„Ich bin ein Fremder, ein legaler Fremder – ich bin ein Engländer in New York“, heißt es in einem der berühmtesten Songs von Gordon Matthew Thomas Sumner, allseits bekannt unter dem Spitz-/Künstlernamen Sting. Auf dem Salemer Schlossplatz fühlt er sich ganz bestimmt nicht als Fremder, das war an diesem Abend überdeutlich zu spüren. „Zum zweiten Mal in sechs Jahren bin ich jetzt hier in Salem“, konstatierte er in vorbildlichem Deutsch und resümierte: „Die Jahre vergehen schnell.“ Wie wahr…
Das Publikum dort liebt ihn, und er liebt es auch. Ganze Fanblöcke sangen die ersten Verszeilen aus „Englishman in New York“, kaum dass der Song richtig begonnen hatte – und wurden belohnt mit einem wahren Hitreigen aus über vier Jahrzehnten.
Kaum Wünsche blieben offen bei der Setlist dieses Auftritts, und auch etliche Songs aus der Zeit, die Sting mit der Punk/New Wave-Combo The Police verbracht hat, gab es im Repertoire. Die Band, mit der sich der 72-jährige Engländer präsentierte, war nach dem Prinzip „Weniger ist mehr“ zusammengestellt: außer ihm (der auch noch die Bassgitarre bediente) nur ein Gitarrist (Dominic Miller) und ein Drummer (Chris Maas).
Alte Kracher von The Police
Seine Stimme ist nicht mehr ganz so hell wie in den jungen und mittleren Jahren, aber das gereicht ihr eher zum Vorteil. Stilistische Experimente (etwa in Richtung Weltmusik) gab es so gut wie gar nicht. Was zu hören war, war ein gefälliger Mix aus Pop, Rock, Soul, Funk, Jazz und mitunter einem Schuss Reggae – keine großen Überraschungen also.
An Punk erinnerte praktisch nichts mehr, nicht einmal bei den alten The Police-Krachern, aber ganz offenbar war dies genau das, was die übergroße Mehrheit des Publikums erwartet/erhofft hatte. Enthusiastisch wurde jeder Song gefeiert, von „Message in a Bottle“ über „Can‘t stand losing you“ bis „Walking on the Moon“. Nur gelegentlich schlich sich eine leicht ölige Routine in das Konzert ein, und manchmal – aber sehr selten – zerdehnten Sting und seine Mitstreiter im Übereifer einen Song, am auffälligsten beim Klassiker „If I ever lose my faith in you“.
Die puristische Besetzung, die an The Police erinnerte (auch das war ja ursprünglich ein Trio) überzeugte durchaus: Drummer Maas sorgte für ein solides Rhythmusfundament, und Gitarrero Miller glänzte immer wieder mit raffinierten Riffs und Licks und sparsamen, dafür aber immer wieder prägnanten Soli.

Auch einen völlig neuen Song gab es zu hören: das überraschend rockige „I wrote my name“ – übrigens das beste Stück an diesem vor Hits berstenden Abend. „My Songs“ betitelte Sting die aktuelle, schon seit mehreren Jahren laufende Tour, und außer den Klassikern baute er auch mehrere Songs ein, die wohl eher seine persönliche Präferenz widerspiegeln – „When the angels fall“ etwa, ein Stück aus dem stark autobiografisch geprägten (dritten) Solo-Album von 1991, in dem der englische Musiker den Tod seines Vaters verarbeitete. Schon damals arbeitete Sting mit dem Gitarristen Dominic Miller zusammen, der ihn auch aktuell auf der Tour begleitet. Mit einem gefühlvollen Solo gab dieser dem Song in Salem den letzten Schliff.
Für einen Musiker, der sich über seine gesamte Karriere hinweg schon zu allen möglichen politischen und sozialen Themen geäußert hat, blieb Sting diesbezüglich überraschend stumm an diesem Abend – warum auch immer. Ob es die „neue Unübersichtlichkeit“ (Jürgen Habermas) ist, die ihn inzwischen davon abhält, zwischen seinen Songs allerlei politische Äußerungen zum Besten zu geben, oder ob er einfach nur müde ist angesichts der vielen Illusionen, die seit der „Love & Peace & Flower Power“-Ära den Bach hinuntergegangen sind – heute konzentriert er sich offenbar nur noch auf seine Musik, und vielleicht ist das auch ganz gut so.
Auch wenn es wohl ein etwas unfaires Unterfangen ist: Vergleicht man Sting live im Jahr 2024 mit der bisher letzten Reunion-Tour von The Police (2008), ist unübersehbar, dass inzwischen 16 Jahre ins Land gegangen sind. Ziemlich viel von der Energie und Frische, die damals noch auf der Bühne (etwa im Zürcher Hallenstadion) live zu erleben war, ist verlorengegangen – und das ist keine Kritik, sondern lediglich ein (schmerzliches) Akzeptieren der Realität. Denn, wie Sting sagt: „Die Jahre vergehen schnell“ – wie wahr…