Thea Stroh

Berufstätigkeit oder Familiengründung? Wer heute schon nicht weiß, wie er seine Prioritäten setzen soll, wäre die letzten Jahrhunderte erst recht überfordert gewesen. Und wer jetzt denkt, dass Frauen wegen ihrer Benachteiligung im Berufsleben zumindest solche Zwickmühlen erspart geblieben wären, könnte damit nicht falscher liegen.

Die Wessenberg-Galerie in Konstanz beweist das gerade mit einem Großaufgebot an Präzedenzfällen. Die Sommerausstellung „Beruf – Künstlerin!“ stellt uns gleich zehn besondere Damen vor, die nicht nur aus unserer Region kommen, sondern unter anderem auch zeigen, wie sie schon zu Nicht-Corona-Zeiten „Home Office“ und „Home Schooling“ vielen Widerständen zum Trotz erfolgreich unter einen Hut gebracht haben.

Gertraud Herzger von Harlessem: „Ruth“, 1929.
Gertraud Herzger von Harlessem: „Ruth“, 1929. | Bild: Wessenberg Galerie

Es geht hier aber nicht um einen genderorientierten Lobgesang der Gleichberechtigung, auch wenn das auf den ersten Blick so wirken mag. Nur war die gesetzliche Gleichstellung der Geschlechter die Voraussetzung, gerade auch im Kunstgewerbe, um eine Karriere als Künstlerin anstreben zu können. Erst mit der Gründung der Weimarer Republik war es Frauen überhaupt möglich, nicht nur an Universitäten, sondern auch an Kunsthochschulen zu studieren.

Aktmalerei schickte sich nicht

Bereits seit dem 19. Jahrhundert stieg die Zahl der Frauen, die professionell als Künstlerin arbeiteten, beständig. Doch die Pionierinnen hatten noch immer mit großen gesellschaftlichen und privaten Widerständen zu kämpfen. Jahrhundertelang hatten Männer den Kunstbetrieb dominiert, Frauen traten allenfalls als „Ausnahmetalente“ ins Blickfeld. Der Zugang zu den Kunstakademien war ihnen aus „Schicklichkeitsgründen“ verwehrt, gestattet war das Ausleben der Kreativität bloß im häuslichen Bereich und auch nur dann, wenn das Thema passte: Aktmalerei beispielsweise passte nicht.

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Dennoch zog es talentierte Frauen zur Kunst, auch an den Ufern des Bodensees. Unbeirrt folgten sie ihrer Berufung und hinterließen uns ein mannigfaltiges Erbe – auf künstlerischer und auch auf gesellschaftlicher Ebene. So etwa Marie Ellenrieder, die älteste und gleichzeitig bekannteste der Malerinnen der Ausstellung. Mit der Förderung des Konstanzer Generalvikars von Wessenberg gelang es ihr als junge Frau, 1813 als erste Studentin an der neugegründeten Münchener Kunstakademie aufgenommen zu werden. Nach fünf Jahren Studium konnte sie sich einen Namen als gefragte Porträtistin machen und erhielt zahlreiche Aufträge auch für religiöse Bilder. 1829 wurde sie schließlich sogar zur badischen Hofmalerin ernannt.

Marie Ellenrieder ist die älteste und bekannteste der vorgestellten Künstlerinnen. Sie schuf zahlreiche religiöse Auftragswerke und ...
Marie Ellenrieder ist die älteste und bekannteste der vorgestellten Künstlerinnen. Sie schuf zahlreiche religiöse Auftragswerke und machte sich einen Namen als Porträtistin. | Bild: Wessenberg Galerie

Diese unvergessene Karriere ist aber die Ausnahme: Während Ellenrieder zeitlebens große Erfolge verzeichnen konnte, blieb anderen am Bodensee tätigen Künstlerinnen ein gleicher Erfolg verwehrt. Auch Berta Dietsche, Elisa Brunner und Amalie Vanotti, die in den 1850er Jahren in Konstanz geboren wurden, gingen im 19. Jahrhundert bei bekannten Malern in die Lehre. Ihre Bildnisse, Landschaften und Stillleben, die nun wieder in Konstanz zusammengetragen wurden, bezeugen ein solides künstlerisches Talent.

Von der Geschichte verschluckt

Daneben sind auch ihre Biografien an den Wänden kleine Kunstwerke, die den Besucher in bewegte Lebensgeschichten entführen. Es wird ganz deutlich: Diese Frauen hatten etwas auf dem Kasten. Umso trauriger, dass sie oft von der Geschichte verschluckt wurden.

Die Ausstellung macht aber noch etwas anderes deutlich: Jede der vorgestellten Pionierinnen hatte einen engen Bezug zu ihrer Herkunft oder neuen Wahlheimat. Obwohl manche die ganze Welt bereisten, spielt der schöne Bodensee nicht nur im Lebenslauf eine wiederkehrende Rolle, sondern findet auch seinen Weg in die Bilder.

Amalie Vanotti: „Bauernhof im Wald“.
Amalie Vanotti: „Bauernhof im Wald“. | Bild: Wessenberg Galerie

Bei Agnes Susanne Scheurmann zum Beispiel, die 1904 mit ihrem Zukünftigen in die ländliche Abgeschiedenheit auf der Bodenseehalbinsel Höri zieht. Hier schafft sie autodidaktisch verschiedene kleine Zeichnungen, Aquarelle und Gouachen, die oft aussehen, als wären sie einem Märchenbuch entsprungen, mit fantastischen Mischwesen und traumhaften Landschaften.

Soweit bekannt, brach die künstlerische Tätigkeit von Scheuermann nach der Scheidung von ihrem Mann, der ebenfalls kreativ arbeitete, 1931 endgültig ab. Ihren größten Erfolg hat Scheurmann mit sechs Scherenschnitten, die sie 1922 zur Illustration eines Buches von Zoltàn Nagy schafft.

Ein Selbstbildnis von Elisabeth Mühlenweg, entstanden 1940.
Ein Selbstbildnis von Elisabeth Mühlenweg, entstanden 1940. | Bild: Wessenberg Galerie

Ilna Ewers-Wunderwald fällt vor allem durch ihren emanzipierten Lebensstil auf. Ein Foto in maskuliner Kleidung, mit Kurzhaarschnitt und Zigarette in der Hand hängt über ihrer Biografie, die von Männergeschichten, wichtigen Ausstellungen wie der Berliner Secession und Weltreisen erzählt.

Die Liebe für unsere Region kommt im Alter: 1940 zieht sie sich im Zuge einer „inneren Emigration“ an den Bodensee zurück, stirbt im Alter von 81 in Allensbach. Wunderwalds Œuvre ist bemerkenswert vielseitig und originell: Sie entwarf Umschläge und Buch-Illustrationen, Möbel und Mode, zeichnete und malte. Das umfangreiche Werk wurde erst kürzlich wiederentdeckt.

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Auch die befreundeten Künstlerinnen Nelly Dix und Elisabeth Mühlenweg waren außergewöhnlich vielseitig unterwegs. Die lebhafte älteste Tocher des Malers Otto Dix und die siebenfache Mutter zeigten ihr Talent in den unterschiedlichsten Medien, von denen die Bildwerke nur einen kleinen Teil ausmachen: Dix schuf neben den Bildern und dreidimensionalen Hausaltären auch eine große Zahl an humoristischen und tiefgründigen Texten, Mühlenweg hielt ihre große Familie eine Zeit lang mit künstlerischen Auftragsarbeiten über Wasser, ließ es sich dabei aber nicht nehmen, nebenher zu malen, stricken, weben. Sie illustriert die erfolgreichen Kinderbücher ihres Mannes, veröffentlicht ein Kochbuch und bastelt für ihre Kinder fantasievolles Spielzeug.

Nelly Dix, die älteste Tochter von Otto Dix, verlor aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten eine Stelle an der Dresdner ...
Nelly Dix, die älteste Tochter von Otto Dix, verlor aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten eine Stelle an der Dresdner Kunstakademie. Trotzdem ist ihr künstlerisches Werk äußerst vielseitig. | Bild: Wessenberg Galerie

Zehn Künstlerinnen vom Bodensee, zehn exemplarische Lebenswerke. Mit der bunten Auswahl erzählt die Wessenberg-Galerie individuelle Geschichten vom Erfolg und Misserfolg im Zwiespalt zwischen künstlerischem Wollen und gesellschaftlichen Ansprüchen. Ob die Frauen sich mit ihrem Können einen Namen machten oder im Laufe der Zeit in Vergessenheit gerieten – in jedem Fall leisteten sie einen bedeutenden Beitrag zur Kunstentwicklung am Bodensee.

„Beruf: Künstlerin! Zehn deutsche Malerinnen am Bodensee“, bis 30. August 2020 in der Städtischen Wessenberg-Galerie Konstanz. Öffnungszeiten: Fr., 10-18 Uhr, sowie Sa. und So. 10-17 Uhr.