Jung und linksgrün war gestern, die Jugend rückt nach rechts. So einfach lautet die Botschaft über die jüngste Wählergruppe nach den Europa- und Kommunalwahlen Anfang Juni. Schnell ist die Rede von einer fehlgeleiteten, von Populisten beeinflussten und instrumentalisierten Jugend. Wer noch weiter gehen will, spricht gleich von einer verlorenen Generation. Ich kann es nicht mehr hören.
Die Erklärung ist natürlich angenehm, weil sie so einfach für diejenigen ist, die nicht zur Problemgruppe gehören. Zu den jungen Leuten, den Erstwählern, zu denen ich mit 28 Jahren zugegeben nicht mehr zähle. Nun schaut man empört auf die, die eine Rechtsaußen-Partei wählen. Die Diagnose scheint klar zu sein, wir haben es mit einem Rechtsruck der Jugend zu tun, wenn 16 Prozent der 16- bis 24-Jährigen ihr Kreuz bei der AfD setzen, linke Parteien dagegen abstürzen. Aber ist es wirklich eine so große Überraschung?
Die Wahrheit ist doch: Viele nehmen uns, die junge Generation, einfach nicht ernst. Es beginnt ja schon mit der Diskussion um das Wahlalter. Da wird sich laut gefragt, ob Menschen mit 16 Jahren denn schon reif genug sind, um die Entscheidung eigenständig zu treffen. Die Experten-Meinungen: Manche schon, manche eben auch nicht. So weit, so erwartbar – und eigentlich auch kein Unterschied zu allen anderen Altersgruppen.
Ob die geforderte Reife dann mit 18, 20, oder 25 Jahren plötzlich eintritt? Fraglich, aber letzten Endes auch egal, ab hier ist es wohl nicht mehr interessant. Auf uns liegt ein besonderer Fokus. Nicht nur, weil jetzt rechte Parteien deutlich stärker abgeschnitten haben. Auch schon bei der vorherigen Europawahl im Jahr 2019, als die Grünen Rekordwerte bejubeln konnten, lag die Aufmerksamkeit auf den jungen Wählern. Nur wurde da noch bewundert, wie sehr wir den Klimaschutz auf die Agenda gesetzt haben.
Die Aussage ist die gleiche
Jetzt, wo die Botschaft der jungen Generation nicht weniger deutlich ist, passt es aber doch wieder nicht. Dabei ist die Aussage im Grunde sogar die gleiche wie vor fünf Jahren. Die vielen Stimmen für die Grünen, der Wunsch nach mehr Klimaschutz, Nachhaltigkeit und einer lebenswerten Zukunft, der wurde klar interpretiert: So wie es bisher lief, sollte es nicht weitergehen.
An diesem Wunsch, dieser Forderung von uns, die noch Jahrzehnte auf diesem Planeten verbringen müssen, hat sich nichts geändert. Er äußert sich nur anders. Eben zum großen Teil als Stimmen für eine Partei wie Volt, die Lösungen verspricht, so unrealistisch sie in der Realität zunächst auch erscheinen. Und ja, auch junge Menschen können die AfD aus Protest wählen, sieh an! Ein größerer Hilferuf ist mir bis jetzt nicht untergekommen.

So darf man übrigens auch deuten, dass 28 Prozent der jüngsten Wähler einer Partei ihre Stimme geben, die in Grafiken nur unter „Andere“ zusammengefasst werden. Keine Altersgruppe hat so unterschiedlich gewählt. Denjenigen, die jetzt die Zügel in der Hand haben, trauen viele von uns eine ernsthafte Änderung – oder auch nur eine ehrliche Auseinandersetzung – bei den Themen, die unsere Zukunft prägen werden, einfach nicht mehr zu.
Auf der Suche nach den Gründen lohnt es sich, dorthin zu schauen, wo die junge Generation die meiste Zeit verbringt. Marode Schulen, zu wenige und oft zu oft überforderte Lehrkräfte, Probleme bei der Integration ausländischer Schüler, die vielleicht gar kein Deutsch sprechen. Dazu addiert man noch die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie, während der Schüler zuerst höchste Priorität genossen haben, dann aber irgendwann ins Hintertreffen geraten sind. In ihrer Freizeit sind es die sozialen Netzwerke, in denen junge Menschen ihre Zeit verbringen.
Dort ist die AfD seit Langem aktiv und spricht die jungen Wähler an. Wenn Politikerinnen und Politiker nach dieser Wahl nun anfangen, über den negativen Einfluss von sozialen Netzwerken zu sprechen – meistens ist TikTok gemeint –, ist das auch ein Eingeständnis, dass die meisten Parteien es nicht schaffen, die junge Generation zu erreichen.
Im Internet, besonders in sozialen Netzwerken, sind Kinder und Jugendliche allerlei Gefahren ausgesetzt, so die einhellige Meinung. Jugendliche würden von Rechten, Linken oder Islamisten radikalisiert, sie nehmen an lebensgefährlichen Challenges teil und sowieso lauert hinter jedem Inhalt eine potenzielle Desinformation. Die Sorgen sind berechtigt, aber sie sind vor allem eines: nicht neu. Und außerdem den jungen Menschen, die die Plattformen nutzen, völlig klar.
Nein, das war keine TikTok-Wahl!
Ja, die AfD ist stark auf TikTok, deutlich stärker als die meisten Parteien, das ist bei der Auswertung solcher Wahlen nicht zu vernachlässigen. Kein Wunder, lange Zeit war sie als einzige Partei dort aktiv. Sie haben als erste das Potenzial erkannt, haben die Plattform systematisch bespielt und sich Reichweite aufgebaut, indem sie mit ihrer Erzählform den Regeln des Algorithmus folgen.
Aber nein, das erklärt nicht ihr Ergebnis, das war keine TikTok-Wahl. Wer den direkten Zusammenhang herbeireden will, denkt entweder zu kurzsichtig oder will ablenken. Wer den Erfolg der Rechtsaußen-Partei auf der Plattform kritisiert, muss auch eingestehen, dass die übrigen Parteien sich geweigert haben, diesen Weg zu gehen. Soziale Medien zu nutzen, um junge Menschen zu erreichen, ist weder ein Geniestreich, noch ein Wissen, das exklusiv radikalen Kräften zusteht.
Viel zu spät haben die demokratischen Parteien eingesehen, dass diese Form der Kommunikation nötig ist, um den Kontakt zur Jugend nicht zu verlieren. Das ist doch schon ignorant. Wer nicht präsent ist, wird eben auch nicht gesehen. So fühlt sich das übrigens an, liebe Parteien.
Dass Wähler anfällig für populistische Botschaften sind, ist weder unbekannt noch ein reines Phänomen der Jugend. Was mich aber rasend macht: Hier wird leichtfertig einer ganzen Generation die Fähigkeit abgesprochen, Inhalte filtern zu können, sie kritisch zu hinterfragen oder zu prüfen. Wir navigieren nicht hilflos durchs Internet, sondern nutzen es souverän.
Angebote statt Empörung
So optimistisch man als junger Mensch auch ist: Die Lage ist maximal ernüchternd. Da kann es doch niemanden überraschen, dass die AfD auch bei der jungen Generation punktet, wenn Verunsicherung wegen Inflation, einer Krise am Wohnungsmarkt, und große Unzufriedenheit mit der Bundesregierung herrschen.
Das alles ist freilich kein Grund, seine Stimme einer Partei zu geben, die keine echten Lösungen anbietet, sondern nur destruktiv handelt, Diktaturen verherrlicht und Menschen aufgrund banaler Merkmale aus unserer Gesellschaft ausschließen will. Ein einzelnes Ergebnis bedeutet aber auch keinen Rechtsruck bei der jungen Generation.
Es reicht nur eben nicht mehr, daraufzusetzen, dass wir schon alle von selbst mithelfen werden, solche Akteure zu verhindern. Die jungen Wähler, die ihre Stimmen der AfD gegeben haben, sind keineswegs verloren oder unerreichbar für demokratische Botschaften. Nur die Prozente kommen eben nicht von selbst, ganz gleich, wie selbstsicher Parteien und Politiker darauf setzen.
Macht stattdessen Angebote, erklärt euer Handeln, entzaubert das populistische Geschwätz. Schaut nicht empört auf diejenigen, die jetzt rechts wählten, sondern seid euch bewusst, dass die meisten das eben nicht getan haben. Und dass ihnen die Zukunft mit Rechtspopulisten auch Angst macht. Lasst die Gräben nicht tiefer werden, indem ihr billigen Applaus für Gender-Verbote kassiert, von denen, die euch sowieso schon wählen. Zeigt uns, dass ihr die Zukunft angehen könnt, den Willen zur Veränderung habt, auch wenn es wehtut. Wir werden es sehen.