Herr Lambsdorff, der Iran hat einen Vergeltungsschlag geübt und zwei US-Militärbasen im Irak abgeschossen. Wie erwartbar war diese Reaktion von Teheran?

Nach der Lage der Dinge konnte der Iran die Tötung Soleimanis nicht unbeantwortet lassen: Die Schläge waren ja direkt angekündigt worden von Ali Khamenei. Insofern war das auch so zu erwarten.

Iran hat mit dem Schlag die Tötung des Generals Soleimani gerächt. Dass die USA auf den Angriff auf ihre Botschaft in Bagdad reagieren mussten, war absehbar. Aber rechtfertigt das den Militärschlag per Drohne gegen einen der ranghöchsten Generäle?

Man muss sich vor Augen führen, dass die USA 2019 auf mehrere Provokationen nicht reagiert haben: Angriffe auf Öltanker in der Straße von Hormus, auf eine Raffinerie in Saudi-Arabien, der Abschuss einer Drohne, der Anschlag auf eine US-Militärbasis im Irak. Diese Provokationen hat Trump unbeantwortet gelassen und damit aktiv deeskaliert. Aber der Angriff auf die US-Botschaft zuletzt war ein schwerer Fehler des Iran. Das Trauma der monatelangen Botschaftsbesetzung in Teheran 1979 mit vielen Geiseln sitzt nach wie vor tief in Washington.

Dreht sich die Gewaltspirale nun weiter? Oder können die USA über den Abschuss „hinwegsehen“?

Ich glaube, die Amerikaner haben eine Chance zur Beruhigung der Lage. Trump befindet sich im Wahljahr in einer schwierigen Situation: Er hat versprochen, keine neuen Kriege zu führen. Gleichzeitig ist der Vergeltungsschlag Irans so ausgefallen, dass er in seiner militärischen Bedeutung überschaubar bleibt. Darin liegt nun die Möglichkeit, etwas für die Entspannung der Situation zu tun. Etwa indem man auf einen Gegenschlag verzichtet. Dafür braucht es aber diplomatische Begleitung.

Woran denken Sie da?

Deutschland muss eine Sondersitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen einberufen. Es ist unverständlich, dass Außenminister Heiko Maas ein Instrument, das uns als Mitglied des Sicherheitsrats zur Verfügung steht, nicht nutzt. Stattdessen findet die Kommunikation auf militärischer Ebene statt. Dabei sollte die Diplomatie auf allen Kanälen stattfinden. Auch mit den Ländern, die von der Krise am meisten betroffen sind.

US-Präsident Donald Trump reagierte für seine Verhältnisse fast schon zurückhaltend über Twitter. Er sprach davon, dass „alles okay“ sei und die USA erst einmal die Schäden und Opfer analysieren würden, bevor er reagieren würde. Wie interpretieren Sie diese leisen Töne?

Sie führen ihn dorthin zurück, wo er eigentlich herkommt: zu seinen Versprechungen aus dem letztem Wahlkampf. Er hat sich gegen militärische Abenteuer ausgesprochen, gegen eine Beteiligung Amerikas an weiteren Kriegen. Seinen Anhängern hat er das sogar versprochen. Dass er dennoch den Angriff auf Soleimani befohlen hat, war innenpolitisch schwierig. Trumps Äußerungen auf Twitter zeigen jetzt, dass er derzeit kein Interesse daran hat, unkontrolliert an der Eskalationsspirale zu drehen. Allerdings muss man hinzufügen, dass bei Trump nie ganz klar ist, ob wirklich eine Strategie verfolgt wird und, dass es auch impulsive Veränderungen der Politik geben kann.

Mittendrin ist der Irak. Droht das Land nun zwischen den Fronten aufgerieben zu werden?

Die Stabilität des Irak ist wirklich wichtig. Dazu genügt ein Blick auf die Landkarte. Da ist im Norden die Türkei, die mit Argusaugen auf das Kurdengebiet im Nordirak schaut. Im Osten liegt der Iran, der seinen Einfluss auf den Irak über die Schiiten massiv ausbauen wollte, im Westen liegt die sunnitische Großmacht Saudi-Arabien. Den Kollaps des Iraks gilt es zu verhindern, andernfalls versinkt die Region im Krieg. Der Irak ist also nicht irgendein Land, er liegt im Dreieck zwischen drei großen regionalen Playern.

Kann die Mission der Bundeswehr dort mit der Ausbildung der Sicherheitskräfte mittelfristig überhaupt fortgesetzt werden?

Ich hielte es für falsch, wie es etwa die Grünen oder die Linken verlangen, den Irak jetzt einfach im Stich zu lassen. Unser Vorschlag ist es, von Jordanien aus weiter die irakischen Sicherheitskräfte auszubilden. Damit ist die Sicherheit unserer Soldaten garantiert, gleichzeitig nimmt die Bundeswehr ihr Mandat ernst und steht zu ihrem Auftrag.

Sie waren lange im EU-Parlament, bevor Sie nach Berlin wechselten. Was erwarten Sie sich vom Sondertreffen der EU-Außenminister am Freitag? Kann die EU in diesem Fall überhaupt etwas ausrichten?

Ich glaube, dass der Einfluss der EU relativ beschränkt ist, wenn es um eine konkrete militärische Situation wie diese geht. Die EU ist eben keine Militärmacht. Dennoch ist es gut, zu erörtern, was sich Frankreich, Großbritannien und Deutschland vorstellen, welche Ideen es gibt in Europa zur Beruhigung der Lage. Da würde ich dann auch konkrete Vorschläge erwarten, vermute aber, dass es zu mehr als einer vagen Abschlusserklärung nicht reichen wird.

Die EU hat dem ökonomischen Druck der USA nachgegeben, als Iran den Rückhalt der EU gebraucht hätte, um noch an das Atomabkommen zu glauben – europäische Firmen zogen sich zurück. War das der falsche Schritt oder war das Abkommen ohnehin gescheitert, in dem Moment, als Trump es aufkündigte?

Das Interessante am Atomabkommen sind die Kontrollmechanismen, die darin enthalten sind. Die Kontrolleure konnten die Anlagen in Iran inspizieren, das gab es vorher noch nie. Nach der Kündigung durch die USA haben die anderen Vertragsparteien erklärt, einen Mechanismus zu schaffen, um Geschäfte mit nicht kriegswichtigen Produkten mit dem Iran weiterzuführen. Die Bundesregierung hat immer wieder versprochen, dass dieser Mechanismus aktiv werden würde. Das aber ist viel zu spät geschehen und für die Unternehmen war es in der Zwischenzeit gar nicht mehr möglich, irgendwelche Geschäfte durchzuführen. Die Banken hätten sofort die Finanzierung aufgekündigt. Hier hat die Bundesregierung eindeutig nicht genug getan.

Kann das Atomabkommen aus Ihrer Sicht überhaupt noch gerettet werden?

Den Versuch ist es wert. Auch wenn es im Moment schwierig ist und ich nicht sicher bin, ob es gelingen kann. Es gibt ja drei große Problemkomplexe mit dem Iran: das Atomprogramm, den Raketenbau und seine aggressive Außen- und Regionalpolitik, deren Architekt Kassem Soleimani war. Überall sieht es derzeit schwierig aus und deshalb wäre es leichtfertig, das Abkommen endgültig aufzugeben, denn vielleicht ergibt sich in Zukunft doch die Gelegenheit, dass man wieder an seine Bestimmungen anknüpfen kann.

Fragen: Mirjam Moll