedene Handschriften präsentieren. Dazu haben wir Regisseure verpflichtet, die zwar in Europa Furore machten, in Stuttgart aber bislang nicht vorkamen. Árpád Schilling hat einen sehr konzeptionellen Zugang zu Wagners „Lohengrin“, Alain Platel wird sich mit Tänzern, Musikern und Performern mit dem Mozart-Requiem beschäftigen. Dann gibt es im Paketpostamt einen eher installativen Zugang zu Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ durch Hans Op de Beeck. Axel Ranisch, der auch als Independent-Filmemacher in Erscheinung getreten ist, wird sich auf eher spielerische Weise Prokofjews „Die Liebe zu den drei Orangen“ widmen.
Sie lassen „Herzog Blaubarts Burg“ im Paketpostamt in der Ehmannstraße spielen, dort, wo während der Sanierung der Oper die Interimsspielstätte sein könnte. Sind die räumlichen und technischen Voraussetzungen dort gegeben?
Der Raum und die Infrastruktur des Gebäudes sind wunderbar. Für diese Art von installativem Theater ist es schon jetzt bespielbar.
Sie wurden ja sozusagen als Umbau-Intendant geholt, der das Ganze über Jahre durchzustehen hat. War das ein Aspekt, der sie daran zweifeln ließ, ob es die richtige Entscheidung ist?
Die Wahrheit ist: Wenn man das Angebot bekommt, in Stuttgart Opern-Intendant zu werden, dann denkt man darüber nicht sehr lange nach.
Zur Person
Viktor Schoner, Jahrgang 1974, ist in Aschaffenburg aufgewachsen. Er studierte Bratsche an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ und Musikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ab 2001 war er persönlicher Referent des Intendanten Gerard Mortier und dramaturgischer Mitarbeiter bei den Salzburger Festspielen, von 2002 bis 2004 gestaltete er gemeinsam mit Mortier die erste RuhrTriennale. Von 2004 bis 2008 arbeitete er an der Opéra National de Paris, von 2008 bis 2017 war er Künstlerischer Betriebsdirektor an der Bayerischen Staatsoper und betreute federführend das „Festival für experimentelle Formen zeitgenössischer Oper“ im Rahmen der Münchner Opernfestspiele. Ab der Saison 2018/19 ist Schoner Intendant der Staatsoper Stuttgart.