Traditionell lässt man neugewählten Regierungschefs 100 Tage Zeit, um sich in ihrem Amt zu beweisen. Olaf Scholz und sein Ampelkabinett haben diese Schonfrist nicht. Nach der Vereidigung warten auf den neuen Kanzler und sein rot-gelb-grünes Team Aufgaben, die keinerlei Aufschub dulden – allen voran die Corona-Krise.
Seit der Bundestagswahl ist die Bundespolitik im Kampf gegen das Virus aus dem Tritt geraten: Die alte Regierung fühlte sich nicht mehr zuständig, die neue noch nicht. Jetzt sind die Verhältnisse wieder klar. Der neue Kanzler muss liefern, und zwar sofort.
Frischer Wind – und dennoch Kontinuität?
Scholz wird daher vor allem daran gemessen werden, ob er nach 16 Jahren Merkel frischen Wind in den Politikbetrieb bringt. Das Wahlergebnis vom 26. September gibt der Politik diesen Auftrag, da haben FDP und Grüne Recht. Zugleich hat Scholz die Wahl gewonnen, weil er suggerierte, dass er nicht alles anders macht als die Vorgängerin. Das zwingt den Kanzler in einen schwierigen Spagat.
Viele Wähler wünschen sich Stabilität und Kontinuität, zugleich braucht der Industriestandort Deutschland dringend einen neuen Aufbruch. Beides lässt sich nicht ohne Weiteres unter einen Hut bringen.
Die Mühen der Ebene werden somit nicht lange auf sich warten lassen. Der Sozialdemokrat Olaf Scholz übernimmt das Kanzleramt in einer Zeit, in der die Nation von der Pandemie erschöpft ist, die Gesellschaft zerrissen und die Wirtschaftslage fragwürdig. Es sind Herausforderungen, die über Jahr und Tag hinausreichen. Scholz kann das packen, keine Frage. Aber er braucht Entschlossenheit und einen langen Atem.