„Sehen was ist“ betitelt das Kunstmuseum Singen die Neupräsentation seiner Kunstschätze in einer umfangreichen und sehenswerten Ausstellung. Nach langen Monaten des Stillstands erwartet den Besucher ein Fest für das Auge, das den Blick gleichermaßen auf Vergangenheit und Gegenwart des Kunstgeschehens im Südwesten lenkt.
Entfaltet sich im lichten Erdgeschoss unter dem Titel „Sehen was war“ eine weitgespannte Übersicht zum Schaffen der Höri-Künstler und ihres Umkreises, so bietet das weitläufige Obergeschoss einen reich bestückten Parcours durch die zeitgenössische Kunstszene im Bodenseeraum. Schwerpunkte bei diesem Neustart des Museums bilden bisher kaum oder nie gezeigte und frisch restaurierte Werke aus den Depots sowie Neuzugänge der Sammlung, die durch Schenkungen und Leihgaben in jüngster Zeit zahlreich hinzukamen.
Mit den Kunstschaffenden, die seit den frühen 1920er-Jahren auf der Halbinsel Höri jene Region am Untersee zu einer festen Größe in der deutschen Kunstgeschichte werden ließen, besinnt sich das Museum auf das Herzstück seiner Kollektion.
Werke von Max Ackermann, Curth Georg Becker, Erich Heckel, Otto Dix, Walter Herzger, Helmuth Macke, Jean Paul Schmitz und Ferdinand Macketanz, ergänzt um Arbeiten von Hans Kindermann, Rose-Marie Schnorrenberg, Rudolf Stuckert, Julius Bissier, William Straube, Walter Waentig und vielen anderen eröffnen dem Betrachter das breite Spektrum der Kunstblüte am westlichen Bodensee, vor allem in schwierigen Zeiten ab 1933, als zahlreiche modern orientierte und vom NS-Regime verfolgte Künstler die Abgeschiedenheit dieser Gegend als Zufluchtsort und Überlebensraum entdeckten.
Unter den vielen Neuzugängen fällt besonders das große Triptychon „Hommage à Werner Gilles“ von Curth Georg Becker aus dem Jahr 1961 auf, das als Leihgabe aus der Sammlung Hubert Burda den bisherigen Bestand des Singener Malers im Museum hervorragend ergänzt.
Von Max Ackermann bereichert das Gemälde „Schräge Akzentpassagen II“ von 1956, von Erich Heckel der Farbholzschnitt „Am Seeufer“ von 1953 und von Julius Bissier die Serie sogenannter Leinwandtüchlein-Bilder von 1958-60 als Leihgaben aus Privatbesitz oder des Regierungspräsidiums Freiburg die Präsentation und lassen deutlich werden, wie die Kunst der Nachkriegszeit zwischen Figuration und Abstraktion oszillierte.
Dabei überzeugt auch die kluge Hängung: den Arbeiten aus der Sammlung, die dem Kenner des Singener Museums schon vertraut sind, hat Museumsleiter Christoph Bauer mit sicherem Gespür für Balance und Spannung die Neuerwerbungen an die Seite gestellt, so dass sich ein frischer Blick auf den illustren Reigen der Höri-Künstler vermittelt.
Über dem Fundament der Höri-Maler schwingt sich das Obergeschoss zu einem ebenso sorgfältig choreographierten Rundgang durch die Facetten und Spielarten der Gegenwartskunst auf. Als Ouvertüre empfangen zwei monumentale Farbkompositionen von Johannes Dörflinger den Betrachter – eine wirkungsvolle Hommage zum 80. Geburtstag des Konstanzer Künstlers.
Der Gang durch die Räume lässt die unterschiedlichen Strömungen und Tendenzen in der Kunst der Euregio Bodensee von den frühen 1990er-Jahren bis heute lebendig werden. Von expressiven bis zu reduzierten Positionen, von klassischen Gattungen der Malerei, Grafik und Plastik bis hin zu installativen und objekthaften Rauminterventionen reicht die Spanne der Auswahl.
Auch hier liegt der Fokus auf neu eingegangenen Werken, beispielsweise von Friedemann Hahn, Gerold Miller, Harald F. Müller oder Jürgen Palmtag, von Werner Pokorny, Daniel Hausig oder Hans Schüle. Den Blick des Besuchers bannt insbesondere Eckhard Froeschlins beklemmender Zyklus großformatiger Pastell-Montagen wie etwa das Diptychon „Kreuzlegende“ von 1991.
Mit einer konzentrierten Auswahl an Porträt-Gemälden von Thomas Kitzinger kann dessen vom Lockdown stark betroffene Ausstellung vom Jahresanfang noch einmal exemplarisch erlebt werden. Das Agieren mit Licht, Bewegung und Zeit bestimmt die sinnlich ansprechenden Werke „12 vertikal“ (2012) von Miriam Prantl und „Wetterleuchten“ von Daniel Hausig. Wie auch die übrigen Werke lassen sie das Kunstmuseum Singen zu einem besonderen Erlebnisort werden.
„Sehen was ist – von den Künstlern auf der Höri bis heute“: Bis 19. September im Kunstmuseum Singen, Di-Fr 14-18 Uhr, Sa-So 11-17 Uhr. Weitere Informationen unter: www.kunstmuseum-singen.de