Deutschland ist eine Republik, und die sieht Könige oder Kaiser nicht vor. Und doch, nachdenken darüber, wie es eigentlich wäre mit so einem Monarchen an der Staatsspitze, das kann man ja mal. Zwei Debatten-Beiträge aus der SÜDKURIER-Redaktion.
Unter einem Monarchen, sagt SÜDKURIER-Redakteurin Nicole Rieß, könnte Bundeskanzler Olaf Scholz vielleicht gelassener regieren
Die meisten Briten sind keine Gegner der Monarchie, auch wenn im Umfeld der Krönung von Charles III. einige dieser Anti-Royalisten im Kampf um Aufmerksamkeit für ihre Sache in die Öffentlichkeit drängen. Allerdings: Fans der Familie Windsor sind ebenso wenig alle Menschen in Großbritannien. Es ist schlimmer: Die Royals sind vielen schlichtweg egal.
Selbst wenn in einer Umfrage zuletzt 58 Prozent der Briten erklärten, dass ein König besser sei als ein gewähltes Staatsoberhaupt – vor elf Jahren hätten diese Aussage noch drei Viertel der Befragten unterschrieben. Und: Zwar stehen 78 Prozent der über 65-Jährigen hinter der Monarchie, bei den 18- bis 24-Jährigen sind es jedoch gerade einmal 32 Prozent – drei Viertel der Befragten in dieser Altersklasse geben an, dass sie das Königshaus nicht interessiert. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich die Ergebnisse dieser Umfrage in zehn oder 20 Jahren vorzustellen.

Ob es in Deutschland anders wäre, wenn wir statt in einer parlamentarischen Demokratie in einer parlamentarischen Monarchie leben würden? Vermutlich nicht. Doch dafür, dass es in Deutschland schon lange keinen König mehr gibt, ist das Interesse an den Royals nördlich des Ärmelkanals erstaunlich hoch.
Mehr als jeder Dritte, das ergab kürzlich eine Umfrage, will die Krönung von Charles III. zumindest teilweise live im Fernsehen verfolgen. Ältere eher als Jüngere, Frauen eher als Männer, aber trotzdem: Das Interesse ist da. Ist es die Sehnsucht nach etwas Unerreichbarem? Bewahrheitet sich hier die Weisheit, dass das Gras auf der anderen Seite immer grüner ist? Oder wollen wir einfach haben, was wir nicht haben können?
Fakt ist: Wenn es um die Wahl des Bundespräsidenten ginge, Deutschlands Staatsoberhaupt und damit am ehesten mit einem König vergleichbar, wären solche Umfragewerte wohl unerreichbar. Frank-Walter Steinmeier macht seinen Job gut, wenn man das so salopp formulieren möchte. Was ihm fehlt, ist der Glamour, das Drama, die schicksalhaften Verwicklungen, die Stoff für Bücher, Filme, Serien hergeben. Kurz: die Magie. Märchen wären ohne Fürsten und Gräfinnen, Prinzen und Königinnen nur halb so märchenhaft.
So etwas bieten nur Adelshäuser mit einer Ahnentafel, die ein paar Jahrhunderte zurückreicht. Schon klar, niemand auf der Welt hat es verdient, allein durch seine Geburt ein Leben im Wohlstand zu genießen und vielleicht einmal ein Staatsoberhaupt zu sein. Doch man darf auch nicht vergessen: Heute König oder Königin, Prinz oder Prinzessin zu sein, das ist wahrlich kein Zuckerschlecken, sondern eher ein Knochenjob. Kaum ein Tag ohne Termine, Händeschütteln, Selfies und Small-Talk.
Gerade die britischen Royals haben all das perfektioniert. Da erscheinen die 103 Millionen Pfund, die die Krone 2022 aus dem Staatshaushalt bekam, recht günstig. Denn solche Begegnungen machen die Menschen glücklich – und sie locken Touristen an, die Paläste besichtigen und Souvenirs kaufen. Ein profitabler Wirtschaftszweig.
Wie ginge es Deutschland wohl mit einer Monarchie? Vielleicht fragt sich das in stillen Stunden auch Bundeskanzler Olaf Scholz. Wie unbehelligt könnte er regieren, wenn ein Königshaus für Ablenkung sorgen würde? Die politische Macht läge weiterhin bei ihm, die Royals dürften schöne Reden halten (bloß nicht zu kritisch), hier und da ein Gesetz unterschreiben. Solche Rituale sind wichtig in einer Welt, in der gerade kein Stein auf dem anderen bleibt. Man will sich auf jemanden verlassen können, der immer da ist – nicht so wie Politiker, die alle paar Jahre wahlkämpfen müssen.
Ein Viertel der Deutschen hätte gern ein Königshaus. Einen Standort gibt es schon: Schloss Bellevue, Spreeweg 1, 10557 Berlin. Einst Sommerresidenz eines preußischen Prinzen, heute Amtssitz des Bundespräsidenten. Besser als nichts.
So ein Königreich, entgegnet SÜDKURIER-Mitarbeiter Uli Fricker, ist ein allzu teurer Spaß
Über Nacht war der stolze Hohenzoller mit dem Zwirbelbart verschwunden. Am 9. November 1918 setzte sich Kaiser Wilhelm II. in den Zug und brachte sich in den Niederlanden in Sicherheit. Während er und seine Generäle bis zuletzt Soldaten ins Feuer geschickt hatten, rettete sich der Kaiser samt Tafelsilber ins Exil, wo Wilhelm „der Große“, wie er sich nannte, noch viele gute Tage verbrachte – im Gegensatz zu seinen Landsleuten. Vom versprochenen Siegfrieden war nichts geblieben als Not und Elend.
Wer eine Monarchie charmant findet, sollte das Ende des Kaiserreichs vor Augen haben: Wilhelms Flucht war schmählich, sie dient als letzter Beweis dafür, dass das System der Krönchen und Wappenringe kaum geeignet ist, die Herausforderungen der Zeit zu meistern.

Man sollte sich von den schönen Bildern aus Großbritannien nicht blenden lassen. Goldene Kutschen, glänzende Uniformen und Frauen in langen Kleidern und unter Diademen, das ist wie Hollywood plus Feudalismus. Doch wer in die einschlägigen Familien im Königreich oder Dänemark hineinschaut, ist schnell ernüchtert. Streit, wohin man sieht. Faule Prinzen, frustrierte Prinzessinnen, Prinzgemahle mit Depressionen, da sie lebenslang gezwungen sind, hinter ihrer Gattin zu schreiten.
Obwohl nur einer herrscht und das Zepter schwingt, ist ein Königreich ein teurer Spaß. Ein vielköpfiger und gefräßiger Moloch. Der brave Untertan finanziert nicht nur den König, sondern seine ins Zahlreiche drängende Familie. Däumchen drehend hängen auch sie am Tropf des Steuerzahlers, der jene Schlösser pflegt, die er nie betreten wird.
Der britische Hofstaat erhielt vom Schatzkanzler im Jahr 2021 respektable 87,5 Millionen Pfund (etwa 100 Millionen Euro). Da kommt uns der Bundespräsident vergleichsweise günstig. Die Bundesrepublik leistet sich ein amtierendes Oberhaupt, dazu kommen die drei Pensionäre Christian Wulff, Horst Köhler, Joachim Gauck. Das war‘s.

Die Krise der Monarchie ist nicht politisch entfacht – sie ist biologisch. Das Problem liegt nicht im Prunk und den barocken Sälen, sondern der fixen Bindung des Throns an eine Familie. Damit ist das Recht auf Repräsentation dem biologischen Zufall und erblichen Krankheiten unterworfen. Was tun, wenn ein Königskind nicht das Zeug zum Staatsoberhaupt mitbringt? Wenn es unwillig, unfähig, unwürdig ist?
Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn die Monarchie nicht föderal wäre. Bis 1918 hatten die Untertanen nicht nur einen Monarchen, sondern deren 22. Neben dem Kaiser und König von Preußen putzte jedes Land sein eigenes Krönchen. Die Badener lobten ihren Großherzog in Karlsruhe, die Württemberger waren auf ihren König stolz. Immerhin waren das noch zwei respektable Länder.
Doch im Norden des Deutschen Reiches behaupteten sich Fürstentümer, deren Name heute keiner mehr kennt: Reuß-Schleiz-Greiz war so ein Gebilde. Die Monarchie in Deutschland wäre enorm kompliziert, etwa so wie eine Kombination aus DFB und Trachtenbund.
Entscheidend sind nicht solche bizarren Stammesfürstentümer, sondern die Würde. Das Oben verändert das Unten. Ein König wird mit Majestät tituliert, und ein kleiner Prinz, der noch keine fünf Sätze geradeaus sprechen kann, mit Königliche Hoheit. Hier hört der Spaß auf. Bürger und Edelmann begegnen sich nicht auf Augenhöhe, sondern stets mit Hofknicks und unter unterwürfigem Murmeln.
Das Problem einer Monarchie ist nicht der König, sondern der frackwedelnde Hofschranz. Menschen also, die zu Kreuze kriechen auf der Jagd nach etwas königlicher Sonne – oder einfach nach hübschen Titeln, die ein Karl August verteilen würde. Hofrat? Nein danke, das haben wir hinter uns!