Hat US-Präsident Donald Trump der iranischen Regierung in die Hände gespielt, indem er General Qasem Soleimani durch eine Drohne töten ließ? Die Gedenkfeierlichkeiten bis hin zum Trauerzug, wo lautstark nach Rache gerufen worden sein soll, sprechen ja für sich…
Trump hat der iranischen Führung eine Gelegenheit gegeben, einen Kriegsgrund zu liefern. Sollte der Iran nun zurückschlagen, wäre es für Trump ein Leichtes, den Kongress und die US-Bevölkerung für Militärschläge gegen den Iran zu gewinnen. Schon nach der Aufkündigung des Atomabkommens deutete vieles auf Krieg hin, der jedoch auch innenpolitisch gerechtfertigt werden muss.

Das heißt, Sie haben schon länger mit einer Eskalation gerechnet?
Ich hielt es seit der Aufkündigung des Atomabkommens für sehr wahrscheinlich, dass es zu einer militärischen Auseinandersetzung kommen würde. Nachdem Trump das Abkommen einseitig aufkündigte, gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder die USA und Israel laufen Gefahr, dass der Iran die Atombombe entwickelt oder sie versuchen dies mit Präventivschlägen zu verhindern.
Warum ist es bisher nicht zu einer militärischen Auseinandersetzung gekommen?
Trump hat sich bisher militärisch zurückgehalten, „lediglich“ maximalen ökonomischen Druck ausgeübt, um die iranische Führung in die Bredouille zu bringen. Iran hat mit verschiedenen Gegenprovokationen zu zeigen versucht, dass das Regime nicht ganz hilflos ist. Die letzte Provokation ist zu weit gegangen für die Amerikaner.
Heißt das, die Iraner haben den Krieg provoziert?
Sie haben die Möglichkeiten und Strategie der USA falsch eingeschätzt. Sie gingen davon aus, dass die USA sich zurückziehen und aus innenpolitischen Gründen militärisch gehemmt sein würden. Die iranische Führung dachte wohl, die Amerikaner seien kriegsmüde, dass Trump sich vor den US-Wahlen nicht auf eine solche Konfrontation einlassen würde.
Dieses Kalkül ist ja nicht aufgegangen...
Die USA haben nichts gemacht, als die Ölanlagen der Saudis beschädigt wurden, die eigentlich von den USA geschützt werden sollten, sie haben nichts unternommen, als ihre Drohne abgeschossen wurde. Als nun die Botschaft getroffen wurde, mussten sie ein Zeichen setzen, um nicht als hilflos dazustehen.
War die Reaktion in dieser Härte notwendig?
Es kommt in den Vereinigten Staaten nicht gut an, in solchen Krisen Schwäche zu zeigen – gerade, wenn es um den Iran geht. Die iranische Geiselkrise, die damals den US-Präsidenten Jimmy Carter die Wahl kostete, ist vielen Amerikanern noch im Gedächtnis. Die USA wurden damals regelrecht vorgeführt, Amerikaner wurden gefangen genommen, die US-Regierung reagierte hilflos. Auch deshalb musste Trump nun Stärke zeigen.
Hat Trump damit eine kriegerische Eskalation nicht unausweichlich gemacht? Was wäre denn die Alternative gewesen?
Man hätte auch ein anderes Ziel wählen und den Iranern einen Ausweg lassen können. Doch mit dem Drohnenabschuss des Generals haben die USA dem Iran regelrecht den Fehdehandschuh hingeworfen. Indem die USA jemanden auf höchster Ebene töteten, haben sie dem Iran nur zwei Möglichkeiten gelassen: Entweder die iranische Führung muss nun zurückgeschlagen, oder sie wird ihr Gesicht verlieren, nicht zuletzt auch vor der eigenen Bevölkerung.

Profitiert die geschwächte iranische Regierung nicht innenpolitisch von der jetzigen Situation? Immerhin kann sie sich nun als Opfer der USA stilisieren, das Volk leichter hinter sich versammeln…
Das glaube ich nicht. Die iranische Führung hat wohl eher darauf spekuliert, die USA dank der vermeintlichen Stärke Irans ganz aus der Region vertreiben zu können. Die USA haben sich ja schon vielerorts aus dem Nahen und Mittleren Osten zurückgezogen und einen eher schmalen militärischen Fußabdruck hinterlassen.
Ist eine Eskalation noch vermeidbar?
Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass sich die Gewaltspirale weiterdreht.
War es nicht auch in Trumps Interesse, die drohende Eskalation nur noch zu schüren? Immerhin überschattet das Amtsenthebungsverfahren die erhoffte Wiederwahl…
Ja richtig. Die Krise kann Trump sogar bei der Wiederwahl helfen. Die Region ist auch aus wahltaktischen Gründen sehr wichtig. Hier geht es um Wählerschichten, nicht zuletzt auch um Evangelikale, denen Israel aufgrund ihrer Heilserwartung am Herzen liegt. Der Iran droht ja offen damit, Israel von der Landkarte tilgen zu wollen. Trump hat sich seit seiner Amtsübernahme umso mehr bemüht, neben christlich-rechten auch jüdische Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen. Das sind wichtige Wählergruppen, die man nicht vergessen sollte.
Kann sich Trump damit nicht auch als starker Oberbefehlshaber profilieren?
Trumps zusätzliches Kalkül könnte sein, dass man sich in Krisenzeiten stärker um den Oberbefehlshaber schart: der patriotische Sammlungseffekt des sogenannten „Rally around the flag“ (deutsch: um die Flagge scharen) kann für Trump hilfreich sein, um das Amtsenthebungsverfahren abzuwenden und die Wiederwahl zu gewinnen.
Der Ursprung des Konflikts zwischen Iran und den USA gerät ob der aktuellen Entwicklung fast schon in den Hintergrund. Geht es überhaupt noch um das Atomabkommen?
Das Atomabkommen ist ohnehin schon null und nichtig, seit Trump es aufgekündigt hat. Für Iran hat es noch Sinn ergeben, solange die Regierung glaubte, dass die Europäer zumindest wirtschaftlich weiter auf Kooperation mit dem Land setzen würden. Aber auch das war nicht mehr der Fall, seitdem die europäischen Firmen auf Druck der USA ihre Geschäfte mit dem Iran preisgeben mussten, um nicht den viel größeren US-Markt zu riskieren. Die USA haben enormen geoökonomischen Druck ausgeübt, dem die Europäer nach wie vor wenig dagegenhalten können.
Welche Folgen hat der Konflikt für die gesamte Region?
Dafür bin ich kein Experte. Das zu beurteilen, überlasse ich den Regionalexperten.