Lieber Herr Nix,
Sie sind ein Clown. Mit dieser vermeintlichen Unverschämtheit einen Brief eröffnen, das wollte ich schon immer mal. Bei Ihnen ist mir das aus gleich zwei Gründen möglich. Erstens: Sie sind ja wirklich ein Clown, bereits seit ihren Auftritten im Europa Circus Bügler vor vielen Jahren. Zweitens: Sie kennen Ihren Shakespeare und wissen, dass der Narr klüger sein kann als sein König.
Klüger als der König?
Jetzt geht Ihre Amtszeit als Intendant des Konstanzer Theaters zu Ende. Nach 14 Jahren, da spricht man von einer Ära. Sind Sie währenddessen stets klüger gewesen als der König? Nein, das sind Sie nicht, und zwar aus einem einfachen Grund: Sie saßen selbst auf dem Thron. Kaum ein anderer Posten ist mit so vielen Freiheiten ausgestattet wie der des Theaterchefs. Das haben Sie viele – oft leidvoll – spüren lassen, im eigenen Haus wie außerhalb davon.
Ein guter Intendant ist Narr und König zugleich. Die mit einem politischen Mandat ausgestatteten Regenten einer Stadt sind dafür zuständig, unser Leben von seinen Reibungspunkten zu befreien: Verkehrsstau beheben, Bildungseinrichtungen optimieren, Wirtschaft fördern. Die ästhetisch berufenen Herrscher dagegen bringen die so mühsam eliminierte Reibung mit närrischer Dreistigkeit wieder auf die Bühne zurück: Welche Bildung wollen wir überhaupt? Und ist die Art unseres Wirtschaftens auch sinnvoll?
Zumutung ist der Job eines Intendanten
Es hat sich in den vergangenen Jahren der Glaube ausgebreitet, sämtliche Widersprüche unseres Daseins ließen sich mit digitaler Technologie in Luft auflösen. In einer solchen Gesellschaft stellt jemand wie Sie eine Zumutung dar. Genau diese Zumutung aber ist der Job eines Intendanten, und je glatter, geschliffener, bequemer unsere Lebenswirklichkeit anmutet, desto wichtiger wird seine Aufgabe.
In Konstanz mögen es viele besonders gerne glatt und rund. Schließlich ist die Stadt ja so alt, so schön und überhaupt: Vor 600 Jahren hat man mal den Papst gewählt. Willst du dir hier Feinde verschaffen, musst du bloß unbequeme Wahrheiten aussprechen.
Sie, Herr Nix, haben lustvoll in jeder Wunde gebohrt, die sich Ihnen zeigte – von den Rüstungsgeschäften am Bodensee bis zum Immobilienausverkauf. Wer bei den großen Themen dieser Stadt mitreden wollte, kam am Theater nicht vorbei, es stand im Zentrum des öffentlichen Diskurses. Das ist Ihre Leistung, damit haben Sie sich um Konstanz verdient gemacht.
Souveräne Heiterkeit
Sich der Freiheit von Narren und Königen gleichzeitig zu bedienen, bringt auch Fehler mit sich. Beim Umhören hinter den Kulissen gewann man den Eindruck, weniger Monarchie würde heutiger Führungskultur eher entsprechen. Und anstelle von Empörung wäre manchmal souveräne Heiterkeit die bessere Wahl gewesen. Wer nicht lächeln kann, sobald mal ein Wind aufzieht, bekommt leicht einen Schnupfen. Das sage nicht ich, das sagt der Narr in „König Lear“.
Stellvertretend für viele Theaterbesucher wünsche ich Ihnen deshalb eine robuste Gesundheit und sage Danke: für Inszenierungen, die nie anbiedernd, oft unbequem und bemerkenswert oft hochklassig waren. Für eine Ära, die uns so manche Tragödie und Komödie Shakespearschen Ausmaßes beschert hat – auf der Bühne, aber auch daneben.