Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch (1911-1991, „Homo Faber“) notierte einst Fragen, die auch den klügsten Kopf in Verlegenheit bringen. Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp-Verlags, in dem der Fragebogen erschienen ist, lassen wir regelmäßig prominente Persönlichkeiten auf einige der Fragen antworten. Heute ist der Kabarettist Christoph Sieber an der Reihe.
Möchten Sie das absolute Gedächtnis?
Das wäre grandios und erschreckend zugleich. Einerseits wäre ich froh, wenn einmal Gelerntes, Gelesenes, Erfahrenes auf ewig abrufbar wäre. Und es wäre dann ja immer noch genug Unwissen vorhanden, denn ein absolutes Gedächtnis hieße ja auch: Ich weiß jederzeit, was ich nicht weiß. Auf der anderen Seite bin ich auch oft froh, dass ich vieles wieder vergessen habe. Gerade in der Schulzeit häuft man doch einiges an, was fürs Leben unbrauchbar ist.
Wie viel Geld möchten Sie besitzen?
Als Jugendlicher konnte ich meine Eltern auf die Palme treiben mit dem Satz: Ich brauche nichts. Eine dekadente Aussage von jemandem, der vom Geld der Eltern lebt. Heute bin ich natürlich auch froh, keine Geldsorgen zu haben.
Mir ist aber bewusst, dass es dem kapitalistischen System gelungen ist, alles auf den Besitz zu reduzieren. Erich Fromm schreibt in seinem Buch „Haben oder Sein“ zurecht davon, dass wir uns entscheiden müssen zwischen Haben oder Sein. Wenn ich also die Wahl habe: Ich nehme das Sein. Und die Kohle.
Was könnten Sie sich nicht verzeihen?
Wenn ich nicht verzeihen könnte.
Wissen Sie in der Regel, was Sie hoffen? Welche Hoffnung haben Sie aufgegeben?
Ein Leben ohne Hoffnung ist mit das Traurigste, was ich mir vorstellen kann. Ein Leben ohne Hoffnung ist letztlich kein Leben mehr. Der Mensch lebt von einer Perspektive. Das sollten wir alle verinnerlichen, wenn wir uns manchmal fragen, warum sich Menschen auf die Flucht machen und sich in ein überfülltes, wackeliges Schlauchboot setzen, um übers Mittelmeer zu kommen. Der Mensch braucht eine Perspektive. Und wenn er die in der Heimat nicht hat, dann sucht er sie woanders.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Klar, Fußballnationalspieler werde ich wohl nicht mehr. Dafür bin ich für Löws Truppe einfach zu beständig. Aber bei den großen Themen wie Klima, Gerechtigkeit oder Frieden bleibe ich dabei, dass ich an das Gute im Menschen glaube. Auch wenn ich weiß, dass diese Hoffnung Illusion ist.
Hoffen Sie auf ein Jenseits?
Ich bin mit der Hoffnung auf das Diesseits so ausgelastet, dass ich das Jenseits den Kirchen überlasse.
Welche Probleme löst eine gute Ehe?
Da scheint mir die Frage die Falsche zu sein. Ich sehe die Ehe nicht als Problemlöser. Ich erwarte ja nicht von meiner Frau, dass sie meine Probleme löst. Auch möchte ich ihre nicht haben. Aber natürlich ist es auch schön, in schweren Zeiten zu wissen, dass man füreinander da ist. Für mich heißt Ehe das Versprechen und das Bekenntnis zu einem Leben zu zweit, das über die Wochen des Verliebtseins hinausgeht. Wer nicht allein sein kann, sollte auch keine Ehe eingehen.
Halten Sie Geheimnislosigkeit für ein Gebot der Ehe oder finden Sie, dass gerade das Geheimnis, das zwei Menschen voreinander haben, sie verbindet?
Der Mensch ist in all seinen Facetten unergründlich. Die Gedanken sind frei. Wer glaubt diese alle mit einer anderen Person teilen zu können oder auch nur zu wollen, unterliegt einer Illusion. Ich glaube, dass ich viele meiner Geheimnisse auch noch nicht kenne. Immer wieder überrasche ich mich selber. Also Geheimnislosigkeit scheint mir doch ein sehr langweiliges Unterfangen zu sein. Dies sollte aber keinesfalls als Aufruf zur Untreue verstanden werden.
Was ertragen Sie nur mit Humor?
Alles! Das Leben ist ohne Humor nicht zu ertragen. Alle anderen Ansichten halte ich für humorlos.
Die Saurier überlebten 250 Millionen Jahre; wie stellen Sie sich ein Wirtschaftswachstum über 250 Millionen Jahre vor?
Wir müssen uns eines bewusst werden: Die Saurier überlebten ja nur 250 Millionen Jahre, weil sie kein Wirtschaftswachstum hatten. Die Schattenseiten des Wachstums wie Ausbeutung von Rohstoffen, Zerstörung der Umwelt und Vernichtung der Lebensgrundlage ließen sie so lange auf Erden existieren. Uns muss klar sein: Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir nur eine kurze Episode auf Erden sein.
Wann hat die Technologie begonnen, unsere menschliche Existenz nicht mehr zu erleichtern (was ursprünglich der Zweck von Geräten ist), sondern eine außer-menschliche Herrschaft über uns zu errichten und die Natur, die sie sich unterwirft, uns zu entwenden?
Ich antworte mit einem Zitat von Steve Jobs, dem Begründer von Apple. Auf die Frage des Reporters, wie Apple herausfinde, was der Kunde will, antwortet dieser: „Es ist nicht Aufgabe des Kunden zu wissen, was er will.“
Wir werden irgendwann erkennen müssen, dass die Digitalisierung zwar zur Vereinfachung von Abläufen geführt hat, aber die Gesellschaft radikalisiert, gespalten und entmenschlicht hat. Ich glaube nicht mehr an den Satz, dass Soziale Dienste wie Facebook, Twitter oder WhatsApp einfach nur das Schlechte im Menschen hervorrufen. Nein, sie fordern es heraus. Sie belohnen es. Die nachdenklichen, differenzierenden und besänftigenden Stimmen sind in der digitalen Welt zum Scheitern verurteilt, denn geteilt und medial aufgeblasen werden Hass, Dummheit, Ignoranz und Unverschämtheit. Kleine feine Dinge wie Freundlichkeit, die im Alltag so viel wert sind, spielen in dieser Welt keine Rolle.
Wie alt möchten Sie werden?
Sehr alt. Ich sage es direkt: Sterben ist nichts für mich.
Wann haben Sie aufgehört zu meinen, dass Sie klüger werden oder meinen Sie‘s noch?
Das Sprichwort besagt ja, dass man aus Schaden klug werde. Demnach bin ich noch bei weitem nicht oft genug zu Schaden gekommen. Und da die Frage ja zurecht impliziert, dass man nur meint, klüger zu werden, sage ich in aller Bescheidenheit: Ich gebe den Versuch nicht auf klüger zu werden, denn die größte Dummheit könnte es sein, sich für klug zu halten.
Gesetzt den Fall, Sie haben nie einen Menschen umgebracht, wir erklären Sie es sich, dass es dazu nie gekommen ist?
Das könnte an Artikel 1 des Grundgesetzes liegen und dass mir der Respekt vor der Würde des anderen in die Wiege gelegt wurde. Da muss man sehr dankbar sein für seine Sozialisation… und natürlich lag es aber auch an fehlender Gelegenheit und dem Nichtvorhandensein einer adäquaten Waffe.
Was fehlt Ihnen zum Glück?
Meist wohl die Erkenntnis, dass das Glück längst eingekehrt ist und dass Glück nur in seiner Abwesenheit wahrgenommen wird.
Haben Sie Angst vor dem Tod und seit welchem Lebensjahr?
Kann man als Mensch überhaupt keine Angst vor dem Tod haben? Der Tod ist die einzige Konstante des Menschseins. Alles Leid, alles Glück, alles Streben: Es hat ein Ende. Und zwar todsicher. Die Angst vor dem Tod ist das, was den Menschen antreibt. Jeden Tag als Geschenk wahrzunehmen, dem Tod von der Schippe gesprungen zu sein, aber gleichzeitig ihm wieder einen Tag näher gekommen zu sein. Ohne den Tod übrigens wäre Komik nicht möglich. Es würde jeder Pointe an Tiefe fehlen. Ach ja, zur Frage: Klar habe ich Angst vor dem Tod, aber ich arbeite daran, dass der Tod auch wenig Angst vor mir hat.