Seitdem Julia Klöckner über den Bundestag herrscht, werden dort andere Saiten aufgezogen: Da gibt es neuerdings kämpferische Ansagen, inklusive Aussperr-Drohung, wegen Tragens von Pullis mit fragwürdiger Aussage. Das kann man überzogen finden, aber auch für klare Kante im Sinne der Staatsorgane halten. Mit deutlichen Worten fordert die Christdemokratin Respekt für das Parlament ein – gut und richtig in diesen Zeiten, wo die politischen Ränder wachsen.

Diese Bundestagspräsidentin ist politisch und will das auch sein – bisweilen wird das aber auch zum Problem, weil sie polarisiert, und weil es bei der Ausübung dieses Amtes nicht um ihre persönliche Meinung gehen sollte.

Keine CSD-Feier, keine Fahne

Aktuell verfügt die Bundestagsleitung, dass queere Mitarbeiter nicht mehr mit einem eigenen Wagen beim Christopher Street Day, der jährlichen Parade von Schwulen, Lesben und Transpersonen mitmachen dürfen. Auch die Regenbogenfahne soll im Juni, dem Monat der CSD-Feiern, nicht mehr vom Reichstag wehen. Begründet wird das mit dem Gebot der politischen Neutralität.

An Neutralität ist zunächst nichts auszusetzen, die Bundestagsverwaltung sollte überparteilich sein. Das bedeutet allerdings nicht, dass man sich nicht für Menschenrechte, in diesem Fall Minderheitenschutz, einsetzen sollte. Im Gegenteil, die Werte des Grundgesetzes hochzuhalten, sollte eine Selbstverständlichkeit sein für die Mitarbeiter in der Herzkammer der Demokratie.

Was ist da los? Zum einen Julia Klöckner. Zum anderen eine Entfremdung vom Sinn und Zweck des CSD.

Ursprung gerät in den Hintergrund

Fangen wir mit dem Letzteren an: Der CSD erinnert an die Schwulen-Proteste in der New Yorker Christopher Street. Homosexuelle und andere queere Minderheiten probten 1969 den Aufstand gegen Misshandlungen und Willkür der Polizei bei ihren ständigen Razzien. Vor allem Transpersonen, Dragqueens und darunter besonders Afroamerikaner hatten zu leiden. Eine überaus politische Gedenkfeier also mit durchaus ernstem Hintergrund. Aber fragen Sie mal bei einer CSD-Parade nach deren Ursprüngen...

Die Zeiten haben sich glücklicherweise geändert, heute gibt es die Ehe für alle, homosexuelle Handlungen sind nicht mehr strafbar, in weiten Teilen der Gesellschaft gibt es keine Akzeptanzprobleme. Aus den CSDs sind bunte Feiern geworden, mit sehr viel nackter Haut, mit Glitzer und Tütü, oder mit Lack und Leder werden tabuisierte sexuelle Vorlieben ausgestellt. Die bewusste Provokation ist oft noch das Politischste an den Festen des Hedonismus.

Rechter Protest formiert sich

Viele, die da mitlaufen, vielleicht sogar die Mehrheit, hat aber durchaus noch Politisches im Sinn. Denn analog zum Rechtsruck wächst gerade der Widerstand gegen die gesellschaftliche Liberalisierung der vergangenen Jahre. Der ist nicht überall gleich spürbar: In Ostdeutschland weiß man seit einiger Zeit, dass solche Veranstaltungen geschützt werden müssen.

Selbst in Baden-Württemberg, gerade erst in Pforzheim, formiert sich rechtsextremer Protest anlässlich der CSDs. Schwule, Lesben, Transpersonen fürchten, dass die erreichten Rechte nicht in Stein gemeißelt sind. Mit anderen Worten: Selten war das Erinnern an die Christopher Street so wichtig.

Hier käme eigentlich Julia Klöckner ins Spiel, gerade sie als konservative Politikerin, als Hetero-Frau, sollte sich in diesen Tagen für den Schutz von sexuellen Minderheiten stark machen. Stattdessen führt sie einen Kulturkampf gegen vermeintliche Wokeness. Will sie damit rechte Wähler von der AfD zurückholen? Diesen Ansatz gibt es in der Union jedenfalls.

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Nur weil die Linke, Grüne und Antifa aber bei den CSDs mitlaufen, ist das keine linke Veranstaltung. Es geht dabei um den Kern unserer freiheitlichen Gesellschaft – der muss beschützt werden, gerade die Parlamentspräsidentin sollte das am besten wissen. Hier wäre Julia Klöckner in ihrer professionellen Rolle gefragt, ihre Privatmeinung kann sie zuhause ausleben.