Solch einen Sieger hat der Eurovision Song Contest (ESC) noch nicht gesehen: Nemo Mettler, 1999 in der Schweizer Kleinstadt Biel geboren und inzwischen in Berlin lebend, ist der erste nichtbinäre Gewinner des Musikwettbewerbs. Sein Siegerlied „The Code“ verarbeitet seine eigene Geschichte – die ist eine moderne, mit einer intensiven Suche nach der eigenen Identität.
Weder Herr noch Frau Mettler
Der Sieg von Nemo in Malmö ist auch sprachlich eine Herausforderung. Denn da sich der Künstler als nichtbinär sieht, also weder als Mann noch als Frau, kann die richtige Anrede zum Stolperstein werden. „Herr Nemo Mettler“ fühle sich für ihn nicht richtig an, sagte Nemo vergangenes Jahr der Schweizer „Sonntags Zeitung“. „Frau Nemo Mettler“ aber genauso wenig.
Er, sie, they oder dhey?
Im Englischen ist zumindest die Sache mit den Pronomen einfacher als im Deutschen, „They/Them“ wird für nichtbinäre Menschen genutzt, „Dhey/Dhem“ wird das manchmal eingedeutscht. Eine richtige Form gibt es allerdings noch nicht. Nemo will im Deutschen bevorzugt ohne Pronomen angesprochen werden – kann aber auch damit leben, wenn sein Name mit „er“ verbunden wird. Ihm ist die Akzeptanz seines wahren Selbst das Wichtigste, wie er sagt.

Wer Nemos wahres Selbst am späten Samstagabend in Malmö erlebt hat, sah auf einen grundsympathischen, in Gesang und Show äußerst talentierten jungen Menschen. „The Code“ ist vom Gesang und von der Melodie ein Kunstwerk wie Queens Welthit „Bohemian Rhapsody“. Dazu zeigte Nemo auf der Bühne Akrobatik wie ein Turnkünstler.
Schon lange kein Niemand mehr
Nemo kommt aus dem Lateinischen und heißt übersetzt „Niemand“ – zumindest in der Schweiz ist Nemo schon seit Jahren kein Niemand mehr. Mit 13 Jahren steht Mettler im Musical „Ich war noch niemals in New York“ auf der Bühne. Mit 15 Jahren macht Nemo Rap und hinterläßt auch bei seinem Landsmann DJ Bobo Eindruck. Es folgen bald mit Gold und Platin ausgezeichnete Singles und 2017 die Auszeichnung als bestes Talent vom Schweizer Sender SRF3. Nur ein Jahr später räumt Nemo bei den Swiss Music Awards ab.
Von seinen Eltern wird Nemo unterstützend begleitet. Doch der Aufstieg des Sohnes erfolgt nicht nur mit Leichtigkeit. Irgendwann muss Nemo raus aus der Schweiz, wo jeder seine Geschichte kennt, und zieht ins anonyme Berlin.
Song „This Body“ über queere Identität
Hier findet sich Nemo und erfindet sich neu. Die Öffentlichkeit lässt der Sänger im November 2023 via Instagram daran teilhaben. Der Post steht im Zusammenhang mit seinem neuen Lied. In „This Body“ singt Nemo, dass er, wenn sein Körper ein Haus wäre, es niederbrennen und sich ein neues Zuhause bauen würde, in dem er sich sicher fühle. Nemo schreibt dazu ergänzend: „Ich identifiziere mich nicht als Mann oder als Frau. Ich bin einfach Nemo.“

Zuvor hatte Nemo schon erklärt, pansexuell zu sein, sich also von allen Geschlechtern angezogen zu fühlen. Seit Jahren führt Nemo eine Beziehung mit einer Frau – die Freundin erfährt laut Schweizer Medienberichten als erste von seiner Nonbinarität und verzichtet als erste auf Pronomen. In den sozialen Netzwerken erreicht sein Outing viel positives Feedback.
Mit diesem ungewöhnlichen Künstler verbindet sich auch rund um den ESC eine ungewöhnliche Geschichte. Denn wo andere von einer Entourage begleitet mit dem Flugzeug nach Malmö reisten, machte sich Nemo per Anhalter auf den Weg nach Schweden. Mit einem Kumpel trampte Nemo, machte unterwegs mit seinem Handy Videos von der Reise. Nemo machte sich also auf einem alternativen Weg nach Malmö – und hat nun alle Sympathien der Musikwelt gewonnen.
(AFP)