Noch einmal konnte Erzbischof Georg Gänswein am Montag im Petersdom in seine frühere Rolle schlüpfen. Neben dem aufgebahrten Leichnam von Benedikt XVI. sprach er mit Ehrengästen, die jenseits der langen Reihe von Pilgern gekommen waren, um dem einstigen Papst die letzte Ehre zu erweisen. Der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella war an diesem Morgen im Petersdom, Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni kam ebenfalls, und dann viele mehr oder weniger prominente Gesichter aus Italien und dem Vatikan.
Viele kondolierten Gänswein, mit manchen sprach er länger. Ein Foto zeigt, wie er sich mit der Regierungschefin unterhält – ganz wie in früheren Jahren, als Gänswein noch das Amt des „Präfekten des Päpstlichen Hauses“ ausübte.
Vatikanischer Protokollchef aus dem Schwarzwald
Damals war der gebürtige Schwarzwälder eine Art vatikanischer Protokollchef. Er geleitete Staatsgäste wie Präsident Barack Obama oder Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Papst. Das wichtige Amt des Haus-Präfekten hatte ihm Benedikt XVI. kurz vor seinem Rücktritt vom Papstamt verliehen und ihn zum Erzbischof befördert – wohl wissend, dass er selbst bald nicht mehr Papst sein würde.
Nach der Wahl von Papst Franziskus war Gänswein dann knapp sieben Jahre lang „Diener zweier Päpste“. Er wohnte mit dem früheren Papst in dem kleinen Kloster „Mater Ecclesiae“ in den vatikanischen Gärten, erledigte für ihn die Post und organisierte die zahlreichen Besuche dort. Doch im Hauptberuf war er weiter Präfekt des Päpstlichen Hauses und für Staatsbesuche ebenso zuständig wie für den kleinen päpstlichen „Hofstaat“.
Spannungen zwischen Gänswein und Papst Franziskus
Die Beziehung zwischen ihm und dem Papst aus Argentinien verlief nicht frei von Spannungen. Einmal lud ihn Franziskus bei einem wichtigen Termin kurzfristig aus, seither war klar, dass es knirschte. Zu einer regelrechten Zäsur kam es, als Franziskus ihn im Februar 2020 offiziell vom Amt des Präfekten „beurlaubte“, damit er sich künftig ganz dem emeritierten Papst widmen könne, dessen Gesundheitszustand damals bereits allmählich nachließ.

Vorausgegangen war ein Streit um ein Buch des konservativen Kardinals Robert Sarah zur Verteidigung des Zölibats. Zunächst hieß es, Benedikt XVI. sei ein Mitherausgeber des Buches – was der amtierende Papst offenbar nicht guthieß. Welche Rolle Gänswein spielte, ist bis heute nicht restlos geklärt.
Fest steht, dass er seit Januar 2020 nicht mehr als Haus-Präfekt im Vatikan in Erscheinung getreten ist. Die Beurlaubung wurde jedoch nie „offiziell gemacht“. Bis heute steht Gänswein im Päpstlichen Jahrbuch als Präfekt des Päpstlichen Hauses – ohne Hinweis auf seine Beurlaubung. Deshalb ist eine Rückkehr in die aktive Rolle des Präfekten keineswegs ausgeschlossen.
Wie geht es jetzt für Georg Gänswein weiter?
Mit 66 Jahren ist Gänswein jedenfalls zu jung für den erzbischöflichen Ruhestand, denn der tritt in der Regel erst mit 75 Jahren ein. Deshalb spekulieren Vaticanisti schon seit längerem darüber, ob sein nun noch einziger Dienstherr Papst Franziskus künftig noch anderes für ihn in petto hat.
Der im Vatikan gern bemühte Rückgriff auf historische Präzedenzfälle kann auch im Falle Gänsweins hilfreich sein. Angesichts der kirchenpolitischen Lage ist es zwar schwer vorstellbar, dass Franziskus ihn auf einen wichtigen Bischofsposten in der Heimat befördert – so wie es Benedikt seinerzeit mit dem Privatsekretär seines Vorgängers machte, als er Stanislaw Dziwisz im Juni 2005 zum Erzbischof von Krakau ernannte.

Kommt Gänswein vielleicht zurück nach Deutschland? In Bamberg und Paderborn werden derzeit noch Bischöfe gesucht. Wegen des bayerischen Konkordats – einem Vertrag zwischen dem Freistaat und dem Heiligen Stuhl – könnte Papst Franziskus ihn dort leichter einsetzen als in Paderborn.
Denn in dem ostwestfälischen Bistum regelt das Preußenkonkordat die Bischofsernennung anders, nämlich über eine Liste mit vorgeschlagenen Kandidaten, aus der der Papst wählen würde. Ob Gänswein in Bamberg so eine ideale Besetzung wäre, bezweifeln manche Kirchenkenner, die ihn eher als Theologe denn als Seelsorger charakterisieren.
Andere Stimmen aus dem Vatikan halten es dagegen für möglich, dass der studierte Kirchenrechtler in Rom bleiben und an der Kurie eine andere Stelle bekommen könnte. In den Augen mancher wäre das eine bessere Besetzung für den theologieaffinen Kurienerzbischof als ein Bischofsamt in Deutschland.
Leiter einer großen Wallfahrtsstätte?
Eine Stufe darunter wäre die Ernennung zum Leiter einer großen Wallfahrtsstätte, wovon es nicht nur in Bayern einige gibt. Damit würde Gänswein dann in die Fußstapfen gleich zweier päpstlicher Privatsekretäre der vergangenen Jahrzehnte treten: Der getreue Assistent von Johannes XXIII., Loris Capovilla, wurde vom Nachfolger-Papst Paul VI. zunächst zum Erzbischof von Chieti und später zum „Päpstlichen Delegaten“ für den großen italienischen Marienwallfahrtsort Loreto ernannt – und blieb dort bis 1988. Dann übernahm ein anderer ehemaliger päpstlicher Privatsekretär diese Stelle: Pasquale Macchi, der seinerseits Paul VI. gedient hatte.
Denkbar wäre auch die Entsendung Gänsweins als Apostolischer Nuntius an einen „angemessenen“ Posten – vorzugsweise in Europa oder auf dem amerikanischen Kontinent. Erfahrungen auf dem diplomatischen Parkett hat der polyglotte Kirchenjurist in seiner aktiven Zeit als Präfekt des Päpstlichen Hauses reichlich gesammelt.
Eine weitere Variante wäre eine Lehrtätigkeit als Kirchenrechtler an einer der Päpstlichen Universitäten in Rom. Rein dienstrechtlich ist Gänswein übrigens nach wie vor Priester des Erzbistums Freiburg, wo er 1984 zum Priester geweiht wurde.
Er dürfte wohl in Rom bleiben
Die Theorie, Franziskus könnte Gänswein wegen der Spannungen der Vergangenheit aus Rom loswerden wollen, teilt Benedikt-Biograf Peter Seewald nicht. „Es gab zwar Differenzen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Gänswein ist niemand, der mit seiner Meinung hinter dem Berg hält. Aber die Differenzen sind ausgeräumt.“
Der Papst müsse auch noch für die Erbfrage Benedikts eine Antwort finden, erinnern Insider im Vatikan. Direkte Nachfahren hat der gebürtige Bayer nicht. Franziskus handelt oft aus seinem Empfinden heraus. Als spontaner Mensch könnte er vielleicht deshalb auch eine spontane Entscheidung zu Gänswein treffen.
(kna/dpa)