Es passiert nicht alle Sonntage, dass Wortbeiträge in einer vollen katholischen Kirche rauschenden Beifall ernten. In den vergangenen Tagen war dies gleich zwei Mal der Fall. Am einen Sonntag lässt ein Pfarrer eine Erklärung verlesen, wonach er im Frühjahr der Vater einer Tochter sein wird. Eine Woche später fordert ein Prediger die Zulassung der Frauen zum Priesteramt. In beiden Fällen brandet spontan Applaus auf. Beide Gottesdienste wurden in Konstanz gehalten, doch hätten sie sich vermutlich in jeder katholischen Gemeinde ähnlich abspielen können. Die Zeiten des Verschweigens und Leugnens sind vorbei. Ins Biblische gewendet heißt das: Wer unschuldig unter euch ist, der werfe den ersten Stein.
Die Szenen zeigen, wie sich vieles im katholischen Milieu geändert hat. Der hohe Sockel, auf dem Würdenträger bisher standen, senkt sich deutlich ab. Auch Gläubige wollen eher auf Augenhöhe verkehren anstatt sich vor Hebebühnen den Hals verrenken.
Ein doppelter Vertrauensbruch hat diese Entwicklung beschleunigt. Vor einigen Jahren erschütterte der Limburger Bischof viele Christen mit dem Baufieber um seine Residenz. Franz-Peter Tebartz-van Elst hatte sich in der Epoche vertan. Er projektierte und bestellte wie ein barocker Kirchenfürst, der nebenbei den Bischofsfonds leert. Seine besondere Sorgfalt galt der Präsentation einer privaten Sammlung von Reliquien. Diesem Schalten und Walten setzte der Vatikan ein Ende. Entschuldigt hat sich der Geistliche nie, bevor er nach Rom abgezogen wurde.
Erzbischof in der Kritik
Massiver noch unterhöhlte der Missbrauchsskandal das kirchliche Ansehen. In ruppigen Schüben wird die katholische Kirche davon eingeholt. Zunehmend kommen die Namen der Täter aufs Tapet, es werden Ross und Reiter benannt. Der Freiburger Erzbischof scheut sich nicht, die Fehler seines Vorgängers zu benennen: In seiner Zeit als Personalreferent sorgte Robert Zollitsch für die geräuschlose Versetzung von problematischen Pfarrern. Stephan Burger kritisiert ihn dafür offen. Was vor wenigen Jahren noch als undenkbar galt, hält in den Ordinariaten schleichend Einzug: Auch ein Bischof kann kritisiert werden, seine Amtsführung ist nicht mehr der Welt entzogen, weil sein Schreibtisch in Weihrauch gehüllt ist.
Wer den roten Faden von klerikalem Versagen sucht, landet immer wieder beim Zölibat. Diese Bürde betrifft nicht nur sexuelle Enthaltsamkeit. Es geht auch um die Einsamkeit von Seelsorgern, die öffentlich von Gemeinschaft schwärmen, vom Zutrauen, von der Familie als sinnvollem Lebensvollzug.
So wird verständlich, dass auch tiefgläubige Männer immer weniger bereit sind, sich diesem Ideal zu unterwerfen. Viele wollen heiraten und eine Familie bilden. Mancher gute Kandidat geht der Kirche an dieser moralischen Steilwand verloren. Ein einziges Kriterium hält ihn davon ab, selbst Seelsorger zu werden.
Argumente wie ein Totenhemd
Das Bollwerk der römischen Kurie bröckelt. Die Argumente für den Zölibat sind durchscheinend wie ein sizilianisches Totenhemd. Es finden sich in den Evangelien keine Hinweise auf ehelose Prediger oder Missionare. Jesus stellte diese Entscheidung frei. Zum kirchlichen Gesetz wurde das Heiratsverbot erst im Mittelalter, und zwar aus finanziellen Gründen. Zu viele Priester dachten damals erst an Frau und Kinder. Sie versorgten sich ungeniert aus kirchlichen Pfründen. Das Eheverbot war eine harte und wirksame Maßnahme dagegen. Heute gäbe es andere Wege, um einen Pfarrer zu versorgen ohne den Kirchenbesitz zu schröpfen – und die leeren Pfarrhäuser zu füllen.
Menschliche Gesetze kann man ändern. Zwar denkt Papst Franziskus in diesem Punkt durchaus konservativ, er hält am Zölibat fest. Doch tut sich ein anderes Fenster auf: Der Papst räumt seinen Bischöfen größere Spielräume als bisher ein. Er ermutigt sie Dinge zu tun, die er in Rom nicht tun kann. Warum nützen die 27 Bischöfe zwischen Freiburg und Dresden diesen Freibrief nicht? Das Kirchenrecht gewährt ihnen eine herausragende Stellung, die sonst bei jeder Gelegenheit betont wird. Doch schöpfen sie ihre Rechte nicht aus.
Auch wenn sich Einzelne immer wieder mit Denkanstößen aus der Deckung trauen, so sind sie in ihrer Gesamtheit doch mutlos. Mehr getriebene Herde als Hirten. Dabei kann ihnen nichts passieren: Ein von Rom bestätigter und geweihter Bischof ist so schnell nicht antastbar; wenn er sich mit seinen Kollegen zusammenschließt und zum Beispiel verdiente Männer (viriprobati) zum Priesteramt zulässt, würde das seine Wirkung nicht verfehlen. Allein, sie trauen sich nicht. Dabei wäre ihnen der Beifall des Kirchenvolkes, das es auch noch gibt, sicher. Siehe oben.