Die Vorwürfe gegen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wiegen schwer. Die großzügige Honorierung der Bürgertests in öffentlichen kommunalen Testzentren habe Tür und Tor für Betrug geöffnet. Fälle in Bayern und Nordrhein-Westfalen wurden bekannt. Inzwischen ermitteln mehrere Staatsanwaltschaften wegen des Verdachts, dass Testcenter bei den Behörden eine viel höhere Zahl von Tests angeben haben, als tatsächlich vorgenommen wurden.
Den Betrug möglich macht der Datenschutz: Es wird nicht erfasst, wer getestet wurde. Personenbezogene Daten dürfen nicht dauerhaft gespeichert werden. Vorgaben zur Erfassung der durchgeführten Tests gibt es ebenfalls nicht. Wir haben in der Region nachgefragt. Wie ist es hier um die Kontrollen bestellt? Gibt es auch hier Betrug?
Landkreise nicht zuständig
Die Antwort auf diese Fragen ist schwierig. Denn die Tests werden nicht von den Landkreisen organisiert und zumindest von deren Abrechnung bekommt man in den Landratsämtern nichts mit. Wer eine Teststation betreiben möchte, muss sie zwar beim Gesundheitsamt anmelden. Eine Zulassung braucht es dafür aber nicht. Die Teststationen müssen lediglich einmal wöchentlich die Zahl der Tests übermitteln, sowie die Zahl der positiven Tests.
„Die Aufgabe des Gesundheitsamtes ist es dann, die Hygiene und das korrekte Durchführen der Tests vor Ort zu überwachen“, erklärt der Sprecher des Kreises Sigmaringen, Tobias Kolbeck auf Anfrage.
Auch die Sprecherin des Schwarzwald-Baar-Kreises, Heike Frank, sagt dem SÜDKURIER: „Wir haben mit der Organisation der Testzentren nichts zu tun“, der Kreis übernehme lediglich die Ankündigungen der Öffnungszeiten der Testzentren.

Der Sprecher des Bodenseekreises, Robert Schwarz, sagt, eine Statistik der Tests sei derzeit noch nicht möglich. Im Einzelfall zu kontrollieren, ob ein Test stattgefunden habe oder nicht, sei ebenfalls nicht möglich. Zudem gebe es bei der Zahl der Tests „sehr viel Dynamik“, so dass es schwierig sei, einen Überblick zu geben.
Marlene Pellhammer, Sprecherin des Kreises Konstanz, sagt dem SÜDKURIER, im Kreis werden knapp 100 Bürgertestzentren betrieben. Diese müssten nachweislich „durch fachkundige Personen mit einer medizinischen Ausbildung oder geschultes Personal“ gemacht werden.
Verdachtsfall im Kreis Waldshut
Susanna Heim, Sprecherin vom Kreis Waldshut, sagt, eine genaue Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen Anbietern sei schwierig, weil die Bürgertestzentren vom Land als Leistungserbringer beauftragt werden. Insgesamt werden demnach 47 Testzentren betrieben. „Wenn es Anhaltspunkte gibt oder uns Unstimmigkeiten gemeldet werden, gehen wir dem nach. Doch das allein schon ist schwierig. Wir müssen dann vor Ort nachfragen, wie die Tests und die Abrechnung erfolgt sind.“
Tatsächlich gebe es in einem konkreten Fall „derzeit den Verdacht, dass dort gegen die Testverordnung und die Allgemeinverfügung des Land Baden-Württemberg verstoßen wurde“. Demnach gebe es sowohl bei der Durchführung der Tests als auch bei der Abrechnung Unstimmigkeiten. Heim ergänzt: „Diesem Verdacht gehen wir derzeit gemeinsam mit der Ortpolizeibehörde und der Kassenärztlichen Vereinigung nach.“
Der Sprecher der KV, Kai Sonntag, will davon nichts wissen. Zu dem Vorfall sei ihm nichts bekannt, sagt er auf Nachfrage.
Um welchen Anbieter es sich genau handelt, will auch Heim nicht sagen, nur so viel: „Es handelt sich um einen privaten Anbieter, der nicht nur im Landkreis Waldshut Tests durchführt. Die Unregelmäßigkeiten beziehen sich auf unsachgemäß durchgeführte Tests.“ Ob noch weiteres Fehlverhalten, etwa mit Blick auf falsche Abrechnungen vorliege, müsse erst noch geprüft und könne noch nicht bestätigt werden, präzisiert Heim später.

Abgerechnet werden die Tests über die Kassenärztliche Vereinigung, bezahlt werden sie aber vom Bundesamt für Soziale Sicherung. „Das waren im März etwa 2,1 Millionen Tests, im April knapp 3,7 Millionen Tests“, sagt der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg dem SÜDKURIER, Kai Sonntag, auf Anfrage.
Dabei werden aber nicht nur die sogenannten Bürgertests erfasst, sondern auch Tests in Pflegeheimen. Nicht enthalten sind dagegen die Tests der Kassenärzte. Diese werden über die normale Honorarabrechnung pro Quartal abgerechnet.
Größere Ketten involviert
Insgesamt seien etwa 6800 registrierte Anbieter in Baden-Württemberg aktiv. Größere Testanbieter wie dm gebe es natürlich, erklärt Sonntag auf Nachfrage. Eine Liste, wer im Südwesten Testzentren betreibt, liegt der Kassenärztlichen Vereinigung aber nicht vor. Die Landkreise verweisen unter anderem auf die Kommunen, Drogerien, Apotheken und mobile Testbusse. Auch seien Kooperationen von Gemeinden mit dem Rotem Kreuz, Zahnarztpraxen, Firmen und sonstigen privaten Anbietern möglich.
Zu den privaten Betreibern gehören unter anderem Unternehmen wie Ecocare, die in der Pandemie schnell den Markt der öffentlichen Tests entdeckten. Das Unternehmen betreibt nicht nur an mehreren großen deutschen Flughäfen Testzentren, darunter auch Stuttgart, sondern steht auch hinter den Testzentren von Lidl und Kaufland, auch in der Region – unter anderem in Rottweil, Ravensburg, Stockach, Sigmaringen oder Villingen-Schwenningen, aber auch in Lörrach und Freiburg.
Nachweise? Nicht nötig
Welche Aufwendungen die Testzentren konkret hatten, lassen sich kaum nachvollziehen. Denn Nachweise für die abgerechneten Tests werden nicht vorgelegt. „Die Anbieter müssen ihre Unterlagen aber vier Jahre aufbewahren, so dass eine Kontrolle im Nachhinein möglich wäre“, ergänzt Sonntag. Vorgaben, wie die Zahlen der ausgeführten Tests in den Zentren erfasst werden müssen, gibt es nicht.
Die Anbieter erhalten seinen Angaben zufolge zwölf Euro pro Test, „damit sind alle organisatorischen Kosten abgedeckt“, sagt Sonntag. Dazu kommen bis zu sechs Euro für die Beschaffungskosten. Abgerechnet werden können aber nur die tatsächlichen Beschaffungskosten, präzisiert Sonntag. Somit lässt sich der Bund jeden Test bis zu 18 Euro testen.
Ob die Honorierung pro Test, der nur wenige Minuten in Anspruch nimmt und im Einkauf inzwischen um die drei Euro kostet, gerechtfertigt ist, will Sonntag nicht beantworten. „Das ist Aufgabe des Bundes, dazu möchten wir uns nicht äußern.“
„Schwarze Schafe gibt es überall“
Marco d‘Arca, der Leiter des Konstanzer Testzentrums, zeigt sich empört über die schwarzen Schafe in seiner Branche, die mit dem gefälschten Zahlen in ihre eigene Tasche wirtschaften. „Für uns ist das doof, weil das Vertrauen in der Gesellschaft verloren geht“, sagt Marco d‘Arca. „Ich denke, die meisten sind pflichtbewusst, aber man hat halt auch schwarze Schafe, wie in jeder Branche.“ Für ihn sei es nicht nachvollziehbar, dass manche bei den Testzahlen betrügen würden.

Das Testzentrum am Bodenseeforum in Konstanz, bei dem derzeit zwischen 1200 und 2000 Menschen am Tag auf Corona getestet werden, wird von der Kineo Medical GmbH und der Topteam GmbH betrieben. Kineo Medical, die in vielen deutschen Städten Testzentren betreibt, zeichnet dabei für den medizinischen Bereich verantwortlich, die Topteam GmbH wiederum für Logistik, Personalwesen und Durchführung.
Bisher haben kaum Kontrollen stattgefunden
Testzentrumsleiter Marco d‘Arca denkt, dass es in Zukunft zu verschärften Kontrollen kommen dürfte. Bisher seien diese, zumindest beim Testzentrum am Bodenseeforum, kaum oder gar nicht durchgeführt worden. Angst vor diesen Kontrollen scheint d‘Arca aber nicht zu haben. „Das A und O ist die elektronische Erfassung, sowie Verschlüsselung und das alles datenschutzkonform läuft“, so Marco d‘Arca. Und da sieht man sich gut aufgestellt.

Im Testzentrum werde alles elektronisch erfasst und jede Woche an das Gesundheitsamt übermittelt, sagt d‘Arca. Man könne jederzeit die verschlüsselten Daten, beispielsweise vom Eröffnungstag des Testzentrums, dem 25. März, heranziehen: Wie viele Tests gebucht wurden, wie viele letztendlich durchgeführt wurden und wie viele positiv waren. Man könne also alles belegen, sagt d‘Arca und tippt mit dem Finger vielsagend auf die Zahlen auf dem PC-Bildschirm im Back-Office des Zentrums. Die Zahlen dabei zu fälschen, sei kaum möglich, und wenn, dann würde das bei einer Kontrolle entdeckt werden, meint er.
Betrug sei möglich
Er ist sich jedoch sicher, dass es bei anderen Testangeboten, die anders organisiert seien, möglich sei, die Zahlen zu fälschen oder beispielsweise die Zahl der gebuchten Tests, anstatt der wirklich vorgenommenen Tests anzugeben.
Am Bodenseeforum erschienen ungefähr fünf Prozent der Menschen, die einen Termin gebucht hätten, nicht zum Termin. Erfasst werden sie deshalb gar nicht im elektronischen System, sondern nur die Tests, die auch letztendlich vorgenommen werden. Diese werden ausgewertet und verschlüsselt gespeichert. Positive Fälle – vergangene Woche gab es davon einen oder zwei, gibt Teamleiter Laurin Schmidt an – werden umgehend ans Gesundheitsamt übermittelt. Nach einer Woche würden die kompletten Zahlen laut d‘Arca an das Gesundheitsamt und die Stadtverwaltung Konstanz weitergeleitet.

Am Ende jedes Monats wiederum werden außerdem die Zahlen des Testzentrums mit denen der Partner, also Kineo Medical und der Topteam GmbH verglichen und dann an die Kassenärztliche Vereinigung zur Abrechnung übermittelt. Diese zusätzliche Kontrolle gebe noch einmal Sicherheit. „Wir haben alle Interesse daran, dass die Zahlen richtig sind“, sagt Marco d‘Arca.