Das Gespenst der Vergangenheit geht um: Immer öfter ist zu hören, die aktuellen politischen, aber auch kulturellen Entwicklungen ähnelten beängstigend jenen im Vorfeld der beiden Weltkriege. Und jedes Mal geht die Warnung vor einer Wiederholung der Geschichte mit der Frage einher, was genau wir eigentlich aus ihr gelernt haben könnten.

Was tun, wenn die lange Zeit so abstrakt anmutende Formel „Nie wieder“ plötzlich ganz konkret wird? Wie handeln, um den eigenen Kindern und Enkeln einmal guten Gewissens in die Augen schauen zu können?

Ausgerechnet die bequemste Antwort liegt vielen Menschen bemerkenswert schwer im Magen. Sie lautet: nicht mitmachen!

Rückzug als Herausforderung

Man möchte annehmen, es sollte wenig selbstverständlicher und leichter zu bewältigen sein als dies. Genau darin besteht für viele Nachkommen der Täter und Mitläufer von einst ja auch die größte Irritation. Warum der Großvater sich damals nicht wenigstens einfach raushalten konnte, zurückziehen in ein biedermeierliches „Geht-mich-nichts-an“. Wenn es ihm schon für heroischen Widerstand am nötigen Mut mangelte.

Am Umgang mit der vielleicht gefährlichsten Propagandamaschine unserer Zeit – Elon Musks Plattform X – lässt sich nun studieren, warum so etwas Einfaches und Naheliegendes wie Untätigkeit schon zu viel verlangt sein kann. Während nämlich Fußballvereine, Gewerkschaften und – endlich! – auch Universitäten sich aus diesem üblen Milieu verabschieden, melden sich wieder jene zu Wort, die daraus schon immer ihr einträgliches Geschäft zu beziehen wussten: selbsternannte Social-Media-Experten.

Gefährliche Propagandamaschine: Musks Kontoprofil auf der Plattform „X“.
Gefährliche Propagandamaschine: Musks Kontoprofil auf der Plattform „X“. | Bild: Algi Febri Sugita

Ja, räumen sie zerknirscht ein, mit diesen Plattformen, das sei alles natürlich gerade nicht so schön. Aber sie zu verlassen, sei die genau falsche Antwort! Im Gegenteil: Gerade jetzt müsse es gelten, Hass und Hetze die Stirn zu bieten, dagegenzuhalten, umso entschiedener, umso lauter mitzudiskutieren!

Es ist die alte Leier, mit der verkappte Lobbyisten großer Internet-Konzerne seit Jahrzehnten die Öffentlichkeit zum Narren halten. Auf X stimmt Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier in dieses Lied ein, jener Politiker, der schon als Wirtschaftsminister mit frappierenden Fehleinschätzungen glänzte und noch bis kurz vor Putins Angriffskrieg Russland als verlässlichen Energiepartner anpries. Wer es „mit Trump und Co aufnehmen“ wolle, schreibt er jetzt, könne es „nur hier und nirgendwo sonst“ tun. Als hätten „Trump und Co“ nicht längst die Kontrolle über diese Plattform, ihren Algorithmus und damit das sich daraus ergebende Meinungsbild erlangt.

Muss falsch sein, was logisch klingt?

Um es mit Oligarchen aufzunehmen, mag es viele geeignete Orte geben. Einer aber ist es ganz sicher nicht: nämlich eine Plattform, deren einziges Ziel darin besteht, deren Interessen durchzusetzen. Und es ist alles andere als ermutigend, wenn auch der aktuelle Wirtschaftsminister das nicht erkennt. „Orte wie diesen den Schreihälsen und Populisten zu überlassen, ist leicht“, erklärte Robert Habeck zu seiner Rückkehr auf Musks Plattform. „Aber es sich leicht zu machen, kann nicht die Lösung sein.“ Nein? Warum nicht? Muss etwas falsch sein, nur weil es leicht, logisch, naheliegend klingt?

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Sogenannte soziale Medien spielen mit unserer Eitelkeit, mit dem Bedürfnis nach Beachtung, Bestätigung, Anerkennung. Die meisten ahnen zwar, dass die erlangte Bedeutung nur eine scheinbare ist. Vom Ruhm auf X bleibt im analogen Leben meist herzlich wenig übrig. Und doch, von einer schönen Illusion Abschied nehmen, das fällt schwer. Man möchte wohl einfach an sie glauben, an diese Mär vom mutigen Kampf gegen „Trump und Co“ auf dem heimischen Sofa.

Wer aber verhindern will, dass Leute wie Elon Musk unsere Demokratie kapern, sollte mit dem denkbar einfachsten Schritt beginnen. Ob komplett abmelden oder bloß aufhören, ob groß ankündigen oder still und leise gehen – Haltungsnoten sind nicht entscheidend. Nur auf das eine kommt es an: nicht mitmachen!