Petrus mag die Simple Minds nicht, das ist jetzt klar. Das erste Konzert der schottischen Rockgruppe in der Region, im Sommer 1989 beim Rock am See-Festival in Konstanz, ersoff förmlich im Sturzregen – doch die Band ließ sich damals nicht beirren und lieferte einen kompletten Set ab, obwohl sich direkt vor ihren Augen die Zuschauerreihen dramatisch lichteten. Anno 2003, auf dem Hohentwiel, blieb es zur Abwechslung einmal trocken, aber dieses Jahr, in Meersburg, war wieder einmal Wolkenbruch angesagt. So schlimm wie 1989 wurde es dann allerdings doch nicht – aber auch ein ein beständiges, unablässiges Nieseln kann bei einem Open Air gewaltig nerven.
Simple Minds-Frontmann JimKerr nahm's mit Humor: "Stört euch nicht an dem Regen", empfahl er launig, "der ist gut für die Haut. Bei uns in Schottland regnet es jeden Tag." Und selbstverständlich stellte die Band nicht nur ihr aktuelles Programm komplett vor, sondern spielte sich auch im Verlauf des Auftritts in einen beeindruckenden Spielrausch hinein. "Waterfront", einer ihrer All-Time-Klassiker, war ein erster Höhepunkt, desgleichen "Stars Will Lead The Way", ein Track vom (oft unterschätzten) 2009er Album "Graffity Soul".
Ein beachtliches Repertoire aus hochkarätigen Songs hat die Truppe in den 41 Jahren seit ihrer Gründung angesammelt – in Meersburg glänzten außer den genannten vor allem "She's A River", "Dolphins" und "Alive And Kicking". Dass die Musikern aus diesem riesigen Archiv nur eine Auswahl darbieten können, ist klar – und deswegen bleiben natürlich immer Wünsche offen: "Belfast Child" etwa hätte sich noch prächtig gemacht an diesem Abend, desgleichen "Biko" – beides Songs aus dem 1989er Album "Street Fighting Years", nach Meinung nicht weniger beinharter Fans das bisherige Meisterwerk der Gruppe.
Bestens aufeinander eingespielt präsentierte sich die insgesamt siebenköpfige Formation, bei der nur noch Sänger Kerr und Gitarrist Charlie Burchill Gründungsmitglieder sind. Besonders augen- und ohrenfällig war der Auftritt der jungen Drummerin Cherisse Osei, die erst seit letztem Jahr dabei ist: Mit ihrem präzisen Spiel legte sie das Fundament für den verführerischen Breitwandsound, den die Simple Minds seit jeher – im Verlauf der vielen Jahre stetig verfeinert – produzieren.
Gut, manchem mag die Musik der schottischen Band eindeutig zu glatt vorkommen, aber sie geht ins Ohr und sie findet auch noch nach gut vier Jahrzehnten ihre Fans. Knapp 3000 hatten sich an diesem Abend auf dem Meersburger Schlossplatz versammelt, und kaum einer von ihnen verließ das Konzert vorzeitig, weil ihm der Dauerregen die Stimmung verhagelte. Im Unterschied zu den (musikalisch durchaus verwandten) U2 nerven Jim Kerr & Co. auch nicht durch allerlei mehr oder minder wertvolle politische Statements zwischen den Songs – sie legen den ihnen eigenen Pathos ausschließlich in ihre Musik. Und eine gehörige Menge Pathos gehört nun einmal bei einer "Celtic Rock"-Truppe sozusagen zur DNA.
Unablässig animierte Frontmann Kerr in Meersburg die Fans zum Mitgehen – und auch zum Mitsingen: bei "Don't You (Forget About Me)" beispielsweise, dem bisher wohl größten Hit der Band. Das gutsituierte Mittelalter, die Fifty-Somethings, waren es denn auch, die mehrheitlich den Schlossplatz bevölkerten und sichtlich Spaß daran hatten, den Soundtrack ihrer Jugend noch einmal wiederaufleben zu lassen. Was macht da schon ein bisschen Regen aus? Und außerdem: Er ist gut für die Haut...
Die Wirklichkeit ist analog

Am nächsten Tag auf dem Schlossplatz sind es vor allem die jüngeren Zuhörer, die jedes Lied mitsingen. Am Schluss wollen sie das Stockacher Duo Glasperlenspiel gar nicht gehen lassen. Als nach dem neuesten Hit „Royals oder Kings“ das Licht ausgeht, applaudieren sie energisch, bis Glasperlenspiel wieder auf die Bühne kommt und – endlich – „Ich wünsch dir noch ein geiles Leben“ singt. Zur XXL-Version schießen von der Bühne goldene Luftschlangen ins Publikum.
Im Mittelpunkt der Show steht Carolin Niemczyk, mal nahbar mit dem Publikum plaudernd, dann wie entrückt, die perfekt choreographierten Bewegungen in goldenes Licht getaucht. Glasperlenspiel-Partner und Mitgründer Daniel Grunenberg verlässt nur für einige Songs sein Keyboard. Das Duo formuliert die Sehnsüchte seiner jungen Zuhörer: ehrliche Ideale, tiefe Gefühle, echte Freundschaft.
Wo jeder ein perfektes Image von sich im Netz hochlädt, singen die Fans lauthals mit: „Ich bin ich, ich bin ich auf meine Weise, manchmal laut und manchmal leise.“ Wo die richtige Turnschuh- oder Handymarke über das Ansehen in der Klasse entscheidet, wünschen sie sich Freiheit und Freundschaft: „Wir sind keine Royals oder Kings, doch dafür sind wir frei, wir sind niemals allein. Wer braucht 'n Rolls-Royce oder 'n Schloss von Versailles?“ Wo jeder jeden mit frisierten Bildern teilhaben lässt an tollen Erlebnissen, beschwören sie mit ihren Stars die analoge Wirklichkeit: „Und ich glaub daran, dass es besser ist, wenn ich es fühlen kann. Für diesen einen Augenblick sind alle meine Zweifel weg, weil es echt ist.“ Dass ständig Handys gereckt, Videos hochgeladen und Fotos gepostet werden, erhellt diesen Zwiespalt nur. Glasperlenspiel gießt diese Sehnsüchte in fetzigen Elektropop und hippes Design: Riesige Leinwände geben der Bühne mit geometrischen Mustern und wilden Farbspielen etwas Futuristisches.
Schon zu Beginn des Konzerts erklärt Sängerin Carolin Niemczyk, dass sie sich auf diesen Auftritt besonders gefreut hat. „Das ist so ein wundervolles Heimspiel, früher bin ich mit meinen Großeltern zum Festival hierhergefahren“, erzählt sie. Niemczyk ist in Singen geboren, Grunenberg in Stockach. Beide starteten musikalisch als Mitglieder einer Stockacher Kirchenpopband. Sie kommen als Stars zurück, die seit 2012 mit Hits wie „Echt“, „Ich bin ich“ oder „Nie vergessen“ Erfolge feiern.
Vor Glasperlenspiel hat Johannes Oerding für gute Laune gesorgt. Der Hamburger Sänger legt seine nachdenklichen Texte auf Rock und Folk. Oerding verspricht allen, die sich an diesem Abend in Meersburg verlieben, auf ihrer Hochzeit zu spielen, denn auch für ihn schließt sich ein Kreis: Seinen ersten öffentlichen Auftritt absolvierte er als Sechsjähriger bei einem Flohmarkt in Radolfzell.