Kann ein Erbe zu groß ausfallen? Marlene Engelhorn sagt ja. Und meint damit sich selbst. Die Studentin gehört zur Dynastie der BASF-Gründerfamilie Engelhorn und hat bereits mit 30 Jahren einen zweistelligen Millionenbetrag aus dem Familienbesitz erhalten. Abgesehen von den damit verbundenen Annehmlichkeiten bereitet ihr das Geld Unbehagen.
Sie würde gerne mehr Steuern zahlen und kritisiert, dass der deutsche Staat große Erbschaften und Vermögen zu wenig heranzieht und damit soziale Ungleichheit festzurrt. Auch fürchtet sie um die Demokratie, denn Geld steht in ihren Augen für Macht: „Wenn die Macht so groß ist, dass sie demokratische Prozesse beeinflussen oder aushebeln kann, ist sie zu regulieren“, sagt Engelhorn im Gespräch mit dem SÜDKURIER. „Das sind dann Tendenzen, die in Richtung Adel gehen.“
Marlene Engelhorn will über Geld reden
Gemeinsam mit anderen Vermögenden hat sie vor zwei Jahren die Initiative Taxmenow (Besteuert mich jetzt) gegründet. Das Ziel: die Erbschaftsteuergesetzgebung so zu ändern, dass sehr große Vermögen stärker besteuert werden. Rund 60 Mitglieder – Menschen mit sehr viel Geld – und eine größere Zahl von Unterstützern mit weniger Geld zählt die Initiative inzwischen.
Seit ihre Petition aus dem Jahr 2021 durch die Medien ging, ist Marlene Engelhorn eine begehrte Interviewpartnerin. Ihr Buch „Geld“ verkauft sich. Den Spruch „Über Geld redet man nicht, Geld hat man“ hält sie für Quatsch. Sie will genau darüber reden – auch wenn sie in ihrem Buch schildert, wie schwer es ihr gefallen ist, sich gegenüber Freunden als reich zu outen.
Die 31-Jährige widerspricht nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch dem Klischee der reichen Erbin. Sie liebt Auftritte in Jeans und Pulli, das Gespräch mit dem SÜDKURIER findet per Video vor einer Wand mit Plakaten und Büchern statt. Mehrfach hat sie erklärt, 90 Prozent ihres Vermögens abgeben zu wollen.

Ein Erbe verändert das Leben der Erben einschneidend. Emotional, weil ein enges Familienmitglied gestorben ist. In vielen Fällen aber auch finanziell. 2022 haben die deutschen Finanzverwaltungen laut Statistischem Bundesamt 101,4 Milliarden Euro an Erbschaften und Schenkungen steuerlich veranlagt. Eingenommen hat der Staat dadurch 11,4 Milliarden Euro.
Doch vererbt wird weit mehr, als in der Statistik auftaucht. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt die Summe auf jährlich 400 Milliarden Euro. Denn vererbtes Geld, das unter den Freibeträgen liegt, wird in der Statistik der Finanzämter erst gar nicht ausgewiesen.
Erbschaftsteuer
Marlene Engelhorn gehört zu denen, die richtig viel Geld geerbt haben. Traudl Engelhorn-Vechiatto, ihre Großmutter, stand in der Forbes-Liste der reichsten Menschen auf Platz 687. Ihrer Enkelin hat sie einen zweistelligen Millionenbetrag hinterlassen. Wann wird aus viel Vermögen zu viel Vermögen? Marlene Engelhorn will keine Zahl nennen, zu kompliziert erscheint ihr die Definition. Sie versucht es mit einer eher sozialwissenschaftlichen Erklärung: „Wenn man merkt, dass es im Umfeld gar keine Vergleichsoptionen gibt im finanziellen Bereich. Wer ein Multimillionenvermögen erbt, darf sich nicht als Mittelschicht definieren.“
Später im Gespräch schiebt sie ihre persönliche Definition nach: „Für mich ist das reichste Prozent überreich bei der momentanen Verteilung von Vermögen.“ Es folgt noch eine politisch-polemische Definition: „Wenn Sie es schaffen, neben ihren Nettoausgaben im Jahr trotzdem noch eine horrende Parteispende zu machen.“
Viel Geld bringt großen Einfluss
Überreichtum ist ein Begriff, den schon Platon verwendete und den aktuell der österreichische Ökonom Martin Schürz wieder in die politische Debatte geworfen hat. Überreichtum nennt er das Phänomen, scheinbar unendlich viel Geld zu besitzen. „Unbesteuerte Erbschaften sichern das Vermögen der Reichen über Generationen“, sagt er. Da stelle sich die Machtfrage.
Einfluss nehmen Reiche auf vielfache Weise. „Das beginnt bei großen Parteispenden“, sagt Engelhorn. „Wenn sie eine Parteispende im sechsstelligen Bereich machen, bekommen sie sehr schnell alle wichtigen Telefonnummern in der Partei und können plötzlich auf einer ganz anderen Ebene mit Menschen in einflussreichen Positionen sprechen.“ Viel Geld ermögliche hohe Investitionen in Medien, Industrie, Lebensmittelhandel. Das erlaube es, Einfluss auf das Leben des Einzelnen und der Gesellschaft zu nehmen.
Engelhorn plädiert für eine andere Steuerpolitik, um die Macht des Geldes zu begrenzen. „Vermögens- und Erbschaftssteuern wieder einführen“, fordert sie für Österreich, wo sie lebt. Die Rückkehr der Vermögensteuer für Deutschland steht ebenfalls auf der Agenda von Taxmenow. Vorstellen kann man sich dort auch eine Vermögensabgabe für Millionen- und Milliardenvermögen, falls staatliche Ausgaben sonst nicht finanziert werden könnten.
„Es kann nicht sein, dass wir ein demokratisches Land sind und Arbeit so hoch besteuern und Vermögen nicht“, sagt Engelhorn, die auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Die Krux von Taxmenow ist, dass die Organisation keine konkreten Reformvorschläge macht. Engelhorn kontert routiniert: „Wäre ja noch schöner, wenn die Reichen sagen würden, wie sie es gerne hätten.“
Arbeit allein macht nicht reich
Nicht nur Taxmenow, auch andere Organisationen wie Finanzwende oder das Netzwerk Steuergerechtigkeit kritisieren, dass sich Vermögen in Deutschland ungleich ansammelt, und fordern höhere Steuern für Vermögende. Immer häufiger entscheidet in Großstädten nicht das Erwerbseinkommen, sondern die Höhe einer Erbschaft darüber, ob sich jemand eine Wohnung leisten kann.
Um reich zu werden, ist ein hohes Einkommen das eine. Viel einfacher geht es mit Vermögen, das von einer Generation zur nächsten wandert. „In Deutschland besitzen die reichsten 10 Prozent in der Vermögensverteilung 67,3 Prozent aller Vermögen, das reichste Prozent besitzt 35 Prozent, während die ärmsten 50 Prozent insgesamt nur 1,2 Prozent aller Vermögen besitzen“, schreibt Taxmenow unter Verweis auf Daten von DIW und Bundesbank aus 2022.
„Durch reine Arbeit reich zu werden, ist ein Mythos. Das funktioniert nicht“, sagt Engelhorn. Auch DIW-Chef Marcel Fratzscher kratzt am Image der Selfmade-Reichen. „Über die Hälfte aller Vermögen in Deutschland wurden durch Schenkung und Erbschaft erzielt, nicht durch eigener Hände Arbeit“, schreibt er.

Um in Deutschland Erbschaftsteuer zu bezahlen, müsse man schon sehr ungeschickt sein, sagt Engelhorn. „Die Ausnahmen sind eine Katastrophe.“ Das gilt bereits im privaten Bereich, viel stärker aber bei Betriebsvermögen. Führen die Erben ein Unternehmen weiter, müssen sie bei einem Wert von weniger als 90 Millionen Euro in der Regel für 85 Prozent gar keine Steuern zahlen.
Engelhorn verweist auf eine kuriose Ausnahmeregelung: Eine Person erbt ein Mietshaus mit 30 Wohnungen und zahlt dafür Erbschaftsteuer. Eine andere erbt 300 Wohnungen, gilt damit als Gewerbetreibender und zahlt keine Erbschaftsteuer. Im Subventionsbericht der Bundesregierung stehen Vergünstigungen für Erwerber von Betrieben und Anteilen an Kapitalgesellschaften bei Erbschaften oder Schenkungen mit 4,5 Milliarden Euro auf Platz eins der Steuersubventionen.
Steuern oder Spenden?
Aber können Reiche nicht einfach spenden? Legendär ist der Frankfurter Alt-Linke und Bankierssohn Tom Königs, der 1973 sein Millionenvermögen dem Vietcong und chilenischen Widerstandskämpfern zukommen ließ. Engelhorn hat Bedenken: „Die private Gemeinwohlvision irgendwelcher überreicher Leute ist nicht zwangsläufig sinnvoll und gut für die gesamte Gesellschaft.“
Für die Aktivistin gibt es aber noch einen weiteren Grund, lieber auf demokratisch festgesetzte Regeln als auf Wohlwollen zu setzen. „Das, was reiche Menschen gerne spenden, ist in der Regel viel geringer, als das, was anfallen würde, wenn es eine Steuer gäbe.“