Jetzt zittern sie alle vor der neuen Wundermaschine aus dem Internet. „ChatGPT“ heißt das Programm, das angeblich Lehrern im ganzen Land den Schweiß auf die Stirn treibt. Wer ihm die Frage zur Deutsch-Hausaufgabe stellt, bekommt im Handumdrehen eine ebenso exklusive wie umfangreiche Antwort ausgespuckt. Wie soll man da noch kontrollieren, wer selbst nachdenkt und wer das Denken lieber der Technik überlässt?

Das ist natürlich dumm gelaufen für einen Bildungsbetrieb, der das Selbstdenken schon von sich aus sukzessive abschafft. Der Diskurs über anspruchsvolle Literatur zum Beispiel verkommt auf den Lehrplänen seit Jahren zur überflüssigen Randerscheinung. Viel wichtiger sei, so glaubt man in den Kultusministerien dieser Republik, das Formulieren von Lebensläufen, Bedienungsanleitungen, Produktbeschreibungen.
„Beschreibe mir ein Auto“: Ja, da liefert dieser Chatbot allererste Ware. „Ein Auto ist ein fahrbares Landfahrzeug, das in der Regel von einem Motor angetrieben wird.“ Stimmt! „Es hat vier Räder und eine Karosserie, die Platz für die Insassen und Gepäck bietet.“ Donnerschlag! „Es ist in der Lage, auf Straßen zu fahren und wird häufig als persönliches Transportmittel verwendet.“ Wieder völlig korrekt! Note: eins plus!
Falsche Zahlen, falsche Namen
Aber wehe, man fragt ihn nach so etwas vermeintlich Überflüssigem wie Georg Büchners Drama „Woyzeck“, aktuell zu sehen am Theater Konstanz. Sag mir doch bitte, „ChatGPT“, ist Woyzeck ein Opfer oder ein Täter?
„Woyzeck“, hebt der Chatbot an, sei „der Titel eines Theaterstücks von Georg Büchner, das 1837 veröffentlicht wurde“. Tatsächlich veröffentlicht wurde das Werk 42 Jahre später, die Bezeichnung „Theaterstück“ ist angesichts des fragmentarischen Charakters mindestens gewagt, und wenn nach einer Opfer- oder Täteridentität gefragt wird, kann statt des Dramas selbst nur dessen Hauptfigur gemeint sein. Aber wer kennt das nicht aus Schulzeiten: Bei völliger Ahnungslosigkeit erst mal souverän an der Frage vorbeilabern, hoffentlich fällt‘s dem Lehrer nicht auf.
„In dem Stück“, windet sich der Chatbot weiter, „handelt es sich um eine tragische Figur namens Johann Christian Woyzeck, der als Soldat und Unteroffizier dargestellt wird.“
Das ist gleich doppelt falsch, denn Johann Christian Woyzeck heißt gerade nicht die Figur, sondern deren reales Vorbild, hingerichtet 1824. Und ein Unteroffizier taucht in dem Fragment zwar auf, ist aber keinesfalls identisch mit Büchners Titelhelden, Franz Woyzeck.
„Woyzeck ist ein Mann von niederem Stand, der unter sozialen und psychischen Problemen leidet, und das Stück schildert seinen Abstieg in die Verzweiflung und den Wahnsinn.“ Wenn dieses Stück irgendetwas nicht schildert, dann ist es ein Abstieg, denn tiefer als Woyzeck von Beginn an steht, kann er gar nicht mehr sinken. Und dass er unter sozialen und psychischen Problemen leidet – herrje, wie banal!
Der Witz an der Sache: Ein Chatbot kann gar nichts wissen oder denken, sondern bloß Informationen – wahre wie falsche – zu einem halbwegs lesbaren Text verknüpfen. Wer sich als Deutschlehrer deshalb um die Zukunft sorgt, sollte erst mal seinen Unterricht überprüfen. Vielleicht aber ist es ja genau das, was manchen Pädagogen in Angst und Schrecken versetzt.