Aus ihrer Vorfreude auf diesen Abend hatte sie gar nicht erst versucht, einen Hehl zu machen. Alice Weidel zählte die Tage. Auf der Online-Plattform X startete sie schon am Montag eine Art Countdown. „Nur noch 3 Tage!“, freute sich die AfD-Chefin. Und wer wollte es ihr verübeln? Elon Musk, der Mann, der ihr hier die größtmögliche aller Bühnen bot, ist schließlich nicht irgendwer.

Musk hat es geschafft, zu einer der prägenden Figuren dieser Zeit zu werden – im Guten, wie im Schlechten. In ihm vereinen sich enorme finanzielle Kraft und politischer Einfluss, und nicht wenige Beobachter meinen, auch ein gutes Stück Wahnsinn in dem 53-Jährigen zu erkennen. Lange Zeit schwirrten Politiker jeglicher Couleur um den Milliardär, er galt als Macher, wagemutiger Unternehmer. Inzwischen sind es vor allem Rechtspopulisten, die Musk um sich schart. So wie an diesem Donnerstagabend, natürlich auf seiner Plattform X.
Wer sich ein Spektakel erwartet hat, wird enttäuscht
250 Millionen Follower hat er auf dort, Alice Weidel immerhin rund 720.000 und damit mehr als Bundeskanzler Olaf Scholz. Mehr als 200.000 Menschen schalten zwischen 19 und 20 Uhr zwischenzeitlich ein, als die beiden miteinander sprechen. Doch wer sich ein Spektakel erwartet hat, wird enttäuscht.

„Es ist eine komplett neue Situation für mich, dass ich nicht ständig unterbrochen werde und negativ dargestellt“, sagt Weidel und kichert. Lästereien, persönliche Befindlichkeiten, Allgemeinplätze. 25.000 Papiere habe er ausfüllen müssen, als er seine Giga-Factory vor den Toren Berlins in Angriff genommen habe, erzählt Musk. Junge Menschen würden in den deutschen Schulen nichts mehr anderes lernen als „Gender Studies“, schimpft Weidel. „Wirklich?“, fragt Musk. „Ich dachte immer, Deutschland habe ein gutes Bildungssystem.“ Der Staat erlaube es Flüchtlingen, ihren Pass wegzuwerfen. In den USA sei alles noch viel schlimmer. Nur die AfD könne die Juden in Deutschland schützen – dass gerade der Zentralrat der Juden einen Aufstieg der Partei fürchtet, sagt sie nicht. Widersprüche werden geflissentlich ausgeblendet. Man tauscht Freundlichkeiten aus, will das Gegenüber möglichst komfortabel durch das Gespräch führen.
Musk und Weidel mit Wahlparolen und Hitler-Vergleich
„Nur die AfD kann Deutschland retten“, wiederholt Musk seine Parole, die er bereits seit Wochen öffentlich vertritt. Wenn man unglücklich mit der Situation in seinem Land sei, müsse man für Veränderung („change“) stimmen, sagt er. „Sonst wird es in Deutschland noch viel, viel schlimmer werden.“ – „Yes“, sagt Weidel und liefert ihm zum Dank eine ganze Liste an Stichworten, die seine Weltanschauung widerspiegeln. Flüge zum Mars, überbordende Bürokratie, Donald Trump als Friedenshoffnung für die Ukraine. Ausgerechnet Adolf Hitler dient Weidel als Zeuge für die Ungerechtigkeit, die ihrer Partei widerfahre. Hitler habe die Meinungsfreiheit eingeschränkt, so wie es die etablierten Parteien mit den sozialen Medien machen wollten.
Persönlich begegnet sind sich Musk und Weidel bislang noch nie, auch der Talk kommt ohne Video aus, es bleibt beim Gespräch. Die Idee für die Online-Veranstaltung war von einer Nutzerin gekommen, einer AfD-nahen Influencerin namens Naomi Seibt. Und auch wenn die X-Debatte irgendwann abdriftet in eine Musk-Show, in ein „glaubst-du-eigentlich-an-Gott“-Philosophieren, muss das Urteil wohl lauten: Es läuft für die AfD.
Bei der jüngsten Sonntagsfrage gewann die Rechtsaußenpartei im Vergleich zur letzten Umfrage zwei Prozentpunkte hinzu und liegt aktuell bei 21 Prozent – damit wäre sie in Deutschland zweitstärkste politische Kraft. Das Beispiel Österreich hat in dieser Woche zudem eindrucksvoll gezeigt, dass politische Brandmauern selten für die Ewigkeit gebaut werden.
Musk will die Welt nach seinen Vorstellungen formen
Die AfD ist längst nicht Musks einziges politisches Projekt jenseits seiner Wahlheimat USA. Der Soziologe Oliver Nachtwey sagt über den Tech-Milliardär: „Er wird gerade zum ersten wirklich globalen Oligarchen.“ Oder anders ausgedrückt: Der reichste Mensch des Planeten bastelt daran, die Welt nach seinen Vorstellungen zu formen, indem er Politiker belohnt, die seinen Vorstellungen entsprechen – und die ihm nützlich sein können.
Schon länger unterstützt Musk etwa die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. In Großbritannien beleidigt Musk den Premier Keir Starmer als Tyrannen und lobt Rechtspopulisten.
Bundestagsverwaltung verfolgt das X-Gespräch genau
Und die AfD, wie könnte sie profitieren? Zumindest Geldgeschenke muss sie dankend ablehnen. Deutsche Parteien dürfen keine Spenden annehmen, die aus Ländern außerhalb der EU fließen und mehr als 1000 Euro umfassen. Gerade die Rechtspartei kennt das Thema nur zu gut. Alice Weidel musste wegen einer Spendenaffäre fast 400.000 Euro Bußgeld zahlen, Geldgeber aus der Schweiz hatten Spenden auf das Geschäftskonto des baden-württembergischen Kreisverbands von Weidel überwiesen.

Die Bundestagsverwaltung jedenfalls hat das X-Gespräch genau verfolgt. Auf die Frage, ob es sich schon bei der Aktion um eine illegale Parteispende handeln könnte, antwortete ein Sprecher: „Die Bundestagsverwaltung führt im vorliegenden Fall derzeit eine Sachverhaltsklärung durch.“