Die Frage scheint unpassend, sie ausgerechnet am internationalen Frauentag zu stellen insbesondere: Welche Rolle spielt eigentlich das Aussehen bei Politikerinnen? Schönheit, Eleganz, Kleidungsstil – wenn man doch eigentlich besser über harte Fakten sprechen sollte, wie die noch immer nicht gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, über den gerechten Anteil an der Macht, über die Frage, wer sich um Kind und Kegel kümmert, und über die Rolle von Frauen in Spitzenjobs.

Bei Männern hört man die Frage nie

„Die Frage nach dem Äußeren ist überflüssig. Frauen sollten danach beurteilt werden, wofür sie stehen“, sagt Diana Stöcker. Der CDU-Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Lörrach ist der Ärger über die SÜDKURIER-Anfrage anzumerken. „Hören Sie bei Männern jemals die Frage nach dem Kleidungsstil?“

Tatsächlich. Und das ist auch der Grund, weshalb wir uns an dieser Stelle mal mit diesem Thema beschäftigen. Und dann natürlich lieferte Annalena Baerbock einen Anlass.

Die Außenministerin machte Anfang des Jahres mit den Ausgaben für die Schönheit Schlagzeilen. Die „Bild“-Zeitung hatte herausgefunden, dass die Grüne eine eigene Stylistin beschäftigt. Make-up-Artistin Claude Frommen ist demnach freie Mitarbeiterin und erhält vom Auswärtigen Amt eine „pauschale Vergütung von 7500 Euro/Monat“. Darin enthalten seien auch die „sehr zeitaufwendigen“ Reisen und die „zahlreichen Termine an Wochenenden und zu besonderen Tageszeiten“.

Baerbock immer top gestylt

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Wo immer die Außenministerin auftaucht, sei es bei der UN-Versammlung in New York, beim G20-Treffen in Neu-Delhi oder in der usbekischen Bergbauregion, sitzt die Frisur und der Teint strahlt. Ihre Kleider schmeicheln ihrer Figur. „Ein Profi sieht die Entwicklung der Außenministerin. Und das Volk sieht eine Frau mit Klasse und Niveau. Eine professionelle Inszenierung, die auch männlichen Politikern gut zu Gesicht stehen würde“, urteilt Fashion-Expertin Annette Weber in der „Bild“.

Ann-Veruschka Jurisch, FDP, Bundestagsabgeordnete Wahlkreis Konstanz
Ann-Veruschka Jurisch, FDP, Bundestagsabgeordnete Wahlkreis Konstanz | Bild: Laurence Chaperon

„Mir persönlich gefällt der Style unserer Außenministerin, weil er gut zu ihr passt“, sagt Ann-Veruschka Jurisch, FDP-Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis Konstanz. „Ich denke aber, dass Fragen der Kleidung und des Make-ups, auch wenn sie in der Öffentlichkeit zu sehen sind, Privatsache sind und daher auch privat gezahlt werden sollten.“

Die These: Sie hat alles richtig gemacht

Dass fürs Pudern, Schminken und Stylen der Außenministerin laut Medienberichten im vergangenen Jahr 136 500 Euro anfielen, könnte es glatt ins Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler schaffen. Sieht so feministische Außenpolitik aus, könnte man da lästern, der Kalauer bietet sich an. Und dennoch sei hier mal die These aufgestellt: Baerbock hat alles richtig gemacht!

Bild 2: Frauentag 2023: Welche Rolle spielt die Schönheit in der Politik?
Bild: Lena Lux, Denise ClauskleineBILDKUNST, FOTOSTUDIO-WEISHEITINGER, Laurence Chaperon, Scheibengruber, Matthias

Das sieht nicht nur Parteifreundin Nese Erikli so: „Zunächst einmal vertritt Annalena Baerbock als Außenministerin unsere Interessen sehr gut und macht dabei in jeder Hinsicht eine gute Figur. Und wenn sie dafür eine Stylistin beschäftigt, dann ist das vor allem ein Ausdruck großer Professionalität. Das machen viele Spitzenpolitiker so – soweit ich weiß, auch Männer“, sagt die grüne Landtagsabgeordnete aus Konstanz.

Merkel, die laufende Knopfleiste

„Wer so oft vor Kameras steht, der darf sich auch stylen lassen“, sagt Rita Schwarzelühr-Sutter. „Es ist ein gutes Signal an die Welt, dass wir eine gute und attraktive Außenministerin haben.“ Die SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Waldshut kennt die Macho-Attitüden, mit denen Frauen immer noch beurteilt werden. „Angela Merkel war die ‚laufende Knopfleiste‘ und über ihre Frisur machte man sich ständig lustig. Das hätte man bei einem Mann nie gemacht“, erinnert sich die 60-Jährige.

Rita Schwarzelühr-Sutter, SPD, Bundestagsabgeordnete Wahlkreis Waldshut
Rita Schwarzelühr-Sutter, SPD, Bundestagsabgeordnete Wahlkreis Waldshut | Bild: Scheibengruber, Matthias

Stimmt, die immer gleichen grau-schwarz-blauen Anzüge ihrer Vorgänger waren nie ein Thema, Helmut Kohl musste sich zwar wegen seiner Kopfform „Birne“ schelten lassen, die nicht immer vorteilhaft über den Schädel drapierten Haare aber interessierten nicht. Einzig bei SPD-Kanzler Gerhard Schröder war das anders, weil er mit stylischen italienischen Designer-Anzügen hervorstach. In der Regel positiv, versteht sich. Lediglich wegen des zur Schau gestellten Luxus‘ musste sich der „Genosse der Bosse“ Kritik gefallen lassen.

Schön gleich blöd

Wohingegen Frauen es durchaus noch passieren kann, dass ihnen die Schönheit zum Nachteil gereicht. „Das Stereotyp schön und blöd“ – Rita Schwarzelühr-Sutter kann sich auch daran erinnern. Genauso wie die subtile Diskriminierung, wenn sie als einzige weibliche Teilnehmerin einer Delegation für die Assistentin gehalten wurde, anstatt für die Organisatorin der Runde. „Geschenkt, darüber stehe ich“, sagt die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesinnenministerium und lacht.

Christine Lambrecht (SPD), damals noch Verteidigungsministerin, steigt in Mali aus dem Flugzeug.
Christine Lambrecht (SPD), damals noch Verteidigungsministerin, steigt in Mali aus dem Flugzeug. | Bild: Kay Nietfeld, dpa

Welche Negativ-Wirkung Kleidung bei Spitzenpolitikerinnen auch haben kann, zeigt das Beispiel Christine Lambrecht. Die ehemalige Verteidigungsministerin wurde schnell dafür kritisiert, dass sie die Dienstgrade bei der Bundeswehr angeblich nicht auswendig aufsagen konnte, aber auch für die Stöckelschuhe beim Truppenbesuch. Eigentlich eine Nebensächlichkeit, die allerdings Schlagzeilen machte und sich einprägte. Gleich lag der Verdacht nahe, diese Ministerin sei fehl am Platz.

Stöckelschuhe fehl am Platz

„Auf Frauen wird anders geschaut“, ist Lina Seitzl, SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Konstanz, überzeugt. Ihre Parteikollegin Lambrecht habe vieles vorangebracht in der Bundeswehr, eine Reform des Beschaffungswesens angestoßen und Entscheidungen bei Rüstungsprojekten gefällt.

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Diana Stöcker hält den Vergleich mit Lambrecht dagegen für nicht angemessen. „Wenn da ein Mann mit teuren, maßgeschneiderten Schuhen im Matsch rumgelaufen wäre, hätte ich auch gesagt: Das passt nicht. Das war einfach unpassendes Schuhwerk.“

Diana Stöcker, CDU, Bundestagsabgeordnete Wahlkreis Lörrach
Diana Stöcker, CDU, Bundestagsabgeordnete Wahlkreis Lörrach | Bild: FOTOSTUDIO-WEISHEITINGER

Ihrer Ansicht nach gelten da für Politikerinnen keine anderen Maßstäbe als für Männer in ähnlich hervorgehobenen Jobs. „Alle Menschen in verantwortlichen Positionen müssen ein gepflegtes Äußeres haben und angemessene Kleidung tragen“, findet die ehemalige Bürgermeisterin von Rheinfelden. Viel wichtiger als das Aussehen sei deshalb, dass sie authentisch und bürgernah seien und sich für die Menschen einsetzten.

Forscher ist der Wirkung von Attraktivität auf der Spur

Sebastian Jäckle bestätigt beides – die Bedeutung des Aussehens und das Gegenteil davon. Weil es beides gibt. Der Attraktivitätsforscher am Seminar für Wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg untersucht die Rolle von Attraktivität der Kandidaten auf das Wahlverhalten seit 2013. Allerdings geht es bei seinen Studien primär um Politiker, die nicht bekannt sind: zum Beispiel Kandidaten für die Bundestagswahl oder bei Bürgermeisterwahlen.

Auch wenn man die Wahlplakate oft nur im Vorbeifahren sehe, assoziiere man gutes Aussehen mit positiven Eigenschaften. „Wir wählen in der Regel nicht rational“, lautet eine ernüchternde Erkenntnis Jäckles. Stattdessen liefen bei der Wahlentscheidung so genannte Heuristiken im Gehirn ab, gedankliche Abkürzungen, bei denen wir zum Beispiel von jugendlichem Aussehen auf Dynamik schließen, und von der Brille auf Intelligenz.

Auf Baerbock, Merkel oder Lambrecht lässt sich das schlecht anwenden, von ihnen kennt der Wähler in der Regel mehr als das Gesicht. Dennoch stellt Jäckle fest: „Das Thema Jugendlichkeit ist wichtiger geworden, auch bei Politikern, die hohe Ämter bekleiden.“ Als internationale Beispiele, die mit Jugend und Attraktivität gesegnet sind, nennt er Sebastian Kurz (Österreich), Sanna Marin (Finnland) und Jacinda Ardern (Neuseeland).

Das Heer, ein Hort der Männlichkeit

Auch in Deutschland nähere man sich zunehmend amerikanischen Verhältnissen an, wo bis zu zehn Prozent der Wahlentscheidung an der Attraktivität der Kandidaten hingen. „Wahrgenommene Kompetenz spielt in Deutschland immer eine Rolle, in den USA wird alles überstrahlt durch Attraktivität. Wir bewegen uns langsam dahin.“

Einzige Ausnahme: Eine US-Studie zeige, dass in Jobs, die männlich konnotiert sind, attraktive Frauen nicht ernst genommen werden. Beispiel Lambrecht: „Das Verteidigungsministerium ist noch immer extrem männlich konnotiert. Wenn eine frau da optisch überhaupt nicht reinpasst, wird ihr das als mangelnde Kompetenz ausgelegt.“

Anton Hofreiter (Grüne) hat seine langen Haare zum Markenzeichen gemacht.
Anton Hofreiter (Grüne) hat seine langen Haare zum Markenzeichen gemacht. | Bild: Michael Kappeler, dpa

Trotzdem hält Jäckle es durchaus für vernünftig, Geld auszugeben für Styling, Frisur und Kleidung. Es könne aber auch genau umgekehrt sein, räumt er ein. „Es gibt Politiker, die sich diesen Zwängen gar nicht stellen und damit sehr erfolgreich sind.“

Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter sei so jemand, der gerade durch seine unmodische Frisur zur Marke geworden sei, unverkennbar. Ann-Veruschka Jurisch muss beim Thema Wiedererkennungswert an ihre Parteikollegin Marie-Agnes Strack-Zimmermann denken, die es schaffe, mit ihrem Kleidungsstil ihre Persönlichkeit zu unterstreichen.

Persönlichkeit statt Schönheit. „Das ist vielleicht sogar wichtiger“, findet Jäckle.