Hier ein Mosaik an der Wand, das vor unserem inneren Auge zu tanzen beginnt. Da ein Raum, dessen Linien so gekonnt angeordnet sind, dass der Mensch in der einen Ecke winzig klein, der in der anderen Zimmerecke riesengroß erscheint. Womit das Wow-Museum in Zürich spielt? Mit optischer Täuschung!

Was wir hier zu sehen glauben, ist auf faszinierende Weise nicht real, sondern ein Ergebnis dessen, was unsere Augen wahrnehmen und wie es unser Gehirn in seiner Informationsverarbeitung interpretiert. Die Grenzen zwischen Trugbildern, Sinnestäuschungen, Fantasie und Wirklichkeit verschwimmen hier – und genau das macht einen Besuch in dieser kunterbunten Welt der Illusionen auch so spannend.

Ein Raum, der die Sinne irritiert – Blick ins Wow-Museum.
Ein Raum, der die Sinne irritiert – Blick ins Wow-Museum. | Bild: gataric-fotografie/Wow-Museum

In 12 Räumen auf drei Stockwerken zeigt das Museum, das sich nur einen 5-minütigen Fußmarsch vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt befindet, Spiegel der Verzerrung, Bilder, die scheinbar in Wallung geraten, und ganze Zimmer-Arrangements, die durch Linien, Formen, Licht und Schatten für Wow-Momente sorgen.

Auf die Idee kam die studierte Verkehrswissenschaftlerin Vanessa Kammermann, die viele Jahre im Event-Management tätig war. Seit einer Reise durch Japan, Australien und Neuseeland ließ sie die Idee nicht mehr los, einen Raum der Illusionen in Zürich zu eröffnen. Und weil sich der Job als Museumsdirektorin mit der Familie vereinbaren ließ, eröffnete die Vierfach-Mutter gemeinsam mit ihrem Mann im Frühsommer 2020 ein eigenes Museum.

Auch Zerrspiegel gibt es im Museum.
Auch Zerrspiegel gibt es im Museum. | Bild: gataric-fotografie/Wow-Museum

Im ersten Jahr kamen nicht nur mehr als eine Million Besucher, sondern auch rund 400 Schulklassen. Einen pädagogischen Wert haben die visuellen Wahrnehmungsphänomene, die hier erleb- und greifbar werden, allemal. Denn dem Betrachtenden wird klar: Was wir hier glauben zu sehen, entspricht oft nicht der Realität. Das bringt Betrachtende zum Staunen, lässt sie die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung hinterfragen und erfreut die Sinne auf irritierende Weise.

In Schräglage gehen, ohne umzufallen – das Museum macht es möglich.
In Schräglage gehen, ohne umzufallen – das Museum macht es möglich. | Bild: gataric-fotografie/Wow-Museum

Kein Wunder, dass optische Täuschungen in der Kunst bereits seit der Antike eine Rolle spielen. Naturrealistische Trauben, die so echt aussahen, dass sogar Vögel danach gepickt haben, soll etwa bereits der berühmte griechische Maler Zeuxis von Herakleia (Ende des 5. Jahrhunderts vor Christus) gemalt haben. Und auch das eine oder andere Gotteshaus macht sich optische Illusionen zunutze: Der italienische Architekt und Maler Andrea Pozzo hat beispielsweise der Jesuitenkirche in Wien von 1703 bis 1705 eine hochbarocke Gestalt verliehen und eine pompöse Kuppel an die flache Kirchendecke gemalt. Auch wenn der Schein trügt – die gewiefte Deckenmalerei beschert dem Kirchenbesucher ein Gefühl von Größe und Weite.

Auch heute begegnen uns optische Täuschungen in der Kunst – nicht zuletzt in der Street Art. Das Künstlerphantom Banksy wurde weltberühmt mit Graffiti, die sich gekonnt und auch oft urkomisch in ihre Umgebung einfügen, indem sie vorhandene Hydranten, Bäume oder parkende Autos in das Kunstwerk integrieren. Andere Straßenkünstler spielen so beeindruckend mit 3D-Effekten, dass sich zu ihren Füßen scheinbar tief ins Erdreich donnernde Wasserfälle oder imposante Krater im Asphalt auftun.

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In Zeiten von Selfies und sozialen Medien ist es nicht verwunderlich, dass Museen wie das Wow-Museum boomen. Hier kann man die Trugbilder nämlich nicht nur betrachten, sondern erleben, durchschreiten – und dabei auch noch fleißig Fotos von sich selbst inmitten des Hokuspokus knipsen, die im Internet dann Likes und Shares ernten. In Stuttgart und Hamburg gibt es etwa jeweils ein Museum der Illusionen, in Berlin das Illuseum sowie das DeJa-Vu-Museum für optische Täuschungen, Illusionen und digitale Kunst. Und mit dem Slogan „Unglaublich. Verwirrend. Fantastisch“ wirbt sogar die Ostsee-Insel Usedom mit einem eigenen Museum der Illusionen.

Vanessa Kammermanns Zürcher Familienmuseum hat den Trend jedenfalls frühzeitig erkannt – und ist vor zwei Monaten einen Expansionsschritt nach Deutschland gegangen: Das Wow-Museum gibt es nun auch in der Innenstadt von München. Für die bayerische Landeshauptstadt habe man sich entschieden, weil München „ein pulsierendes Herz der Kunst und Kultur“ sei.

Eine Idee, zwei Ausstellungen

Direkt hinter dem Isartor werden auf rund 500 Quadratmetern 16 verrückte, bunte und verwirrende Räume präsentiert, die ebenso wie die Zürcher Schau mit Trug, Realität und irritierenden Linien spielen. „Die Schau in München ist größer, wesentlich mehr LEDs kommen zum Einsatz und sie ist viel durchdachter“, sagt Vanessa Kammermann. „Lokale und internationale Künstler haben das Konzept mit erarbeitet.“ Ein doppelter Besuch in Deutschland und der Schweiz ist möglich, denn kein Raum gleicht dem anderen.

Für beide Besuche gilt: Nach dem knapp anderthalbstündigen Rundgang braucht das Gehirn erst mal eine Pause, um die Sinnestäuschungen zu verarbeiten und wieder in der realen Welt anzukommen. Doch hat sich der Wackelkopf ein bisschen beruhigt, bleiben nur bunte Erinnerungen an einen fantastischen Nachmittag – und philosophische Gedankenspiele über Lüge, Wahrheit, Illusion und Realität.