Frauke Rüth

Die große Frage ist, wann wir reinen Wein eingeschenkt bekommen. Wir, das ist eine Gruppe von 60 Menschen, die sich am frühen Abend am Rand des Dorfes Menzenschwand auf dem Wanderparkplatz versammelt. Schon den zu finden, erforderte ein bisschen Entdeckergeist. Er ist der Treffpunkt, von dem aus wir zum Secret Dinner geführt werden sollen, das heute an einem unbekannten Ort im Hochschwarzwald ausgerichtet wird.

Als einzigen Hinweis auf den Parkplatz haben die Teilnehmer einige Tage zuvor eine Postkarte mit den Koordinaten zugeschickt bekommen. Immerhin: Dieses Rätsel konnte man mit GPS schnell lösen, doch dasjenige, wo genau gleich gespeist werden wird, treibt die Anwesenden weiter schwer um. „Vielleicht in einem Stall“, mutmaßt die Frau zu meiner Rechten. „Riecht das nicht da drin, auch wenn keine Tiere dabei sind – außer denen auf dem Teller natürlich?“, fragt ihr Begleiter und lacht selbst am meisten über seinen Witz.

Jedes Mal woanders

„Vergangenes Jahr war es in einem alten Speisewagen am Schluchsee“, kommentiert ein junger Mann. „Ich habe extra festes Schuhwerk angezogen, falls wir einen felsigen Weg oder eine glitschige Stiege hochmüssen“, sagt er aufgeregt. Fürs Protokoll: Ich habe meine Nappaleder-Stiefelchen an und will darin keine Fels- und Matschkollisionen erleben.

Wie es sich herausstellt, ist die riskante Schuhwahl goldrichtig gewesen. Nachdem eine Mitarbeiterin im grünen Regenmantel mit dem Logo der Hochschwarzwald Tourismus GmbH, die das Dinner veranstaltet, zum Aufbruch gerufen hat, gehen wir auf dem gut befestigten Trottoir durch das idyllische Bergörtchen.

Skihütte oder Barockkirche?

Vorbei an prächtig renovierten Bauernhäusern, liebevoll angelegten Gärten, Scheunen voll mit Heu. Und tatsächlich passieren wir auch einen Stall, aus dem aber nur ein paar Kühe desinteressiert auf diese seltsame Ansammlung von Leuten schauen.

Die Spießhornschanze beginnt, sich an einem der Dorfhügel abzuzeichnen – essen wir womöglich in der dazugehörigen Skihütte? Das würde recht kuschlig werden, sie wirkt nicht gerade groß. Die Turmuhr schlägt Viertel vor sechs, als wir in der Ortsmitte an der Barockkirche anhalten. Heiliger Bimbam, machen wir Pause? Die Frau im grünen Mantel grinst und zückt einen Schlüssel. Oh, Wunder: Er passt perfekt zum Eisengatter vor dem Gotteshaus!

Festlich tafeln in der Erlöserkirche: Weil das Gotteshaus ausgesegnet ist, wird das möglich.
Festlich tafeln in der Erlöserkirche: Weil das Gotteshaus ausgesegnet ist, wird das möglich. | Bild: Hochschwarzwald Tourismus

„Das ist die Erlöserkirche, die mittlerweile ausgesegnet ist“, erfahren wir. Denn sonst dürfe darin kein so weltlicher Spaß wie ein sechsgängiges Dinner stattfinden, bei dem ja mal mindestens der Verdacht auf die Todsünde der Völlerei im Raum steht. Beruhigt stapft die Ess-Gemeinde über den Kiesweg zur Kirche a. D. und wird mit Sektflöten empfangen.

Seinen Platz bekommt man zugeflüstert, meine Güte, die bleiben hier wirklich durchgehend in ihrer konspirativen Rolle. Und dann sitzt man zu sechst am mit Leinen gedeckten Tisch und alle schielen sich schüchtern von der Seite an, man ist sich schließlich fremd.

Zum Glück kommt Sabrina Pfrengle zu uns, die das Secret Dinner, also das geheime Abendessen organisiert hat. Sie erzählt, dass sie es auch war, die vor anderthalb Jahren die Idee zum geheimnisvollen Dinieren hatte. „Ich wünsche mir, dass die Menschen die Region so mal auf eine neue Art kennenlernen“, sagt die Managerin der Hochschwarzwald Tourismus GmbH.

Zu sechst an einem Tisch: Beim Secret Dinner schließt man neue Bekanntschaften.
Zu sechst an einem Tisch: Beim Secret Dinner schließt man neue Bekanntschaften. | Bild: Hochschwarzwald Tourismus

Zusammen mit ihrem Team suchte sie damals nach einem besonderen Ort und fand ihn in Form eines historischen Mitropa-Speisewagens aus dem Jahr 1940, der am Bahnhof in Seebrugg steht. „Das Event dort im Herbst 2021 war ein voller Erfolg“, freut sich Sabrina Pfrengle. „Jetzt hoffen wir, dass die Kirche und die Köche heute genauso überzeugen.“

Die Voraussetzung für die Kulinarik-Mannschaft sei auch dieses Mal wieder gewesen, dass sie bereit sei, in einer Lokalität zu kochen, in der alles etwas provisorisch zugehe. Auch die Gäste seien meist offene Menschen, die Lust hätten, andere kennenzulernen und sich auf etwas Unbekanntes einzulassen.

Zu beschäftigt zum Anstoßen

Wie sich zeigt, trifft das auch auf meine Tischrunde zu, bei der alle schnell ins Plaudern kommen: Ein Pärchen erzählt, dass es zwei Stunden aus der Pfalz hergefahren sei, das andere hatte eine kürzere Anreise, es lebt in der Nähe von Freiburg. Ein gemeinsames Detail: Die Frauen haben ihren Männern die Teilnahme am Dinner zum Geburtstag geschenkt.

Wir reden so angeregt miteinander, dass wir beinahe vergessen, mit dem Fläschchen anzustoßen, das wir gereicht bekommen. Es sieht aus, als befinde sich darin die neueste hippe Craftbeer-Brause – doch beim Inhalt handelt es sich um eine Tomaten-Estragon-Essenz. Dazu gibt‘s Pulpo am Spieß mit schwarzem Aioli. Ausgedacht hat sich das der Spanier Iván Lagunas Romeo, der im „Restaurant Kamino“ in Häusern die Küche verantwortet.

Fischgericht für Genießer: ein Blick auf den Teller beim nur scheinbar streng geheimen Abendessen in Menzenschwand.
Fischgericht für Genießer: ein Blick auf den Teller beim nur scheinbar streng geheimen Abendessen in Menzenschwand. | Bild: Hochschwarzwald Tourismus

Wo sich einst der Altar befand, vor dem die Dörfler auf den Bänken den Predigten lauschten, steht jetzt eine Gruppe von Halbgöttern in weißen Schürzen und beugt sich über viele Teller, die unter der Wärmebrücke auf den letzten Schliff warten. Nach dem Intro aus der Flasche serviert Johannes Dünnebacke, der vor einiger Zeit den elterlichen Betrieb „Hotel Schlehdorn“ in Feldberg übernommen hat, eine geflämmte Lachsforelle in Joghurt-Apfel-Sud.

Der nächste Teller oder vielmehr die Tasse, die gereicht wird, enthält einen Champignon-Cappuccino von Alexander Maier, seit 2018 Küchenchef vom „Schwarzwaldgasthof Rößle“ in Todtmoos. In der Menükarte stellen sich die Küchenmeister vor. Darin ist etwa nachzulesen, was Maiers Lieblings-Lebensmittel aus der Region sind: Kräuter, Hinterwälder-Rind, Bergkäse, Reh. Und Schnaps. Sympathischer Mann!

Speisekarte mit Psalm: Himmlisch sind hier nicht nur die Gaumenfreuden.
Speisekarte mit Psalm: Himmlisch sind hier nicht nur die Gaumenfreuden. | Bild: Frauke Rüth

Den Hauptgang kredenzt uns Daniel Frech vom „Posthorn“ in Ühlingen: eine zarte Ochsenschwanzpraline mit Morcheln, Bärlauch und kleinen Fregula-Sarda-Nüdelchen aus Hartweizengrieß. So langsam wirken alle am Tisch ziemlich, tja, glücklich! Und weil man das ja nie genug sein kann, essen wir eben die rosa Kalbshüfte, die sich 20 Minuten später vor uns materialisiert, auch selbstredend.

Wer will schon einen Koch wie Manuel Schwörer vom „Hotel Schwörer“ in Lenzkirch enttäuschen, der in seiner Selbstauskunft als alternativen Berufswunsch Astronaut angibt und dessen Spargel-Lasagne so was von überhaupt nicht nach Astronautennahrung schmeckt?

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Nun versichert sich die nette Tischgesellschaft gegenseitig, dass das Öffnen der oberen Hosenknöpfe eine durchaus praktikable Methode sei, den Nachtisch ohne lästiges Kneifen in der Bauchregion zu genießen. Gesagt, getan – und so ist man schließlich bestens gerüstet für das Dessert von Matthias Schwer vom „Gasthaus zum Kreuz“ in St. Märgen.

Sprachspiele über Namen verbieten sich eigentlich, aber das hier passt nun mal ganz gut: Herr Schwer serviert einen leichten Hauch von einer Birne mit fluffigen Nugatfantasiegebilden, was ganz vorzüglich mundet. Schade, Schokolade, das war es jetzt aber wirklich mit Essen, Trinken und Fröhlichsein. Man muss auch mal die Kirche im Dorf lassen: Morgen gibt‘s nur Knäckebrot. Amen.

Das nächste Secret Dinner findet am 20. April 2023 statt. Weitere Informationen finden Sie hier.