Karnivoren – fleischfressende Pflanzen – können gefüttert werden. Dabei lässt sich beobachten, wie sie ihre Beute (Insekten), verdauen. Allerdings sollten sie nicht überfüttert werden.
Karnivoren haben, wie alle Pflanzen, grüne Blätter, mit deren Hilfe sie assimilieren, also sich selbst versorgen. Deshalb verhungern sie nicht, wenn sie keine Beute bekommen. Nicht düngen!
Außerirdische Pflanze steht auf Menschenblut
Diese kurze Pflanzenkunde ist dem Programmheft zur Premiere des Musicals „Der kleine Horrorladen“ am Theater Konstanz entnommen. Der Hinweis auf die Botanik erfolgt nicht von ungefähr. Denn das Zentrum des Musicals, das 1982 in New York als „Little Shop Of Horrors“ uraufgeführt wurde, ist – eine Karnivore.
Allerdings, in diesem theatralischen Fall, eine monströse, außerirdische Variante. Sie steht auf Blut, genauer gesagt auf Menschenblut. Und: diese Pflanze zeigt menschliche Eigenschaften, sie kann sprechen.
Die Vorgeschichte: ein Blumenladen in der heruntergekommenen Straße einer Großstadt. Man kennt das Szenario, Mülltonen, schräge Graffitis an den Wänden („Eat The Rich“), ein unwirtlicher Ort (Bühne: Luis Graninger). Der Laden läuft nicht gut.
Daher beschließt Mr. Mushnik (Odo Jergitsch), ihn zu schließen. Aber er hat die Rechnung ohne Seymour (Jasper Diedrichsen) gemacht. Der linkische Angestellte beschäftigt sich mit der Zucht ominöser Pflanzen. Und ja, er ist in seine Kollegin Audrey (Kristina Lotta Kahlert) verknallt. Audrey kommt häufig zu spät zur Arbeit.
Was mit ihrem Freundfeind zu tun hat, Dr. Orin Scrivello (Patrick O. Beck), ein Zahnarzt. Der schlimme Finger (mit einer Leningrad-Cowboy-Frisur) verprügelt Audrey regelmäßig. Aus reiner Lust. Vom „blauen Veilchen“ ist einmal im Blumenladen die Rede. Damit ist ihre Verletzung am Auge gemeint. Der Sprachwitz passt.
Seymour also hat unter mysteriösen Umständen eine eigenartige Pflanze gefunden, die er seiner Angebeteten zu Ehren Audrey Zwei tauft. Und kaum steht die Pflanze im Schaufenster, erweckt sie das Interesse neugieriger Kunden.
Gewächs wächst schneller als jede Pilzkolonie
Der Laden brummt auf einmal. Mr. Mushnik veranlasst die Sanierung, eine neue Kasse wird angeschafft, neue Telefonanschlüsse. Neues Glück! Doch der Aufschwung hat seinen Preis: Das komische Gewächs (dahinter verbergen sich Thomas Fritz Jung und Robert Buschbacher) wächst schneller als jede Pilzkolonie – und vor allem: Es entwickelt den besagten speziellen Appetit.
Seymour, der von einem Leben mit Audrey Eins träumt, der plötzlich Anfragen von Medien erhält, zum gesuchten Promi wird, gerät unter Druck. Und er sorgt für Beute: „Jetzt, grüner Polyp, sei lieb, sei lieb“, singt er sich Mut zu.
Wir sehen Seymour, wie er den schlimmen Finger Dr. Scrivello nach einem vermeintlichen Zahnarzttermin mit einer Kettensäge auseinandernimmt. Arme und Beine fliegen auf die Bühne. Wir sehen dem Angestellten zu, wie er auch seinen Chef opfert, der ihm auf die blutige Spur gekommen ist, um das gefräßige Ungeheuer zufriedenzustellen. Seymour ergeht es wie Goethes überforderten Zauberlehrling: „Herr, die Not ist groß! / Die ich rief, die Geister / Werd‘ ich nun nicht los.“
Trotz der gruseligen Szenen lacht das Publikum im Großen Haus des Konstanzer Theaters. Die drei das Geschehen kommentierenden Soulgirls Chrystal (Lydia Roscher), Chiffon (Lilian Prent) und Ronette (Michaela Schmid), die so schnell ihre Kleider wechseln, dass einem schwindlig wird (Kostüme: Katia Bottegal), erhalten begeisterten Beifall.
Aber alle auf ihren Sitzen wissen, es ist ein Spiel, das im Übrigen auf der Bühne kein Happy End kennt. Anders als die Verfilmung des Horror-Stoffs durch Frank Oz. Im Theater kehren die vermeintlichen Toten auf die Bühne zurück, das ist im Film schlecht möglich … Und das beruhigt.
Susi Weber, verantwortlich für die Inszenierung, die die Junk-Opera „Shockheaded Peter“ erfolgreich in Konstanz auf die Bühne gebracht hat, verzichtet auf das, was allgemein als Regietheater bezeichnet wird. Gut so, das trashig-absurde Stück erlaubt eigentlich keine intellektuellen Höhenflüge.
Sie hat sich an der Vorlage orientiert, werktreu gearbeitet. Bei dem vielen Blut, das da fließt, hätte Weber eine Brücke in die krasse Gegenwart schlagen können. Aber man darf lachen, bis die Tränen kommen. Von der Regisseurin wird gesagt, dass sie eine Vorliebe für makabren Humor hat. Den setzt sie mit einem professionellen Ensemble glanzvoll um.
Skurriler Humor mit Situationskomik am Konstanzer Theater
Skurriler Humor, eine glückliche Mischung aus Comedy- und Gruselelementen, Situationskomik und Alan Menkens frech interpretierter Musik (Vocal Coach: Gary Peinke), dazu das Ganze gekonnt vertanzt, (Choreografie: Vivian Kremer) machen die Inszenierung zu einem wunderbar durchgeknallten Theaterabend. Selten, dass ein Stück in Konstanz so viel berechtigte Euphorie im Saal auslöste.

Aber die Energie ging von der Bühne aus. Von den Schauspielern. Diedrichsen alias Seymour überzeugt als armer Tropf und Mörder aus Ratlosigkeit und Liebe. Kahlert in der Rolle der missbrauchten Audrey Eins läuft auch stimmlich zu großer Musical-Form auf. Jergitsch spielt aus einem Guss den raunzigen und irgendwie doch sympathischen Mr. Mushnik.
Großartig vor allem auch Beck, der sieben Rollen (!) beherzt ausfüllt, als Zahnarzt, Saufbruder, Kunde, Interviewer, Bernstein, als Mrs. Luce, Agent und Mr. Martin. Das Trio Roscher, Prent und Schmid beziehungsweise Chrystal, Chiffon und Ronette – ihre Namen sind Anspielungen auf drei in den 1960er-Jahren erfolgreiche Girl Groups – bringt Glamour und viel Lebensfreude in die Inszenierung.
Und nicht zu vergessen: die knackig und präzise spielende Band auf der Oberbühne mit Frank Denzinger, Benjamin Engel, Rudolf Hartmann, Wolfgange Kehle und Albert Ketterl.
Sorry, aber hier gibt es nichts zu meckern! Jubel am Ende des Abends. Aber das sollte vielleicht doch noch gesagt werden: Vorsicht vor Karnivoren!
Weitere Vorstellungen gibt es am 27., 28. und 29. Februar sowie am 1., 2., 8., 9., 13., 16., 17. und 31. März. Mehr Informationen auf: http://www.theaterkonstanz.de