Die letzten Vorbereitungstage auf die Australian Open verbringt Novak Djokovic gewöhnlich in einer der Fünf-Sterne-Luxusherbergen in Melbourne. Seine neueste Bleibe in der Grand-Slam-Stadt ist weniger komfortabel, das Park Hotel in Melbournes Stadtteil Carlton ist zum schmucklosen Quarantänehotel umgerüstet worden, festgehaltene Asylbewerber wohnen hier teilweise schon seit vielen Monaten.
Im Hotel isoliert
Auch Djokovic ist in diesen Tagen ein Isolierter, der sich nicht gegen Vor- und Rückhand seines Centre-Court-Gegenspielers wehren muss. Sondern einer, der mit allen möglichen juristischen Mitteln gegen die Verwehrung eines Aufenthaltsvisums und seine unmittelbare Ausweisung ankämpft und erst einmal bis zum Montag im Land bleiben darf – dann soll endgültig vor Gericht über seinen Fall entschieden werden.
Tatsächlich ist es so weit gekommen mit dem weltbesten Tennisspieler, mit dem 20-maligen Grand-Slam-Gewinner, mit dem neunmaligen Melbourne-König: Buchstäblich gefangen nach der letzten Eskapade in seinen ganz persönlichen Corona-Irrungen und -Wirrungen, verstrickt in einen erbitterten Rechtsstreit mit den australischen Behörden. Und sogar die Hauptfigur in einer Staatsaffäre zwischen Australien und seinem Heimatland Serbien, das gegen die Behandlung des Superstars protestierte, der am Mittwoch rund zehn Stunden am Flughafen wegen seines mangelhaften Visums festgesetzt war und getrennt von seinem Team verhört wurde.
Nadal findet klare Worte
Tatsächlich wird in Australien längst Tennis gespielt, auch und gerade während Djokovic sich seine bizarren Scharmützel mit allen möglichen australischen Autoritäten lieferte.
Einer seiner großen Gegenspieler, der Spanier Rafael Nadal, verbrachte beispielsweise einen recht entspannten Donnerstag in Melbourne, er siegte bei einem Vorbereitungsturnier und äußerte sich klar zum Thema: „Wenn er wollte, würde er hier ohne Probleme in Australien spielen. Er hat seine eigene Entscheidung getroffen. Jeder ist frei, seine eigene Entscheidung zu treffen, aber das hat Konsequenzen, oder? Die Welt hat schon genug gelitten. Lasst euch impfen.“
In der Affäre um den Serben sind sehr offensichtlich viele Fehler gemacht worden, keineswegs nur von der Hauptfigur. Der 34-Jährige hätte mutmaßlich nie ein Visa bekommen dürfen, denn er erfüllte ein wesentliches Kriterium für eine Ausnahmegenehmigung nicht – nämlich die doppelte Impfung auch nach einer in den letzten sechs Monaten überstandenen Infektion mit dem Virus. Allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz liegt der Verdacht nahe, dass Djokovics Start um jeden Preis ermöglicht werden sollte.
In den Zeiten von Corona war Djokovic zwar einer der schlagkräftigsten Akteure im Tennisbetrieb, im vergangenen Jahr gewann er drei von vier Grand-Slam-Titeln. Zugleich war er aber nie ein Gewinner wie andere Superstars, die sich zum Teil an die Spitze der Impfkampagne stellten und verstanden, wie privilegiert sie mit ihrer ungehinderten Reisetätigkeit in der weltweiten Gesundheitskrise waren. Djokovic aber redete Verschwörungstheoretikern und esoterischen Scharlatanen das Wort.
Umstrittener Tweet von Novak Djokovic
Dass er am Dienstag in einem für PR-Experten desaströsen Tweet erklärte, er habe eine fantastische Zeit über die Feiertage daheim verbracht und reise nun beschwingt mit einer Ausnahmegenehmigung nach Australien, wurde zum Höhepunkt. Australische Medien spekulieren, erst diese unsensibel daherkommende Botschaft habe womöglich den Kreislauf von Ereignissen in Gang gesetzt, an deren Ende Djokovic im Quarantäne-Hotel in Carlton festsaß.
Dass sich Australiens umstrittener Premierminister Scott Morrison mit seiner harten Haltung in der Djokovic-Affäre auch Pluspunkte im politischen Wahlkampf verspricht, ist einer der vielen Aspekte dieses Tennis-Krimis.
Djokovic hat viel Kredit verspielt, in Australien kann er vorerst nicht mehr mit allzu viel Sympathie rechnen. Viele Berufskolleginnen und – kollegen haben sich von ihm abgewandt, sie betrachten das Schauspiel in Melbourne mit Unverständnis – die Furcht vor wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Tennissport ist groß. Und Djokovics Perspektive für die nächsten Monate ist düster, denn auch an anderen Schauplätzen wird es für ihn nicht einfacher, künftig anzutreten. Bei den French Open und in Wimbledon deutet sich an, dass nur geimpfte Spieler werden antreten können – Privilegien für die Nummer eins kann sich niemand erlauben.