Es beginnt leise, mit einem Summen. Und dann der Satz: „Es verging eine lange Zeit – und wir sind immer noch nicht frei.“ Auf der Bregenzer Werkstattbühne sieht man eine bunt gemischte Gruppe – Schwarze, Weiße, Männer, Frauen, wobei die Grenzen fließend sind. Denn genau darum geht es: Um Menschen, die sich außerhalb der gängigen Schemata bewegen.

„The Faggots And Their Friends Between Revolutions“ ist ein sogenanntes queeres Musiktheater von Philipp Venables (Komposition) und Ted Huffman (Libretto und Inszenierung). Es beruht auf einem Roman des Amerikaners Larry Mitchell, der 1977 erschien und als Gründungsmythos der queeren Community gilt. Er thematisiert und feiert Diversität und sexuelle Vielfalt. Das war in den 70er-Jahren noch so heikel, dass Mitchell für sein Buch keinen Verlag fand – letztlich gründete er einen eigenen.

Paradies der Homosexualität

Und heute: „… wir sind immer noch nicht frei?“ Eigentlich hat sich doch viel getan seither. Eigentlich ja, doch das ist natürlich ziemlich relativ. Das Programmbuch der Bregenzer Festspiele weist nicht nur auf das umstrittene „Kinderschutzgesetz“ in Ungarn hin, das Homosexualität und Pädophilie gleichsetzt, sondern auch auf Gewalt gegen queere Menschen in Deutschland und Österreich in der jüngeren Vergangenheit. Und bei all dem geht es um EU-Länder, nicht etwa um Russland oder die Türkei. In 68 Ländern wird Homosexualität sogar noch strafrechtlich verfolgt.

Zeit also für ein queeres Musiktheater? Durchaus. Larry Mitchells Text bietet dafür einen guten Ausgangspunkt, weil er nicht auf Anklage setzt, sondern auf spielerische Weise einfach mal die Perspektive wechselt und aus queerer Sicht die Menschheitsgeschichte beschreibt. Das hat durchaus heitere Züge. In dem paradiesischen Urzustand der Menschheit gibt es den Mann nämlich noch nicht. Es existieren nur die Faggotts und ihre Freunde und Freundinnen.

Die Ensemble-Mitglieder sind hier alles in einem: Instrumentalisten, Schauspielerinnen, Erzähler.
Die Ensemble-Mitglieder sind hier alles in einem: Instrumentalisten, Schauspielerinnen, Erzähler. | Bild: Tristram Kenton

Der englische Begriff Faggott lässt sich mit Schwuchtel übersetzen, ist also ein ursprünglich abwertender Begriff, den sich Mitchell hier ironisierend zu eigen macht und positiv umdeutet.

Anfangs also war Liebe und Harmonie, ständiges Berühren und heiliges Vergnügen in der Gemeinschaft. Musikalisch drückt sich das in der Produktion der Factory International Manchester in gemeinsam gesungenen Vokalisen aus, in Tönen, die in der Gruppe weitergereicht werden wie ein Joint.

Der Mann – eine Krankheit

Der Sündenfall kam mit einer „seltsamen Infektion“, die einige der Faggotts befiel. Sie begannen, Bäume zu fällen, Erde zu verbrennen, Tiere zu töten und (die Erzählerin schüttelt verständnislos den Kopf) sogar zu essen! Vor allem aber hörten sie auf, sich gegenseitig zu berühren: So wurden sie zu Männern. Mit ihnen kam Aggressivität in die Welt, Ab- und Ausgrenzung, Krieg, Vernichtung, Sieg und Niederlage, Armut und Reichtum. Die Faggotts versuchten die Männer noch zu heilen – vergeblich. Stattdessen zerstörten sie auch die Kulturen der Frauen.

Der Text atmet sehr deutlich den „Make Love, Not War“-Geist seiner Entstehungszeit, auch wenn Theo Klinkards bunte Kostüme eher auf Zeitlosigkeit setzen. Die Stoßrichtung ist ziemlich schnell klar. Wodurch eine gewisse Ermüdung nicht ganz verhindert werden kann, trotz enormer Wandlungsfähigkeit der Performer und Performerinnen, die hier alles in einem sind: Instrumentalisten, Sänger, Schauspieler.

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Die Sammlung an Instrumenten und Stilen, die zum Einsatz kommen, ist dabei genauso divers, wie es das Ensemble ist: Alte-Musik-Instrumente wie Cembalo und Laute lösen sich mit Geigen, Flöten, Saxofon, Akkordeon und Schlagwerk ab.

Da wundert man sich eigentlich über die musikalische Zurückhaltung des Komponisten Philip Venables, der zwar von Barockmusik bis Techno Anleihen nimmt, dabei aber so vorsichtig vorgeht, als fürchte er den Vorwurf kultureller Aneignung. Ganz klar: Der (englische, aber deutsch übertitelte) Text, die Erzählung der alternativen Menschheitsgeschichte steht hier im Vordergrund.

Der Mann hält Papiere für heilig. Das Ensemble illustriert dies.
Der Mann hält Papiere für heilig. Das Ensemble illustriert dies. | Bild: Tristram Kenton

Diese bietet ja auch ein paar originelle Ansätze. Etwa wenn der Mann als Spezies beschrieben wird, die eine seltsame Liebe zum Papier pflegt. Er schreibt, druckt und prägt es, hortet es in großen Verstecken und lebt, um weitere Papiere herzustellen. Wer die richtigen Papiere sammelt, wird reich. Der Mann, so heißt es im Text, glaubt, dass Papiere heilig sind. Komponist Venables lässt sein Ensemble dazu mit Papieren knistern und Ted Huffman lässt sie Papiere in die Luft werfen. Na ja.

Drag Queen Kit Green animiert das Publikum zum Mitsingen.
Drag Queen Kit Green animiert das Publikum zum Mitsingen. | Bild: Tristram Kenton

Einen frischen ironischen Wind bringt da vor allem die Drag-Queen Kit Green ins Spiel („Wie Sie bemerkt haben, machen wir uns in diesem Stück über die Männer lustig“). Ihr gelingt es, das Publikum in einem kleinen offenen Singen zum Mitmachen zu bewegen.

Alles in allem bleibt allerdings der Eindruck, dass aus Mitchells Text mehr zu holen gewesen wäre – sowohl szenisch als auch musikalisch. Immerhin, es war ein Anfang in Sachen queeres Musiktheater. Und auch in Mitchells „Faggots“ folgen auf die erste noch zwei weitere Revolutionen, bis sich ein zufriedenstellender Zustand eingestellt hat.