Wer hat uns das Verderben ins Haus gebracht? Zu Beginn der Coronapandemie lag der Verdacht noch auf einem Schuppentier. Inzwischen glauben die meisten Experten: Nein, es dürfte wohl doch eine Fledermaus gewesen sein. Als Zwischenwirt kommt vielleicht ein Hund infrage, eine Katze oder ein Nerz. Welche Lebewesen auch immer das Virus übertragen haben: Ohne die fatale Nähe von Mensch zu Tier wäre vielen Menschen der Tod erspart geblieben.
Dass Tiere ursächlich sind für die Endlichkeit unseres Lebens, diese Denkfigur hat in der menschlichen Kultur eine lange Tradition. Das gilt für den bekanntesten Erklärungsansatz der christlichen Mythologie, den Sündenfall im Garten Eden. Eine Schlange ist es bekanntlich gewesen, die der armen Eva eingeredet hat, trotz strengsten Verbots vom Baum der Erkenntnis zu naschen. Ein Einzelfall? Keineswegs. Folgende von Naturvölkern überlieferte Geschichten zeigen, dass auch andere Kulturen im Tier einen potenziellen Todesboten sehen.
- Zentralafrika: Die Geschichte vom unvorsichtigen Frosch. Hätte die Kröte besser aufgepasst, wäre die Hoffnung auf ein Jenseits hinfällig. Dass sie den Topf, in dem der Tod wohlverwahrt war, auf ihre Reise zu Verwandten mitnahm, mag noch angehen. Womöglich hätten ihn Einbrecher während ihrer Abwesenheit entwendet. Wieviel Naivität aber gehörte dazu, das gefährliche Gut unterwegs ausgerechnet einem Frosch anzuvertrauen?

„Halte den Topf gut fest. Er darf auf keinen Fall zerbrechen“, rief die Kröte ihrem Gefährten noch warnend zu. „Na klar doch!“, quakte dieser fröhlich, hüpfte davon, stolperte, ließ den Topf fallen – und dieser zersprang in tausend Stücke. Seitdem ist der Tod in der Welt und holt Menschen wie Tiere gleichermaßen zu sich.
- Ecuador: Eigentlich hatte der Sonnengott Menschen aus unverwüstlichem Gestein erschaffen wollen. Als er die Grille losschickte, das Material zu besorgen, stöhnte sie aber laut auf: Steine schleppen? Muss das sein? Zum Glück erklärte sich der Käfer bereit, die Aufgabe zu übernehmen. Die Grille kam mit dem leichteren Auftrag davon, musste nur noch Lehm besorgen.

Es dauerte nicht lange, da war die Grille mit dem Lehm wieder zurück. Der Käfer dagegen ließ auf sich warten: Steine sind nun mal nicht so schnell zusammengetragen wie ein Haufen Lehm. Außerdem zählten Geschicklichkeit und Schnelligkeit nicht gerade zu den hervorstechendsten Tugenden des Käfers. Und so verlor der Sonnengott schließlich die Geduld, formte die Menschen eben doch aus Lehm statt Stein.
- Zentralafrika: Zu gerne hätte die Schildkröte auch von den süßen Früchten des Mutondi-Baumes probiert. Leider aber war sie zu klein, um sie zu erreichen. Und weil die großen Tiere ihr nicht helfen wollten, vergrub sie einfach zwei übrig gebliebene Früchte in der Erde und wartete, bis aus ihnen neue Mutondi-Bäume heranwuchsen. Jetzt war sie es, die den Futterneid der anderen erweckte. Und weil sie zuvor so schlecht behandelt worden war, verspürte sie nicht die geringste Lust, von ihrem Vorrat etwas abzugeben.

„Das sind meine Früchte“, sagte die Schildkröte trotzig. Das allerdings waren auch schon ihre letzten Worte: Wütend stürzten sich die anderen auf sie und hackten sie in Stücke. Als Gott sah, was sie angerichtet hatten, wurde er zornig. „Bisher war es nicht notwendig, dass irgendjemand stirbt“, sagte er: „Aber von nun an sollen Menschen und Tiere sterben.“
- Westafrika: Für die Menschen gibt es eine frohe Botschaft – ihr dürft ewig leben! Dumm nur, wenn der Überbringer dieser Nachricht mit seinen Gedanken woanders ist. Als nämlich das Chamäleon vom Schöpfer mit dieser erfreulichen Kunde losgeschickt wurde, geriet es unterwegs ins Trödeln und Träumen. „Die Steine und die Büsche, den Himmel und die Wolken, die Pflanzen und die Flüsse... ganz verzückt war es, und dauernd entdeckte es neue Herrlichkeiten.“ Und so kam es, wie es kommen musste: In der Zwischenzeit hatte längst die Schlange (wer sonst?) den Menschen ihre eigene Geschichte als Wahrheit verkauft. Angeblich, so sagte sie, habe der Herrgott uns Menschen zum Sterben verdammt. Und weil der erste bereits brav Folge leistete, ließ sich diese Lüge nicht mehr rückgängig machen.

Gott wurde zornig und bestrafte die Schlange ganz so, wie wir es bereits aus der Genesis kennen. Doch auch das säumige Chamäleon kam nicht ungeschoren davon: Für seine Trödelei erntet es den (in unseren Breitengraden kaum nachvollziehbaren) Hass der Menschen, die es seither töten, wo immer sie ihm nur begegnen.
Die Mythen und Legenden sind entnommen aus:
Sylvia Schopf: „Wie der Tod in die Welt kam“, Herder Verlag 2007