Sinkende Abozahlen, die Finanzen in Schieflage, Wirbel um den Umgang mit Ex-Chefdirigent Rasilainen: Die Südwestdeutsche Philharmonie steckt seit Jahren in der Krise. Jetzt erreicht der in großen Teilen des Konstanzer Orchesters schwelende Unmut über die Intendanz eine neue Qualität.
Mehrere Mitarbeiter äußern gegenüber dem SÜDKURIER ihre Sorge über Unregelmäßigkeiten, die dem Orchester langfristigen Schaden zuführen könnten. Dabei ist nun ein Dokument aufgetaucht, das den Eindruck erweckt, Einzelne könnten sich auf Kosten des Steuerzahlers bereichert haben. Dabei handelt es sich um die innerbetriebliche Anzeige eines Mitarbeiters, datiert auf den vergangenen Oktober.
Auch Theaterintendantin Insa Pijanka selbst gerät unter Druck: Sie soll in Publikationen der Philharmonie unter ihrem eigenen Namen wiederholt Beiträge veröffentlicht haben, die frappierende Ähnlichkeiten zu Fremdtexten aufweisen.
Auf SÜDKURIER-Anfrage widerspricht die Philharmonie-Chefin teilweise dem Eindruck von Unregelmäßigkeiten zu Lasten der Allgemeinheit. In Bezug auf ihre Veröffentlichungen räumt sie Fehlverhalten ein und bittet um Entschuldigung.
Anzeige von Mitarbeiter
In der an die Intendantin gerichteten Anzeige listet ein Mitarbeiter Werkzeuge auf, die offenbar zum Inventar der Philharmonie gehören und nicht mehr auffindbar seien. Außerdem habe jemand in der Vergangenheit zahlreiche Tankbelege eingereicht, die mit den tatsächlich dienstlich gefahrenen Kilometern des Dienstfahrzeugs nicht in Einklang zu bringen seien.
„Dieses Schreiben entstand nach bereits mehrmalig erfolgten Hinweisen auf die angesprochenen Sachverhalte“, heißt es. Es gehe dem Absender darum, „nicht selbst irgendwann in Verdacht zu geraten“.
Gegenüber dem SÜDKURIER erklärt Pijanka: Es treffe zu, dass der Hinweisgeber bereits vor Eingang dieses Schreibens Verdächtigungen geäußert habe. Diese seien jedoch so unpräzise gewesen, „dass hierauf nichts veranlasst werden konnte“. Konkrete Angaben seien erst in dem genannten Dokument erfolgt. „Hierauf haben wir die erforderlichen und uns möglichen Prüfungen durchgeführt“.
Dabei habe sich herausgestellt, dass einige der genannten Gegenstände (insbesondere höherwertige wie etwa eine LKW-Rückfahrtkamera) von einem ehemaligen Mitarbeiter „entliehen“ worden seien, laut dessen Darstellung sogar in Absprache mit dem Hinweisgeber. Diese Objekte befänden sich inzwischen wieder im Haus. Der Verbleib weiterer Gegenstände sei allerdings noch ungeklärt, teilweise seien sie in den Inventarlisten nicht erfasst.
Massiv gestiegene Fahrtkosten
Fragen wirft die genannte Anzeige auch angesichts zuletzt angestiegener Fahrzeugkosten bei der Philharmonie auf. Ein Vergleich der in den Jahresberichten veröffentlichten Gewinn- und Verlustrechnungen seit 2016 zeigt einen Anstieg von zunächst nur 1902 Euro über 5996 Euro im Jahr 2018 auf 14.782 Euro im Jahr 2020, trotz Pandemie-Lockdowns.
Eine mögliche Begründung dafür könnte ein Dokument liefern, das dem SÜDKURIER vorliegt. Es soll eine Seite aus dem Fahrtenbuch eines Dienstfahrzeugs abbilden und die nachträgliche Manipulation einzelner Ziffern im Tausenderbereich nahe legen. Hat sich jemand mit einem Trick private Fahrten von beachtlicher Reichweite erschlichen?
Der Anzeigensteller will sich auf Anfrage nicht zu dem Fall äußern und verweist ans Management. Dort erklärt Organisationschef Rouven Schöll, er selbst wie auch die zuständige Buchhalterin hätten den enormen Anstieg der Kosten bemerkt und der Intendantin gemeldet. Über mögliche Konsequenzen könne jedoch nur sie entscheiden.
Pijanka erklärt gegenüber dem SÜDKURIER, das fragliche Fahrtenbuch liege ihr noch immer nicht vor. Den Betrag von 14.782 Euro an Fahrtkosten bezeichnet sie als Ausreißer, der in Kfz-Reparaturen (Kostenpunkt etwa 11.000 Euro) begründet sei. Diese Ursache werde auch im Jahresabschluss genannt, den bereits das Rechnungsprüfungsamt geprüft habe.
Dass ihr das möglicherweise manipulierte Fahrtenbuch nicht vorliege, sei einer Bedingung des Hinweisgebers geschuldet. Dieser wolle es nämlich nur in Anwesenheit eines Zeugen vorlegen, „dies ist bislang nicht geschehen.“ Sie werde ihn nun erneut zur Herausgabe auffordern.
Pijanka-Texte wortgleich mit Texten anderer Autoren
So sehr Insa Pijanka wegen der Finanzen in die Kritik geraten ist, so viel Wert legt sie auf ihre publizistische Tätigkeit als Moderatorin und Autorin in Saisonbroschüren und Programmheften. Doch nun stellen kritische Beobachter aus dem Orchesterbetrieb auch zu diesen Leistungen neue Fragen.
Eine Analyse ihrer unter eigenem Namen veröffentlichten Beiträge zeigt nämlich Übereinstimmungen mit Fremdtexten in außergewöhnlicher Häufigkeit und Länge. Die Quellen stammen von Internetseiten diverser Medien, angegeben werden die Urheber nicht.
Wie gravierend ist diese Entdeckung? Dass eine besonders geglückte Formulierung oder auch mal ein ganzer Satz in einem fremden Text auftaucht, diese Erfahrung hat schon mancher Programmheftautor gemacht. Gerade beim Schreiben über Klassiker lässt sich das Rad nur schwer neu erfinden. Allerdings: Hier decken sich in einem Stück über eine Schostakowitsch-Sinfonie zwölf Sätze nahezu vollständig mit einem Programmtext des NDR-Elbphilharmonie-Sinfonieorchesters.
Und ein Text zum jüngsten Philharmonischen Konzert ist über sechs Sätze hinweg identisch mit einem Beitrag des Bayerischen Rundfunks. Er habe von den Textübernahmen weder Kenntnis gehabt noch dazu eine Erlaubnis gegeben, erklärt der Autor, Redaktionsleiter Bernhard Neuhoff, auf SÜDKURIER-Nachfrage.
Pijanka selbst sagt dazu: „Es ist zutreffend, dass ich Texte aus anderen Programmbeschreibungen übernommen habe. Dies waren Fehler.“
„Grenze zu Urheberrechtsverletzung deutlich überschritten“
Prof. Gerhard Dannemann von der Berliner Humboldt-Universität zählt zu den führenden Urheberrechtsexperten, in der Plagiatsaffäre um Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hatte er die Vorwürfe als überzogen eingestuft.
Mit einem Textbeispiel aus Pijankas Publikationen konfrontiert, erklärt er nun gegenüber dem SÜDKURIER, zwar erwarte man von einem Programmheft nicht denselben Umgang mit Quellen wie von einer wissenschaftlichen Arbeit. „Aber hier scheint mir die Grenze zu einer Urheberrechtsverletzung deutlich überschritten zu sein.“
Und sein Hamburger Kollege Prof. Christian Rauda konstatiert: „Der Ursprungstext ist nach dem Urheberrecht geschützt, weil er eine persönliche geistige Schöpfung darstellt. Die Übernahme des Textes ohne Erlaubnis ist eine Urheberrechtsverletzung.“
„Kann nur um Entschuldigung bitten“
Das Urheberrecht ist für Kulturbetriebe von hoher Bedeutung, auf ihm ruht das Geschäftsmodell zahlreicher Musiker. „Gerade als Verantwortliche in einem Kulturbetrieb hätte ich dies nicht tun dürfen“, bekundet Pijanka: „Ich bin derzeit in Klärung mit Betroffenen und kann für meinen Fehler nur vielmals um Entschuldigung bitten. Es wird nicht erneut dazu kommen.“
Dubiose Kostensteigerungen, Lücken im Inventar, fragwürdige Textübernahmen: Bei der Südwestdeutschen Philharmonie mögen sich die Gesprächsthemen ändern. Die Unruhe aber bleibt.