Jeden Sonntagabend feiert das deutsche Fernsehen seinen Untergang. Das Format heißt Tatort und zeigt mit geradezu masochistischer Penetranz, was in unserer Medienlandschaft der vergangenen 20 Jahre so alles schief gelaufen ist. Jedenfalls, sofern nicht gerade Ulrich Tukur ermittelt.

Bild 1: Was den Tatort zur Totart macht
Bild: Arne Dedert

Das fängt beim Handwerk schon an: Man schalte nur den Ton aus und staune über das wilde Grimassenschneiden der Akteure. Oder umgekehrt: Man lasse das Bild weg und staune über die affektierte Sprechweise. Schauspieler, die auf Theaterbühnen ganze Welten in sich vereinen, mutieren im Tatort zu lächerlichen Gestalten. Weil sie mimische Höhepunkte am Fließband produzieren müssen, um das zufällig hinein zappende Publikum bei Laune zu halten: Rollende Augen, offene Münder, entsetzte Blicke.

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Eine ständige Abfolge von Höhepunkten ist aber das glatte Gegenteil eines Spannungsbogens. Und so müssen wackelnde Kamerafahrten, verdeckte Perspektiven und Unheil verkündende Klangteppiche dafür herhalten, einen Anflug von Grusel zu vermitteln.

Spannungsbefreite Handlung

Dann die Kunst: Damit der spannungsbefreiten Handlung wenigstens ein hehres Anliegen zugrunde liegt, ermitteln die Kommissare bei Neonazis, Kinderschändern oder Immobilienhaien. Gesellschaftskritik! Wirklich kontrovers wird es dabei selten: Das Publikum soll sich dem wohligen Gefühl hingeben dürfen, selbst auf Seite der Guten zu stehen.

Talentvernichtungsmaschine

Wenigstens kann man sich über all das noch aufregen. Der Schauspieler und Regisseur Herbert Fritsch zum Beispiel beschimpft den Tatort als Talentvernichtungsmaschine: „Den begabtesten Schauspielern wird das Talent kaputt gemacht!“ Überhaupt stelle der Tatort inzwischen ein Problem für die Kunst insgesamt dar: „Die Kunst allgemein schlittert ins Tatort-Format.“

Bild 2: Was den Tatort zur Totart macht
Bild: Soeren Stache

Fritsch ist bekannt für grell bunte Theaterinszenierungen in comichafter Bühnensprache. In lustvollen Übertreibungen hat er schon so manchen Klassiker zerpflückt, am Zürcher Schauspielhaus ist nun der Tatort dran: „Totart Tatort“ nennt er diese ganz eigene Folge der Krimireihe. Es geht in ihr wild und chaotisch zu wie immer bei Fritsch. Aber doch: so treffend!

Bild 3: Was den Tatort zur Totart macht
Bild: Tanja Dorendorf/T+T Fotografie

Zehn Schauspieler huschen ganz verstört über die Bühne. Ein Mord ist geschehen, warum, wieso? Wie schrecklich! Die Frauen kreischen, die Männer stöhnen. Endlich packen sie die Sache an, nehmen die Ermittlungen auf: die Herren in Hut und Trenchcoat, die Damen im Kleidchen, alle mit gezückter Waffe.

Bild 4: Was den Tatort zur Totart macht
Bild: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

Da! Etwas auf dem Boden! Wieder kreischen, wieder ächzen. Mit schreckgeweiteten Augen zieht ein jeder seine Gummihandschuhe hervor. Man kennt das: Kommen diese am Tatort zum Einsatz, muss am Boden etwas ganz Fürchterliches liegen. Aber was genau?

Der Sache auf die Spur gekommen

Egal. Hauptsache, einer weiß Bescheid. „Wir sind der Sache auf die Spur gekommen!“, ruft ein Trenchcoat-Träger, wirft sich dabei stolz in die Brust. Und dann betet er einen Roman aus altbekannten Tatort-Phrasen herunter. Die Halbschwester des Verdächtigen sei die Ex-Frau von dessen Geschäftspartner, und das sei „noch nicht alles“. Kollege und IT-Experte Frank habe sich nämlich durch 200 Gigabyte gearbeitet: „Das sind 200 Stunden Material!“ Jetzt dürfe man „nicht die Nerven verlieren“, sondern knallhart ermitteln.

Bild 5: Was den Tatort zur Totart macht
Bild: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

Schon geht es los mit der Verhörerei: „Waren Sie dabei, als…?“, „Was, ich?“, „Also der Thomas kann’s nicht gewesen sein, wir waren die ganze Nacht zusammen!“, „Das müssen Sie uns genauer erklären!“ Panische Blicke, finstere Mienen, nervöse Stimmen.

Die Komik hinter den Tatort-Klischees

Das Ganze findet in einem sich nach hinten verjüngenden Kunstraum statt, der wohl nicht zufällig in ARD-Blau gehalten ist. An eine wirkliche Aufklärung des Falls, das wird schon früh klar, ist darin nicht zu denken: Es geht um die Komik hinter den Tatort-Klischees, ja vielleicht auch um die Wut auf dieselben.

Bild 6: Was den Tatort zur Totart macht
Bild: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

Sollte Fritsch die Absicht verfolgt haben, das Leiden am sonntäglichen Desaster einfach befreit wegzulachen, so geht sie voll auf. Das gilt für die Parodie der immer gleichen Verhörmethoden („Rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte!“). Das gilt aber auch für das Selbstbekenntnis des vermeintlichen Täters.

"Ich geb's zu!"

„Ich sag’s“, flüstert dieser und guckt dabei ängstlich ums Eck. „Ich bin’s, ich geb’s zu!“ Er habe das Opfer erst erschossen, dann ertränkt, erdrosselt und überfahren. Danach zersägt, gehackt, gehäckselt. „Auch gegessen. Zweimal!“

Voller Selbstmitleid

Kann das sein? Oder ist das Quatsch? Aber er könne gar nichts dafür, klagt er plötzlich voller Selbstmitleid. Da seien nämlich die Gespenster aus seiner Kindheit. „Immer spüre ich: Da ist jemand hinter mir her!“ Also doch Kranker statt Täter? Oder beides zusammen? In jedem Fall: Problem! Gesellschaftskritik! Mit seinem grell bunten Abend – selbstverständlich dauert er 90 Minuten – unterhält Herbert Fritsch mehr als zehn Tatort-Folgen zusammen. Wer den Tatort hasst, sollte reingehen. Und wer ihn liebt: erst recht.

Kommende Vorstellungen: heute und am 28. Februar sowie am 1., 8., 14. und 22. März im Schauspielhaus Zürich. Weitere Informationen: http://www.schauspielhaus.http://ch