Frau Sobotka, wir stehen jetzt kurz vor der Premiere von Carl Maria von Webers „Freischütz“ auf der Seebühne. Sie haben dafür mit Philipp Stölzl jenen Regisseur verpflichtet, der bereits die vorletzte Produktion, Verdis „Rigoletto“, zu großem Erfolg geführt hat. War das der Grund, warum Sie ihn jetzt wieder nach Bregenz geholt haben?
Das geht noch weiter zurück. Als wir uns zum ersten Mal für eine Produktion am See getroffen haben, hat Philipp Stölzl bereits den Traum geäußert, mal den „Freischütz“ am See zu machen. Wir haben uns dann für „Rigoletto“ entschieden, aber schon während der Produktion daran gefunden, dass der „Freischütz“ etwas ganz Besonderes für die Seebühne wäre. Und die Produktion ist jetzt auch deswegen nochmal spezieller, weil wir ja parallel zum Bühnenbild einen neuen Seebühnenkern gebaut haben.
Wir hatten also zwei Baustellen gleichzeitig. Und ohne die Kreativität von Stölzl, der gesagt hat, gut, dann mache ich mal ein ganz anderes Bühnenbild und hole es ganz vor bis zur Tribüne, hätten wir diese parallelen Baustellen gar nicht geschafft. Das in mehr oder weniger sieben Monaten zu machen, ist eine extreme Herausforderung. Dadurch gibt es für uns aber ungeheuer viel Neues. Die Sichtlinien sind anders, wir müssen das Tonsystem dem anpassen, die gesamte Anmutung ist plötzlich eine ganz andere. Das war und ist gerade eine ungemein spannende Zeit.

Was genau hat sich für das Produktionsteam durch den neuen Betonkern geändert?
Es ist weniger der Betonkern, der was verändert hat, sondern es ist die Vorlagerung der Bühne an die Tribüne heran, also dorthin wo sonst immer der Wassergraben war, der imaginäre Orchestergraben. Dadurch sind die Künstlerinnen und Künstler viel näher am Publikum dran, was wieder eine Neujustierung der Tonanlage mit sich bringt. Zusätzlich gibt es eine neue Textversion vom „Freischütz“.
Der Text wirkt für die heutige Zeit ja etwas verstaubt…
Das war auch der Grund für mein anfängliches Zögern. Natürlich ist die Wolfsschlucht-Szene eine der packendsten und faszinierendsten Opernszenen überhaupt. Aber mit den Dialogen und auch der etwas stereotypen Zeichnung der beiden Frauen kann es schon sein, dass es etwas Altbackenes bekommt. Daher war von Anfang an klar, dass Philipp Stölzl das ändern und zusammen mit Jan Dvorak eine neue Dialogfassung schaffen wollte.
Für diesen Zweck hat er sich außerdem gewünscht, dass wir einen rein deutschsprachigen Cast auf die Beine stellen. Und er hat mit allen Sängern und Sängerinnen auch Schauspielproben gemacht. Auch durch die Nähe zu den Zuschauern und den vielen Text müssen die Sängerinnen und Sänger schauspielerisch begabt sein.
Ist denn rein gesprochener Text auf der Bühne akustisch gesehen auch nochmal eine besondere Herausforderung?
Ja, immer. Gerade in einem Setting, wo es Musik und Text gibt. Es ist ja schon in einem unverstärkten Zusammenhang schwierig, da die Balance zu finden. Das ist zum Beispiel auch die Herausforderung in einer Operette, dass die erhöhte Spannung des Singens unaffektiert in Sprache übertragen werden muss. Das sind wirklich ganz besondere Skills, beides zu können – mit der Sprache sowohl wie ein Schauspieler als auch wie ein Sänger umzugehen.
Meinen Sie, dass das Beispiel Schule machen wird oder wird es künftig wieder den Wassergraben zwischen Bühne und Tribüne geben?
Ich könnte mir vorstellen, dass es beides geben wird. Denn das Spannende ist, dass man spürt, dass die Stücke selbst die Konzeption in sich tragen. Es sind ja nicht nur die Teams, die das machen. So wie die „Butterfly“ ein ganz intimer, zwar ästhetisch klangvoller, aber auch zurückgenommener Opernedelstein wurde, so hat „Rigoletto“, der dieses etwas Schrille und Skurrile hat, den Clownskopf auf dem See erzeugt. Natürlich entwickelt das Team die Konzeption.
Am See funktioniert es besonders gut, wenn die Bühnenbildner und Regisseure sowohl auf das Stück schauen als auch den Ort ernst nehmen und seine Bedingungen aufnehmen und nicht denken, hier kann man einfach eine große Oper machen. Es bedarf bloß eines speziellen Zuschnitts. Daher kann ich mir, um auf Ihre Frage zurückzukommen, auch vorstellen, dass es das wieder geben wird. Nämlich dann, wenn es wieder ein Stück am See geben wird, das so etwas zulässt.
Der See spielt ja immer auch mit. Etwa indem es mal einen Sprung ins Wasser gibt oder ein Boot, das von irgendwo angefahren kommt. Ist so etwas Bestandteil der Verträge mit den Regisseuren?
Nein. Aber genau das, was Sie jetzt sagen, hat Stölzl dazu erwogen, dieses Bühnenbild zu entwickeln. Weil der See in seiner Gesamtheit ja sehr flüchtig ist. Wir können keinem Bühnenbildner, keiner Bühnenbildnerin garantieren, wie hoch der Wasserspiegel wann ist. Der kann sich im Verlauf der Proben- und Vorstellungszeit bis zu zwei Meter ändern. Das ist wahnsinnig viel.
Und wenn man zum Beispiel die Bühnenkante an den Seespiegel heranplanen würde, dann ist einmal die Bühnenkante unter Wasser und später der Abstand zwischen Bühne und Wasser sehr tief. Man kann unter diesen Bedingungen nicht in eine beständige Interaktion mit dem Wasser treten.
Philipp Stölzl hatte den großen Wunsch, das Wasser als Bestandteil der Produktion zu integrieren, auch weil er die Wasserfläche als Spiegel der Seele sieht, und hat ein Wasserbecken in den See gebaut. Hier bleibt der Wasserspiegel immer gleich. Erst so ist es möglich, dass die Sänger mit dem Wasser spielen und agieren, ins Wasser fallen, im Wasser kämpfen. Das Wasser selbst brennt, es dampft, ist sozusagen die „Ursuppe“.
Das Spiel auf dem See ist ja das Herzstück der Bregenzer Festspiele. Dabei übersieht man gerne, dass es noch viel mehr Programm gibt. So ist die Oper im Festspielhaus der Ort für wenig gespielte Opern, wie in diesem Jahr Rossinis „Tancredi“. Warum haben Sie sich für dieses Stück entschieden?
Es ist ein früher Rossini, in dem aber sowohl seine heiteren Seiten zutage treten als auch der große dramatische Bogen. Rossini ist im deutschsprachigen Raum viel mehr für seine heiteren Stücke bekannt. „Tancredi“ ist die erste, die in die Richtung große dramatische Oper geht, und da zeigt sich bereits Rossinis musikalische Qualität. Das Stück hat wie so oft in der italienischen Oper ein etwas krudes Libretto. Kreuzfahrergruppen bekämpfen sich, und man weiß gar nicht so genau, warum.
Ich bin sehr froh, dass Jan Philipp Gloger da einen ganz spannenden und heutigen Zugriff gefunden hat und wir ein tolles Paar haben. Die Hauptrollen sind zwei Frauen – Tancredi und Amenaide – und beide, Anna Goryachova und Melissa Petit sind für mich idealtypische Vertreterinnen für diese Rollen. All das hat dazu geführt, dass mir der „Tancredi“ für diesen Sommer ideal schien.
Werden Sie eventuell etwas von diesen In-Haus-Produktionen, die in Bregenz ja immer nur wenige Aufführungen haben können, nach Berlin, an ihre neue Wirkstätte als Intendantin der Staatsoper mitnehmen?
Es gibt noch keine konkreten Pläne, aber ja, nachgedacht habe ich darüber. Die meisten Produktionen gibt es allerdings nicht mehr. Denn ein durchaus schwieriger und teurer Aspekt in der Oper ist das Aufheben und Lagern von Produktionen. Das ist mit ein Grund, warum sehr viele Stücke relativ schnell wieder verschwinden. Aber natürlich bewegt mich dieser Gedanke.
Hat Bregenz überhaupt einen Fundus?
Nein, eben nicht. Und meine erste Aufgabe in Berlin wird sein, den Fundus zu verkleinern, weil wir neue Raumkapazitäten brauchen. Das ist im Moment wahnsinnig teuer. Je näher es am Stadtzentrum ist, desto teurer, je weiter weg, desto unpraktischer. Das ist eines der großen Dilemmas von Repertoirehäusern, die sich zuspitzen.
Dann gibt es in Bregenz noch die Werkstattbühne, wo in diesem Sommer zwei Musiktheater-Produktionen uraufgeführt werden. Worum handelt es sich?
Beide sind sehr spannend – und haben ein ähnliches Thema. Es geht um gelingende und nicht gelingende Kommunikation und um soziale Zusammenhänge. Ich freue mich sehr, dass das Ensemble Modern aus Frankfurt bei der Uraufführung von Ondrej Adámeks „Unmögliche Verbindung“ dabei ist – auch wieder nicht nur als musizierende, sondern auch als darstellende Personen.
Und bei der anderen Produktion, „Hold your Breath“ mit Musik von Éna Brennan, ist das Besondere, dass David Pountney nach Bregenz zurückkehrt, der ja mein Vorgänger war. Er ist Musiker, ein toller Librettist und ein großartiger Regisseur. Für „Hold your Breath“ hat er das Libretto geschrieben und wird Regie führen.
Das Stück entsteht in unserem Opernatelier, unserer inspirierenden Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Bregenz, die wir von zehn Jahren begonnen haben und die sich toll entwickelt hat. Der Bildende Künstler Hugo Canoilas macht für „Hold your Breath“ den Raum und die künstlerische Gestaltung.
Außerdem haben wir noch das Opernstudio, das wir in diesem Jahr besonders üppig machen – da kombinieren wir mit „Der Ehevertrag“ einen weiteren Rossini mit Puccinis „Gianni Schicchi“. Und wir geben erneut vierzehn jungen Sängern und Sängerinnen die Chance, sich unter der Regie von Brigitte Fassbaender auszuprobieren.
Das Opernstudio ist ja ihr Kind, also das, was Sie in ihrer Intendanz hier neu ins Leben gerufen haben.
Ja, es sind beides meine Kinder, das Opernatelier und das Opernstudio. Beide Projekte haben sich inzwischen sehr gut etabliert.
Und das Erbe, das Sie hier hinterlassen werden.
Ich hoffe es. Außerdem gibt es ja auch die Orchesterakademie, die jetzt ins zweite Jahr geht. Da freut mich sehr, dass wir gemeinsam mit den Wiener Symphonikern, unserem Residenzorchester, jungen Musikern und Musikerinnen anbieten, eine Woche mit uns zu probieren.