Wer sich mit politischer Berichterstattung beschäftigt, mag sich bei der Frage erwischen, worum es wirklich geht. Und zwar egal, ob die Wirrungen der Bundespolitik im Fokus stehen oder die Wahl in den USA. Scheinbar lautet die Antwort: Es geht um Macht. Das Erringen und Verlieren, das Ausüben und Erleiden, die direkte und indirekte Wirkung von Macht. Das klingt logisch, schließlich reden wir ja über Politik. Worum sonst sollte es dabei gehen? Doch möglicherweise sind die Akteure im politischen Schauspiel unscharf in ihrem Blick auf Macht – und wir (das vermeintliche Publikum) ebenso.

Das Wort „Macht“ meinte ursprünglich „können, fähig sein, machen“. Der Fokus lag auf dem schöpferischen Potenzial des Mächtigen: Ein Mensch, der in der Lage ist, etwas zu tun. Gemeint sind Wirkungs- und Gestaltungsmacht.

„Ich habe Macht, also darf ich gestalten“

Spannend wird es, wenn diese Macht um sich herum Strukturen ausbildet – in Systemen wie Familien, Unternehmen oder eben Staaten. Diese Strukturen sorgen dafür, dass die Macht an bestimmten Positionen verankert wird, und damit scheinbar automatisch denjenigen zufällt, die diese Positionen einnehmen. Das könnte man „Hoheitsmacht“ nennen – und auf den Gedanken kommen, dass sie das genaue Gegenteil von Gestaltungsmacht ist. Es gilt nicht mehr „Ich kann etwas gestalten, und das macht mich machtvoll“, sondern „Ich habe Macht, also darf ich gestalten“.

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Und das ist verlockend: Einmal an der Macht, definiere ich, was für alle anderen sein soll. Mein persönlicher Wirklichkeits-Anspruch überschreibt aufgrund meiner Hoheit den der „da unten“. An diesem Punkt kommt die hässliche Rückseite der Macht auf die Bühne: die Gewalt.

Doch zum Glück ist es damit nicht getan. Die Welt wäre dann ja voll von Diktaturen. Tatsächlich ist es so, dass Macht, die zu Gewalt greift, in diesem Moment bereits verloren hat. Sie mag sich noch erstaunlich lang an den Thron klammern – aber sie hat das Wichtigste verloren: die Akzeptanz derjenigen, die in ihrem Einfluss stehen. Denn Macht ist eine wechselseitige Kraft: Es braucht Menschen, die sie sich nehmen, und andere, die das zulassen.

Macht als Selbstzweck

Im politischen System heutzutage scheint vergessen zu sein, dass Macht vor allem dadurch machtvoll wird, dass sie gestaltet – und zwar zum Wohle derer, die sie legitimieren. In Demokratien sind das die Wähler. Doch statt den Fokus auf ebendiese Gestaltung und ihre Wirkung zu legen, erschöpft sich politisches Handeln zu oft im Rangeln um die Positionen auf der politisch-medialen Bühne.

Fragen wie „Wer nimmt sich welche Hoheit oder macht sie wem streitig?“ rangieren vor Fragen wie: „Wer ist am Besten in der Lage, sinnhafte Veränderung zu gestalten?“ In diesem Gerangel scheint Macht nur noch ein Selbstzweck zu sein: Man will sie, um sie zu haben, nicht, um sie gut zu nutzen.

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Es ist kein Wunder, dass Wähler dann ebenso aus ihrer Rolle fallen – und nicht mehr wählen gehen oder protestwählen. Das ist ein bequemer Weg, um der Macht die Legitimation zu versagen, der allerdings für Demokratien fatal ist. Denn auch wenn die gestaltende Macht von der Bühne geht, bleibt ihre hässliche Rückseite, die Gewalt, oben. Zeit also, dass den Politikern, die Macht als Selbstzweck verstehen den Rücken kehren und anfangen, uns ernst zu nehmen. Jede und jeder von uns hat es in der Hand, nur die Macht zu legitimieren, die Sinn stiften und gestalten will.