Ankara – Mevlüt Cavusoglu konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Zuerst einmal müssten sich die Deutschen untereinander einig werden, sagte der türkische Außenminister am Samstag. Er antwortete damit auf die Frage eines deutschen Journalisten nach seiner Meinung zum umstrittenen Vorschlag von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, in Nordsyrien eine internationale Schutzzone einzurichten.
Er wolle sich natürlich keineswegs in die deutsche Innenpolitik einmischen, schob Cavusoglu schnell nach. Aber realistisch sei der Vorschlag nicht. Damit lag der türkische Minister ganz auf der Linie seines deutschen Kollegen Heiko Maas, mit dem er gerade knapp zwei Stunden lang gesprochen hatte und mit dem er sich jetzt den Fragen der Presse stellte. Maas putzte den Vorschlag seiner Berliner Kabinettskollegin in Ankara sogar als Beitrag einer rein „theoretischen Debatte“ herunter.
Türkei hat Fakten geschaffen
Nur vordergründig ging es bei der Pressekonferenz der beiden Minister in der türkischen Hauptstadt um die Lage in Syrien, wo die Türkei mit ihrem Einmarsch gegen die Kurdenmiliz YPG und anschließenden Vereinbarungen mit den USA und Russland neue Fakten geschaffen hat.
Maas weiß, dass er die Türkei nicht zum Truppenrückzug bewegen kann. Er verzichtete bei seinem Auftritt mit Cavusoglu auf seinen Vorwurf, die Türkei habe mit der Intervention das Völkerrecht gebrochen. Stattdessen nutzte er seine kurzfristig anberaumte Visite, um sich von Kramp-Karrenbauer in Berlin abzusetzen.
Maas distanziert sich von AKK
Maas forderte Lösungen für die Zivilbevölkerung und verlangte mit Blick auf die am Mittwoch beginnenden Verfassungsgespräche für Syrien neue Anstöße für eine politische Lösung des mehr als acht Jahre alten Krieges. AKK‘s Schutzzone sei kaum ein Thema gewesen, ließ er die Journalisten wissen. Denn mit den wirklichen Problemen habe die Anregung nichts zu tun.
Cavusoglu bekundete Verständnis für die deutsche Debatte – so etwas sei in einer Demokratie nur normal, sagte er. Dass der türkische Minister so gelassen registriert, wie sich Maas und Kramp-Karrenbauer beim Thema Syrien von innenpolitischen Motiven leiten lassen, liegt vielleicht zum Teil daran, dass seine eigene Regierung es nicht anders hält.
Während Cavusoglu und Maas in Ankara zusammensaßen, liefert der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Rede in Istanbul ein neues Beispiel dafür. In einer Rede bekräftigte Erdogan seine Drohung, syrische Flüchtlinge massenweise nach Europa durchzuwinken, wenn die Europäer seinen Plan zur Umsiedlung von bis zu zwei Millionen Syrer aus der Türkei nicht unterstützen sollten. „Dann öffnen wir die Grenzen, und dann sollen sie nach Europa marschieren“, sagte Erdogan über die 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei.
Schutzzone unter türkischer Kontrolle
In Nordsyrien will Erdogan eine Schutzzone einrichten, die – anders als von Kramp-Karrenbauer vorgeschlagen – unter alleiniger Kontrolle der Türkei stehen soll. Die Europäer sollen zwar mitmachen, aber lediglich als Zahlmeister. Auf mehr als 20 Milliarden Euro schätzt die Regierung in Ankara die Kosten für die Errichtung neuer Städte und Dörfer für die Rückkehrer.
Niemand werde zur Rückkehr gezwungen, betont die Türkei, doch Kritiker befürchten eine Zwangsumsiedlung arabischer Syrer in vorwiegend kurdischen Gebieten. Erdogan selbst verstärkte diese Befürchtungen, indem er in einem Interview sagte, manche Regionen Nordsyriens seien besser für Araber als für Kurden geeignet, weil es dort nur Wüste gebe,
Erdogan braucht einen Erfolg
Erdogan braucht einen durchschlagenden Erfolg in Syrien, weil ihm die Wähler von der Fahne gehen. Im Frühjahr verlor er bei den Kommunalwahlen wichtige Städte wie Istanbul an die Opposition. Laut einer neuen Umfrage kommen Erdogans Regierungspartei AKP und ihre nationalistische Partnerin MHP inzwischen wieder gemeinsam auf mehr als 50 Prozent Zustimmung – offenbar profitieren sie von der Welle des Patriotismus, die vom Syrien-Einmarsch angestoßen wurde.
Doch Wellen ebben auch wieder ab. Erdogan will möglichst rasch damit beginnen, die bei vielen Türken unbeliebten Syrer nach Hause zu schicken. Gleichzeitig muss er darauf achten, dass der Einmarsch in Syrien nicht doch noch zu einem Misserfolg wird. Das Verteidigungsministerium meldete am Sonntag den Tod eines weiteren türkischen Soldaten in Nordsyrien. Auch Erdogan hat in Syrien die eigene Innenpolitik fest im Blick.