Es boomt bei einem der größten europäischen Wohnwagenbauer. Jüngst präsentierte die Erwin Hymer Group (EHG) in Bad Waldsee eine blendende Bilanz für das abgelaufene Geschäftsjahr, das vom August 2020 bis zum Juli 2021 reicht. Ein Gutteil des Erfolgs dürfte auf die Kernmarke Hymer zurückzuführen sein. Für einige Mitarbeiter dort scheinbar eine extreme Belastung. Es steht der Vorwurf von massiven Arbeitszeitverstößen bei der Hymer GmbH & Co. KG im Raum. Um Aufträge abzuarbeiten, sollen Mitarbeiter teils viel länger als erlaubt, am Band gestanden sein.

Regelmäßig mehr als zehn Stunden gearbeitet?

Aus gut unterrichteten Kreisen hat der SÜDKURIER erfahren, dass die zu viel geleistete Mehrarbeit bereits im Sommer bei einer Betriebsversammlung Thema war. Regelmäßig sollen Mitarbeiter mehr als zehn Stunden am Tag gearbeitet haben. Damit wäre gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen worden. Betroffen davon sollen die Abteilungen Kundendienst, Auftragszentrum und Hymer Originalteile (Ersatzteile) sein.

Die Geschäftsführung von Hymer weist die Vorwürfe entschieden zurück: „Die Gesundheit und das Wohlbefinden unserer Beschäftigten haben bei der Hymer GmbH & Co. KG oberste Priorität“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. Das gelt auch für die Abteilungen Kundendienst, Auftragszentrum sowie den Bereich Hymer Originalteile. „Die dort beschäftigten Kolleginnen und Kollegen können unabhängig von Auftragsbestand und Nachfragespitzen in einem allgemein üblichen Umfang und im Rahmen der gesetzlichen Regelungen Mehrarbeit leisten“, heißt es weiter.

„Mehrarbeit im gesetzlichen Rahmen“

Überschreitungen der gesetzlichen Vorgaben bei der Arbeitszeiterfassung würden umgehend geprüft und behandelt, informieren die Verantwortlichen. Viel mehr wirke die Hymer GmbH aktiv gegen solche Verstöße und schule Vorgesetzte sowie Angestellte regelmäßig zu dem Thema.

„Davon unabhängig liegt die zeitlich beschränkte Mehrarbeit in einem allgemein üblichen Umfang innerhalb des gesetzlichen Rahmens.“ Über Instrumente wie Zeitausgleich oder Gleitzeit würde diese individuell und flexibel gesteuert. „Über den Stand der Arbeitszeitkonten ist die Firma Hymer mit dem Betriebsrat in ständigem Austausch, dies gilt insbesondere auch für Mehrarbeitsstunden die geleistet werden.“

Der Betriebsrat der Hymer GmbH wollte sich zu den Vorwürfen von einer regelmäßigen Überschreitung der gesetzlichen Arbeitszeiten nicht äußern. Auch die zuständige Gewerkschaft IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben schweigt dazu. Themen der Betriebsversammlung seien nicht öffentlich, sagte der 2. Bevollmächtige der IG Metall Frederic Striegler am Telefon. Dass derzeit jedoch zu wenig Mitarbeiter bei der Hymer GmbH an Bord seien, sei ein Problem, das bei Gewerkschaft und Geschäftsführung bekannt sei, sagte Striegler.

Zu viele Aufträge, zu wenig Mitarbeiter?

Im Hintergrund der Entwicklung liegen die neuen Freizeitwünsche der Bundesbürger. Durch die Corona-Krise befeuert, sehnen sich vor allem die Deutschen nach einem unabhängigen Urlaub mit direkter Verbindung zur Natur. Das ließ die Nachfrage nach Reisemobilen in die Höhe schnellen. 65.000 Camper, Caravans und Reisemobile lieferte die Erwin Hymer Group im Geschäftsjahr 2020/2021 aus. Das waren 18 Prozent mehr als im Vorjahr.

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„Die Auftragsbücher sind ohne Ausnahme bei allen EHG-Marken sehr gut gefüllt“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Gruppe Martin Brandt bei der Vorstellung der EHG-Bilanz Anfang Oktober. Die Mitarbeiterzahl stieg in der gesamten Gruppe, zu der Marken wie Dethleffs, Eriba und Bürstner gehören, im Finanzjahr 2020/2021 um plus 21 Prozent auf 8883.

Ein Teil der Stellen wurde nach Angaben der Geschäftsführung bei der Hymer GmbH in Bad Waldsee aufgebaut: „Auf Veränderungen im Markt reagieren wir grundsätzlich frühzeitig, bevor es zu Überbelastungen kommen kann“, heißt es in der Stellungnahme. In den letzten 18 Monaten seien rund 200 neue Mitarbeiter eingestellt worden. Damit trage das Unternehmen der seit Jahren positiven Branchenentwicklung und der weiterhin steigenden Nachfrage Rechnung.

IG Metall verhandelt über Entlastungen der Mitarbeiter

Doch nach Ansicht der Gewerkschaft ist das nicht genug. Derzeit säßen sie mit der Geschäftsführung in betrieblichen Tarifverhandlungen, um die Arbeitszeitkonten der Mitarbeiter zu entlasten, erzählt Striegler. Doch ein Abschluss sei nicht in Sicht. Der Prozess sei ins Stocken geraten.

Die Lage ist Paradox: Obwohl die Auftragsbücher prall gefüllt sind, kommt es zur Kurzarbeit. Der Grund sind Lieferengpässe bei bestimmten Zulieferteilen, wie Chassis und Halbleitern, wodurch die Produktion heruntergefahren werden muss. Die Geschäftsführung betont allerdings, dass trotz Kurzarbeit weiter nach geeigneten Mitarbeitern gesucht werde.

Frederic Striegler, Geschäftsführer IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben, sieht dringenden Bedarf die Mehrarbeit bei Hymer zu regeln.
Frederic Striegler, Geschäftsführer IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben, sieht dringenden Bedarf die Mehrarbeit bei Hymer zu regeln. | Bild: IG Metall

„Das heißt aber nicht, dass die Mehrarbeit nicht geregelt werden muss“, so Striegler. Unter anderem gehe es um Ausgleichstage, die die Mitarbeiter im dann folgenden Jahr nehmen könnten. Es werde auch darüber diskutiert, den Ausgleichszeitraum der Arbeitszeitkonten zu erweitern.

Neue Produktionshalle ab 2022 in Bad Waldsee

Die Hymer-Gruppe investiert in das Wachstum. Um selbst unabhängiger von den großen Autoherstellern zu sein, baut sie aktuell in Bad Waldsee eine Produktionshalle, die laut Brandt im Frühjahr 2022 eröffnet werden soll. Wie viele Mitarbeiter dort arbeiten werden, konnte Brandt in dem Gespräch nicht sagen. Zu dem Thema äußerte er sich wie folgt: „Wir gehen davon aus, dass die Halbleiterengpässe noch bis Sommer 2023 andauern. Dann werden wir einige der geplanten Neueinstellungen nicht mehr machen können.“

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Ausgliederung eines Geschäftsbereichs

Was die Belegschaft angeht, gibt es auch bei der Hymer Group ein Vorhaben, über das die Mitarbeiter wenig begeistert sind. Die EHG möchte den Kundenservice nach dem Verkauf der Fahrzeuge (After-Sales) über alle Marken bündeln und in eine unabhängige GmbH ausgliedern. Das wurde im Juni bekannt.

Gewerkschaft und Betriebsrat befürchten vor allem Nachteile für die Mitarbeiter in Form von Lohneinbußen und höheren Arbeitszeiten. „Die Praxis stößt bei uns auf Unverständnis“, so Striegler. Das Ergebnis der Ausgliederungen seien Betriebe ohne Tarifbindung und ohne Betriebsrat.

Das Unternehmen Erwin Hymer wurde 2019 von den Erben an das US-Unternehmen Thor Industries verkauft. Der US-Marktführer zahlte 1,9 Milliarden Euro für die Übernahme. Durch den Zusammenschluss der unternehmen steht Thor Industieres jetzt an der Weltmarktspitze. Der Konzern beschäftigt rund 25.000 Mitarbeiter und macht rund acht Milliarden Dollar Umsatz.