Die Verleihung des Hans-Thoma-Preises in Bernau – dem Geburtsort des Künstlers Thoma (1839-1924) im Südschwarzwald – ist kein gewöhnlicher Festakt. Eher hat man den Eindruck, einem Volksfest beizuwohnen, wenn alle zwei Jahre ein Künstler, der aus Baden-Württemberg stammt oder sonst einen wesentlichen Bezug zum Südwesten hat, mit dem Preis ausgezeichnet wird. Nicht nur die Mitglieder zweier üppig besetzter Blaskapellen, die für die musikalische Umrahmung sorgen, tragen zu dieser Gelegenheit Tracht.
War es die letzte Thoma-Preis-Verleihung?
Allerdings könnte die nun erfolgte Veranstaltung mit Folklore-Faktor, die Verleihung des Preises an Marcel van Eeden, die letzte in dieser Form, an diesem Ort und unter diesem Namen gewesen sein. Denn sie hatte eine, man möchte sagen: pikante Note. Man könnte auch von einem Politikum sprechen.
Marcel van Eeden, der den Preis am Sonntag aus den Händen von Arne Braun, dem Staatssekretär im Stuttgarter Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst entgegennahm, ist gebürtiger Niederländer und 1965 in Den Haag geboren. 2014 wurde er als Professor an die Kunstakademie Karlsruhe berufen, vor zwei Jahren zu ihrem Rektor gewählt.
Dass das Preisgeld für die diesjährige Ehrung von 10.000 auf 25.000 Euro heraufgesetzt wurde, unterstreicht die Bedeutung des Staatspreises des Landes Baden-Württemberg für Kunst und erhöht noch sein Gewicht.
Parteigänger einer völkisch-nationalen Strömung
Für seine mit dem Preis verbundene Ausstellung im Hans-Thoma-Kunstmuseum in Bernau hatte der Künstler die hübsche Idee, die Stationen einer Reise Thomas nach Amsterdam zur großen Rembrandt-Ausstellung 1898 aufzusuchen und im „Nachreisen“ einen Bezug des Preises zu seinem Herkunftsland herzustellen.

Doch im Zuge seiner Beschäftigung mit Leben und Werk Hans Thomas stieß van Eeden auf kompromittierende Äußerungen Thomas, die den Heimatmaler als Parteigänger einer breiten antisemitischen und völkisch-nationalen Strömung im deutschen Kaiserreich ausweisen.
So gibt er sich in seinem Brief an Julius Langbehn als Bewunderer des Kulturphilosophen Paul Lagarde zu erkennen „Lagarde ist wundervoll und ich verstehe ihn. Aber ich werde jedesmal traurig wenn ich ihn lese“, einer prägenden Figur des modernen Antisemitismus in Deutschland. Julius Langbehn wiederum war ein führender völkisch-nationaler Kunsttheoretiker und Antisemiten seiner Zeit. Zu ihm pflegte Thoma eine enge Verbindung.
Van Eeden stellte sich der Herausforderung, Vertuschen oder bloßes Ignorieren kamen für ihn nicht in Frage.
Die Kunsthistoriker waren nachlässig
Freilich: Ein Künstler erhält eine hoch dotierte Auszeichnung – und beschädigt gleichsam zum Dank dafür das Andenken des Namensgebers des Preises? Man könnte es so sehen – und läge dennoch falsch. Denn beschädigt geht der Name Hans Thoma aus der diesjährigen Preisverleihung nicht infolge einer böswilligen Attacke, sondern aufgrund von Thomas zweifelhaften Kontakten und einer aus heutiger Sicht bedenklichen politischen Haltung hervor. Zu beklagen ist überdies die Nachlässigkeit kunstgeschichtlicher Forschung, die Thomas weltanschauliche Verirrung nicht ernst nahm.
Ausdrücklich bedankte sich deshalb Arne Braun bei dem Künstler für die neue Perspektive, die seine künstlerischen Nachforschungen, in der Ausstellung dokumentiert, auf Thoma eröffnen, und sprach von der „Notwendigkeit einer breiten Debatte“ über die neuen Erkenntnisse – freilich nicht ohne auf die „identitätsstiftende Funktion“ von Kultur zu verweisen und seiner Sympathie für die in Bernau gelebte „Symbiose von Hoch- und Breitenkultur“ Ausdruck zu verleihen.
Aufruf, den Preis umzubenennen
Reinhard Spieler wiederum, der Laudator van Eedens, stellte die Frage, weshalb ein so sehr auf Innovation und Fortschritt setzendes Land wie Baden-Württemberg seine höchste Auszeichnung für Kunst nach einem Künstler benennt, dessen Werk eher rückwärtsgewandt war und an dem die neuen Strömungen der Kunst seiner Zeit vorbeigingen. Spieler: „Der Ball liegt in unserem Interpretations- und Handlungsfeld“ – ein kaum verhohlener Aufruf dazu, den Preis umzubenennen.
„Geistesverwandtschaft mit dem Tausendjährigen Reich“
Van Eedens Ausstellung mit dem Titel „1898“ sitzt keineswegs über Thoma zu Gericht. Sie stellt aber Fragen – und Thomas Haltung in weltanschaulichen Fragen zur Diskussion. Van Eeden gilt als Pionier und führender Vertreter einer noch jungen Kunstrichtung, die unter der Bezeichnung „Künstlerische Forschung“ segelt. Seine Techniken sind Fotografie und vor allem Zeichnung.
In einer Serie von dunkeltonigen Gummidrucken – einer frühen Form der Schwarzweiß-Fotografie – liefert er Bilder der Stationen von Thomas Amsterdam-Reise. Unter die Bildtafeln mischen sich immer Tafeln mit Textpassagen und Zitaten aus Briefwechseln Thomas oder Werken befreundeter Schriftsteller, wie des antisemitischen Kulturtheoretikers Julius Langbehn. Karl Hofer, Thomas ehemaliger Schüler, konstatierte 1953: „Rückschauend sehen wir die Geistesverwandtschaft mit dem Tausendjährigen Reich.“
Harte Worte, doch das letzte Wort über Hans Thoma ist gewiss noch nicht gesprochen. Die von Reinhard Spieler angeregte Debatte hat ja, dank Marcel van Eedens Ausstellung, erst begonnen. Es bedarf weiterer Forschung und intensiver Diskussionen, die ein hoffentlich differenziertes Bild als Resultat haben.
Hans-Thoma-Kunstmuseum, Rathausstr. 18, Bernau. Bis 15. Oktober, Mi bis Fr 10.30-12 Uhr, 14-17 Uhr, Sa, So 11.30-17 Uhr.