Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch (1911-1991, „Homo Faber“) notierte einst Fragen, die auch den klügsten Kopf in Verlegenheit bringen. Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp-Verlags, in dem der Fragebogen erschienen ist, lassen wir regelmäßig prominente Persönlichkeiten auf einige der Fragen antworten – heute ist der Philosoph Konrad Paul Liessmann an der Reihe.
Möchten Sie das absolute Gedächtnis?
Keinesfalls. Das wäre furchtbar. Und das aus einem einfachen Grund: Nicht alles, was Menschen tun oder denken, ist erinnerungswürdig. Das meiste ist doch peinlich. Vergessen zu können ist eine Gnade.
Was könnten Sie sich nicht verzeihen?
Nichts. Sich selbst kann man nicht verzeihen, verzeihen kann man nur den anderen. Selbst kann man nur bereuen.
Welche Staatsmänner halten Sie für moralisch?
Nicht einen einzigen. Und dies nicht deshalb, weil alle Staatsmänner böse Menschen wären, sondern weil Politik und Moral sich gegenseitig ausschließen.
Können Sie ohne Hoffnung denken?
Denken kann man überhaupt nur ohne Hoffnung. Jede Hoffnung korrumpiert das Denken, verzerrt den klaren Blick, vernebelt die Sicht auf die Welt. Zum Leben mag Hoffnung wichtig sein, beim Denken müssen wir auf sie verzichten.
Welche Probleme löst eine gute Ehe?
Keines. Wer heiratet, um ein Problem zu lösen, hat ein Problem.
Halten Sie Geheimnislosigkeit für ein Gebot der Ehe oder finden Sie, dass gerade das Geheimnis, das zwei Menschen voreinander haben, sie verbindet?
Geheimnisse verbinden nicht, Geheimnisse trennen. Das Verbindende bestünde darin zu akzeptieren, dass das Trennende eine Basis des Gemeinsamen sein kann. Geheimnislosigkeit in einer Beziehung zu fordern wäre seelischer Terrorismus.
Wen, der tot ist, möchten Sie wiedersehen?
Niemanden. Man hätte sich noch weniger zu sagen als zu Lebzeiten.
Wenn es Ihnen um die Erfindung eines Gerätes geht, das öffentliche Lügen unmöglich macht: wen können Sie sich als Geldgeber für Ihre kühne Forschung denken? Wen hingegen nicht?
Ich würde nach jemandem suchen, der dafür zahlt, diese Erfindung nicht zu machen. Und dafür würden alle zahlen. Wäre öffentliches Lügen unmöglich, würde die soziale Welt sofort zusammenbrechen. Wir brauchen Illusionen, Hoffnungen, Prognosen, Versprechungen, Täuschungen – alles Lügen.
Wann haben Sie aufgehört zu meinen, dass Sie klüger werden oder meinen Sie‘s noch? Angabe des Alters.
Ich war nie so klug als mit sechzehn Jahren. Damals hatte ich den vollen Durchblick. Von da an ging‘s bergab. Und ich sehe mit Freuden, dass es mit den heutigen 16-Jährigen ähnlich ist. Sie wissen, wie man die Welt rettet. Ich weiß das schon lange nicht mehr.