Der Mann, der am Jahresende Weltmeister werden wird, sitzt gern mal im Nerzmantel an der Box. Manchmal liest er auch oben ohne im „Playboy“. Die Rede ist vor dem Großen Preis von Italien am Wochenende aber nicht etwa von Lewis Hamilton. Sondern von Jochen Rindt, mit dem die Ära der exzentrischen Rennfahrer so richtig begann. Im Jahr 1970 hat er sein Leben im Autodrom verloren und ist der einzige Formel-1-Champion der Geschichte, dem posthum der Titel verlieren wird. Ganz nebenbei: Geboren in Mainz ist er auch der erste deutsche Weltmeister in der Königsklasse. Ein Rebell – und ein echter Popstar.

Was macht den Mann mit der österreichischen Lizenz bis heute so besonders? Die Nase, so kantig wie die Rennwagen damals, kann es kaum sein. Vielleicht ist es die Sehnsucht nach Typen, die sich im und außerhalb des Cockpits anders bewegen als die Masse der Rennfahrer. Jene die nicht bloß am Limit leben, sondern gern auch mal drüber hinaus.
„Schnell leben, früh sterben“
Die mehr vom Leben haben und erzählen als andere, weil ihres leider meistens auch kürzer ist. Wie ein James Dean mit Startnummer. Getreu dem Motto des Hollywood-Stars, der sein Leben in einem Porsche Spyder ließ: „Schnell leben, früh sterben.“ Rindt interpretierte das für sich dezidierter, aber ebenso schonungslos: „Da keiner von uns weiß, wie lange er lebt, müssen wir versuchen, möglichst viel aus unserem Leben herauszuholen und möglichst keine Zeit verschwenden. Jede Minute des Tages ist wertvoll.“
Die Eltern von Karl Jochen Rindt kommen bei einem Bombenangriff auf Hamburg ums Leben, Vollwaise Jochen wird zu den Großeltern nach Graz evakuiert. Es geht ihm gut, schon bevor er im Motorsport Karriere macht. Schließlich legt er das Familienvermögen in Rennwagen an. 1969 verpflichtet ihn der legendäre Konstrukteur Colin Chapman. Ein Seelenverwandter: exzentrisch, wagemutig, lebensbejahend. Die Lotus-Rennwagen in der Formel 1 sind häufig genial, oft aber zu fragil.
Die Angst vorm Crash fährt immer mit, Rindt macht deshalb die Sicherheitsgurte nie richtig zu – um bei einem Feuerunfall nicht bewegungsunfähig zu sein. Genau das wird ihm im Herbst 1970 zum Verhängnis. Verschwörungstheoretiker glauben, dass er das Schicksal heraufbeschworen hat. Denn es gibt da ein ominöses Zitat: „Entweder ich sterbe in diesem Auto, oder ich werde damit Weltmeister.“ Aber wer konnte ahnen, dass sich beides erfüllen sollte?
Ein Draufgänger
Jochen Rindt ist damals das, was man heute als cool bezeichnend. Ein Draufgänger, aber nicht bloß Hallodri. Er denkt an die Technik, er kümmert sich um die Sicherheitsmaßnahmen, auch wenn die damals eher ein Witz waren. Vor allem war er immer geradeaus, ehrlich zu sich selbst. Verkaufen konnte er sich auch ganz gut, geschäftstüchtig ist er sowieso, Bernie Ecclestone wird sein Mentor.
Helmut Marko, der heutige Motorsportberater von Red Bull, erinnert sich an den Freund: „Extreme Fahrzeugbeherrschung, extremer Mut.“ Den Wunsch von Gattin Nina, schon mit 28 Schluss zu machen mit der aktiven Karriere, so nah am großen Triumph, ignoriert er immer wieder. Sie pflegt heute seine Website, der Titel der Biografie lautet schlicht: „Der Wilde.“
Auf Zeitjagd kurz vor dem Unglück
Am 5. September 1970 ist das Zeittraining zum Großen Preis von Italien angesagt, dem zehnten von 13 WM-Läufen. Fünf Rennen hat Rindt bis dahin gewonnen, sein größter Widersacher ist der Belgier Jacky Ickx im Ferrari, der ausgerechnet in Österreich einen Sieg einfahren konnte. Jochen Rindt befindet sich in Hochform, schreitet lässig durch die Boxengasse, geht zu seiner Frau, die an der Boxenmauer mit der Stoppuhr sitzt. Dann geht er auf Zeitenjagd auf der Hochgeschwindigkeitspiste, auf der Graf Berghe von Trips 1961 sein Leben gelassen hatte. Der erste Kerpener, der hätte Formel-1-Weltmeister werden können, war das Idol von Jochen Rindt.
Mit vollem Tempo unter die Leitplanke
Bei der Anfahrt zum Parabolica-Bogen in der Bremszone wird der Lotus 72 plötzlich unruhig. Zuerst zuckt das überragende Auto der Saison kurz nach links, dann nach rechts und dann wieder direkt nach links – und schiebt sich durch seine Keilform mit vollem Tempo unter die Leitplanken. Nina Rindt merkt beim Blick auf die Rundentabelle sofort, dass etwas passiert sein muss. Plötzlich verstummen alle Motoren, die Autos kommen zurück an die Box. Bernie Ecclestone rennt Richtung Kurve.
Jede Hilfe kommt zu spät
Als der spätere Formel-1-Chef zurückkommt, sagt der blutverschmierte weiße Helm in seiner Hand alles. Jochen Rindt ist tot, eine Hauptschlagader und die Luftröhre wurden von der scharfen Kante am Armaturenbrett durchtrennt. Ein fester Oberschenkelgurt hätte es vielleicht verhindert. Als er auf einem Pritschenwagen abtransportiert wurde, dürfte er schon verblutet gewesen sein. Offiziell lassen ihn die Italiener aber erst im Hospital sterben – damit das Rennen durchgeführt werden kann. Unfallursache soll eine gebrochene Bremswelle vorn gewesen sein. Weiter nachgeforscht wird nicht, was soll es auch bringen. Colin Chapman begibt sich eilig außer Landes.
Witwe nimmt den Pokal entgegen
So grausam ist dieser Sport eben manchmal. Am Ende des Jahres kommt Jacky Ickx bis auf fünf Punkte an die 45 Zähler von Rindt heran. Witwe Nina nimmt den Pokal entgegen. Sie sagt die bewegenden Worte: „Das einzige, was Jochen in seinem Leben wirklich gewollt hat, war Weltmeister in der Formel 1 zu werden. Traurig, dass er es nie erfahren konnte.“
Eine Straßenbahn zu Ehren Rindts
Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass in Österreich Staatstrauer herrscht. Die Alpennation hatte Rindt adoptiert. Ein Idol gefunden, das Identität schafft. In diesem Jahr sollten in Graz viele Feierlichkeiten stattfinden, Corona verschiebt sie auf 2021. Nur eine Straßenbahn ist zu seinen Ehren seit dieser Woche in der Hauptstadt der Steiermark unterwegs, eingeweiht von seinem Halbbruder. Sie wird auch an einem Jochen-Rindt-Platz Halt machen. Die Erinnerung stirbt nie.