In Deutschland als einem der höchst entwickelten Länder der Welt scheitern mehr als sechs Millionen Menschen daran, längere Texte zu verstehen. Rechnet man diejenigen dazu, die auffällig häufig Worte falsch schreiben, haben 10,5 Millionen Erwachsene erhebliche Probleme mit Verstehen, Lesen und Schreiben. Männer leiden daran häufiger als Frauen.

Nur wenige belegen einen Kurs

Doch nur wenige packen ihre Lese- und Rechtschreibschwäche konsequent an. Wie aus der vom Bundesbildungsministerium geförderten Studie Leo 2018 hervorgeht, haben lediglich 0,7 Prozent der Betroffenen einen Kurs belegt, um gezielt Lesen und Schreiben zu üben. „Sie sehen keinen Nutzen in der Weiterbildung, weil sie auch so durch das Leben kommen“, sagte die Verfasserin der Studie Professorin Anke Grotlüschen von der Uni Hamburg bei deren Vorstellung in Berlin. Für die Untersuchung wurden 7200 Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Jahren befragt.

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Das schwere Defizit tritt dabei bei älteren Jahrgängen verstärkt auf. Aus der Gruppe der Geburtsjahre 1953 bis 1962 stammen 21,6 Prozent der über 6 Millionen Gering-Alphabetisierten. Bei den Jahrgängen 1963 bis 1972 sind es 25 Prozent. Aus der jüngsten Gruppe der Geburtsjahre 1993 bis 2000 kommen hingegen nur 12 Prozent.

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Früher war nicht alles besser

Die Studie widerspricht damit dem weit verbreiteten Vorurteil, dass die Schule früher Rechtschreibung und Lesen besser vermittelt habe. Die Vorgängeruntersuchung aus dem Jahr 2011 war zu dem Ergebnis gekommen, dass seinerzeit hierzulande 7,5 Millionen Menschen nur eine geringe Lese- und Schreibfähigkeiten haben – also etwa 1,3 Millionen mehr als heutzutage.

Eine Frau schreibt in der Volkshochschule Rostock bei einem Analphabeten-Grundkurs.
Eine Frau schreibt in der Volkshochschule Rostock bei einem Analphabeten-Grundkurs. | Bild: Bernd Wüstneck/dpa

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) erklärte den Rückgang damit, dass heute viel mehr Kinder die Schule länger besuchen und beispielsweise nicht nach acht Jahren abgehen. „Das ist ein Erfolg unseres Bildungssystems“, meinte die CDU-Politikerin.

Das Problem mit Schrift und Verstehen tritt gehäuft bei Zuwanderern auf, die zu Hause nicht Deutsch als Muttersprache gelernt haben. Sie stehen für die Hälfte der Menschen, die kaum auf Deutsch Lesen und Schreiben können. Ihr Anteil ist seit der Vorgängerstudie nicht gesunken. „In den nächsten Jahren müssen wir noch stärker Menschen mit Migrationshintergrund beachten“, mahnte Karliczek. Sie will deshalb bei der Erarbeitung der nationalen Weiterbildungsstrategie verankern, dass noch mehr Kurse angeboten werden.

Trotz ihrer schweren Beeinträchtigung schlagen sie sich durch das Berufsleben. Beinahe zwei Drittel haben eine Arbeit. Dazu trägt auch der lange Aufschwung bei, der für einen hohen Personalbedarf bei den Unternehmen sorgt. Weil sie wegen ihres Mankos oft keinen oder niedrige Schulabschlüsse haben, ist die Sorge vor Arbeitslosigkeit höher als in der Gesamtbevölkerung.